The Game of the Games
Deutschland Hamburg bewirbt sich für Olympia 2024 und nimmt dabei hohe Risiken in Kauf, um im globalen Wettkampf der Metropolen mitzuspielen
Von Ulf Treger
Nachdem der deutsche Manager und Berater Thomas Bach 2013 in Buenos Aires zum Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitee (IOC) gewählt worden war, kündigte er an, die Vergabe der olympischen Spiele reformieren zu wollen. Die Spiele funktionieren zwar hervorragend als globales Medienevent und als Cash Machine des IOC, aber die Anzeichen einer tiefgreifenden Krise waren selbst für die hartgesottenen Funktionäre des IOC nicht mehr zu übersehen. Sorgen machte ihnen vor allem, dass die Austragung der Spiele für die gastgebenden Städte an Attraktivität eingebüßt hat: Finanziell erweisen sich die Spiele für eine »Host City« als riskantes Abenteuer, sind deren Budgets seit den 1980er Jahren regelmäßig überschritten worden (im Schnitt um das Doppelte).
Diesem Risiko mögen sich nur noch un- oder wenig-demokratische Gesellschaftssysteme wie China oder Russland aussetzen, während in demokratischen Ländern die Skepsis in der Bevölkerung an vielen Orten zu stark geworden ist, um noch genügend Unterstützung für eine Kandidatur zu erhalten (wie in München, dem schweizerischen Graubünden oder in Oslo). Diese Krise wird, neben einer strukturellen Anfälligkeit des IOC für Korruption und Vetternwirtschaft, durch eine hohe Attraktivität der Spiele als Aufwertungsereignis für Diktaturen verstärkt.
Dennoch haben sich die Spiele einen »Mythos des Einmaligen und des Außeralltäglichen« (Walter Siebel) bewaren können, für Bürgermeister_innen und ihre Marketingstrateg_innen haben sie den Nimbus eines Lottogewinns. Mit Verweis auf die vermeintlich so erfolgreichen olympischen Spiele in Barcelona 1992 werden die Spiele als Hebel gesehen, die Vermarktung des eigenen Standorts für Wirtschaft und Tourismus in eine neue Dimension zu katapultieren.
Dieses Motiv wird auch nicht hinterfragt, obwohl in vielen Studien anerkannter Ökonom_innen der wirtschaftliche Charakter der Spiele in düsteren Farben gemalt wird: Weder gelingt es den Städten, kurzfristigen Nutzen aus der Austragung der Spiele zu erzielen, noch entstehen langfristig besondere wirtschaftliche Vorteile, etwa durch die Steