Schmutzige Begriffe
Über das Meer Menschenhandel und Menschenschmuggel - was ist das?
Von Sonja Dolinsek
Menschenhandel und Menschenschmuggel - beide Begriffe sind erst mit der Verabschiedung der UN-Konvention gegen transnational organisierte Kriminalität 2000 Teil des internationalen Rechts. Wichtig ist, dass es sich nicht um eine Menschenrechtskonvention handelt, die Menschenrechte von Individuen in den Mittelpunkt stellt. Die Konvention soll in erster Linie die transnationale Kooperation zwischen Staaten und Polizei erleichtern.
»Menschenschmuggel« bedeutet, dass Menschen anderen Menschen zum illegalen Grenzübertritt verhelfen. Eine Bezahlung bzw. überhöhte Bezahlung ist nicht nötig, um von Menschenschmuggel zu sprechen, da es sich um eine Straftat gegen den Staat handelt, nicht um eine gegen die Migrierenden. Menschenschmuggel kann es nur geben, weil es Grenzen gibt bzw. weil es keine legalen Wege der Migration für einen Großteil der Weltbevölkerung gibt. Europäer_innen müssen nicht geschleust werden, da sie aufgrund geopolitischer Machtkonstellationen in der Regel frei in Länder ein- und ausreisen können.
Menschenschmuggel wird also durch die Abschottung Europas hervorgerufen. Seine Kriminalisierung dient nicht dem Schutz der Migrant_innen, sondern erhöht die Kosten und Risiken der illegalisierten Migration. Wenn Politiker_innen schärfere Grenzüberwachung fordern, erhöht das den Bedarf an Schleusung und führt im Endeffekt sogar zu seiner Professionalisierung. Migrant_innen und Geflüchtete können nach der Ankunft zwar einen Asylantrag stellen, aber wer das nicht tut oder abgelehnt wird, gilt als »illegale Migrant_in« und somit als Straftäter_in. Und kann inhaftiert und abgeschoben werden. Das betrifft auch viele der Menschen, die im Mittelmeer »gerettet« werden.
Von »Menschenhandel« spricht man in der Regel, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: Erstens muss eine Person eine andere Person von einem Ort zum anderen bringen und zwar, zweitens, unter Anwendung von Gewalt, Täuschung oder anderen Mitteln des Zwanges. Das muss drittens mit dem Zweck geschehen, diese Person auszubeuten. Die Ausbeutung ist das zentrale Merkmal von Menschenhandel. Dazu kann jede Form von Zwangsarbeit, Sklaverei, erzwungener Prostitution zählen. Das bedeutet, dass man, rechtlich gesehen, Menschenhandel erst erkennen kann, wenn jemand ausgebeutet worden ist - aber noch nicht beim Grenzübertritt.
Wenn Politiker_innen, Medien oder die Grenzschutzagentur Frontex argumentieren, dass die Überwachung von Grenzen »Menschenhandel« bekämpfen würde, oder wenn sie den Schmuggel als »Menschenhandel« bezeichnen, ist das mindestens irreführend. Auch wenn geschleuste Migrant_innen hohe Schulden auf sich nehmen und tatsächlich unter Bedingungen arbeiten müssen, die als Menschenhandel gelten, wird man das an der Grenze noch nicht feststellen können. Man könnte sogar sagen, dass die Abriegelung der Grenzen die hohen Schulden erst verursachen. Die Intensivierung von Grenzkontrollen begünstigt folglich Menschenhandel und Ausbeutung nach der Ankunft in Europa.
Sogenannte »Rettungsmaßnahmen« im Mittelmeer dienen also keineswegs der Rettung von Migrant_innen, sondern sind Formen der Militarisierung der Migrationsabwehr, mit der sich die EU vor Menschen schützt, die sie selbst als Straftäter_innen definiert. Die einzige strafbare Handlung dieser Menschen ist der Grenzübertritt. Die Illegalisierung des Grenzübertritts ist ein Phänomen des 20. Jahrhunderts und hat erst in den vergangenen Jahrzehnten diese menschenverachtenden Züge angenommen, die niemand mehr dulden sollte.
Sonja Dolinsek schrieb in ak 598 über zwei Konferenzen zu Sexarbeit.
Wer sind die »Schlepper«?
Schlepper, Schleuser, Schmuggler - mit diesen Ausdrücken werden Menschen belegt, die anderen bei der illegalisierten Einreise in die EU helfen. Viele tun dies aus ökonomischen Gründen, aufgrund der massiven Militarisierung des Grenzschutzes ist eine erhebliche Professionalisierung der Fluchthilfe zu beobachten. Netzwerke gibt es in allen Größenordnungen, manche verdienen eine Kleinigkeit hinzu, etwa Fischer, die ihre Boote zur Verfügung stellen, für andere ist es ein profitables Geschäft. Und es gibt auch Konkurrenz, die sich bisweilen schon in Angriffen auf die Boote rivalisierender Transportnetzwerke niederschlägt. Aber auch Verwandte, Bekannte und Freund_innen, die Menschen aus Krisengebieten bei der Weiterreise helfen, sind streng genommen Schlepper_innen. Laut der Grenzschutzagentur Frontex wurden im Jahr 2014 etwa 10.200 Menschen wegen Beihilfe zur illegalen Migration festgenommen, rund zwölf Prozent von ihnen in EU-Ländern.
Fähren statt Frontex 1
Fähren über das Mittelmeer? Gibt es jede Menge. Unternehmen wie Grimaldi Lines, Grandi Navi Veloci, Baléaria oder SNCM steuern von Tunis aus die Häfen in Marseille, Palermo, Genua, Salerno oder Civitavecchia an, sie fahren von Nador in Marokko nach Granada oder Almería, von Tanger nach Algeciras , Barcelona, Livorno, von Algier nach Alicante oder Marseille. Einzelpersonen ohne Auto zahlen auch in der Hauptsaison oft nur wenige Dutzend bis 150 Euro, die Überfahrten dauern je nach Strecke wenige Stunden bis einen Tag. Ein Deckplatz auf der »Zeus Palace« von Tunis nach Palermo am 23. August zum Beispiel kostet 60,20 Euro, Fahrtzeit: 15 Stunden. Noch schneller ist man von den türkischen Häfen in Ayval?k, Çesme, Kusadas? oder Bodrum in Lesbos, Chios, Samos, Kos oder Rhodos. Kosten: 20 bis 60 Euro. Oder von Tasucu (Türkei) in Girne (Zypern). Kostenpunkt: 41 Euro.
Fähren statt Frontex 2
Warum kaufen Menschen, die nach Europa flüchten wollen, nicht einfach ein Fährticket, sondern investieren Tausende Euro für einen Platz auf einem überfüllten Boot, das sie vielleicht niemals lebend ans Ziel bringt? Ganz einfach: weil die Fährunternehmen ihnen kein Ticket verkaufen. Dafür ist die EU-Richtlinie 2001/51/EG verantwortlich. Flug- oder Fährgesellschaften, die eine Person ohne gültiges Visum in die EU bringen, riskieren hohe Kosten. Hat die betreffende Person keinen Anspruch auf Asyl, müssen die Transportgesellschaften die Kosten für Rückfahrt, Unterkunft und Verwaltung bezahlen. Das deutsche Aufenthaltsrecht sieht zudem ein Zwangsgeld von 1.000 bis 5.000 Euro pro Person vor, die ohne Pass und Visum befördert wurde. Die Unternehmen haben angesichts finanzieller Risiken von mehreren Tausend Euro pro Passagier ein großes Interesse, die Pässe und Visa ihrer Kund_innen gründlich zu kontrollieren. Aber haben die EU-Staaten nicht die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet, die ausdrücklich besagt, dass kein Visum notwendig ist, um Asyl zu beantragen? Doch, haben sie - und genau deshalb ist die Richtlinie 2001/51/EG so perfide. Sie hebelt die Flüchtlingskonvention aus, ohne dass die EU-Staaten offiziell gegen sie verstoßen. Denn ob ein Mensch Asyl erhält, kann erst nach Antragstellung entschieden werden. Dass ein Mensch überhaupt gefahrlos an den Ort gelangt, wo er oder sie Asyl beantragen könnte, verhindert die Richtlinie.
Handelsroute Mittelmeer
Das Mittelmeer zählt zu den am dichtesten befahrenen Meeren der Welt. Allein durch den Suezkanal werden acht Prozent der weltweit gehandelten Waren transportiert. Immer öfter sind daher auch Bilder von Fracht- und Containerschiffen zu sehen, die Flüchtlinge an Bord nehmen - und immer wieder ereignen sich Katastrophen bei diesen Einsätzen. Von Ende November 2014 (nach Einstellung der italienischen Marineoperation Mare Nostrum) bis Ende April retteten Handelsschiffe laut Bundesregierung mindestens 19.000 Menschen. Im gesamten Jahr 2014 nahmen Handelsschiffe 42.000 Menschen im Mittelmeer an Bord, wie die italienische Küstenwache zählt. Das ist durchaus problematisch. Zum einen haben auch große Fracht- und Containerschiffe oft nur eine Crew von 20 Seeleuten, die für die Rettung von mehreren Hundert Menschen weder geschult noch ausgerüstet sind. Zudem kommen beim Versuch, die hohen Schiffswände zu erklimmen, immer wieder Menschen zu Tode. Auch bei der Katastrophe am 18. April 2015, als 850 Menschen ertranken, war ein großes Frachtschiff involviert, die King Jakob. Überlebende erzählten, der Kapitän ihres Bootes sei mit der King Jakob kollidiert, woraufhin das kleine Schiff sank. Die Crew des Frachters warf denen, die aus dem sinkenden Boot entkommen konnten, Rettungswesten zu - aber am Ende überlebten nur 27 die Kollision. Im April klagten zahlreiche europäische Reeder, ihre Schiffe seien überfordert, und verlangten ein stärkeres Engagement der Regierungen bei der Seenotrettung. Aber die Reedereien scheuen auch die Umwege und Extrakosten, die mit den Notfalleinsätzen verbunden sind: Nach der Rettung laufen die Handelsschiffe üblicherweise einen nahen Hafen (Sizilien oder Malta) an. Die Website Migrant Report meldete nun, dass immer mehr Handelsschiffe im Mittelmeer ihr Ortungssystem ausschalten, um nicht zu Rettungseinsätzen gerufen zu werden. Schiffe über 300 Tonnen müssen diese Funksysteme immer angeschaltet haben, damit in Notfällen ihr Standort genau bestimmt bzw. sie zur Hilfe gerufen werden können. Gerade nahe Libyen ist der Betrieb des Systems ohnehin schwierig, da es im Land nur noch einen Signalverstärker gibt. 44 Prozent der Handelslinien im Mittelmeer schalten das Signal inzwischen aus, so Migrant Report.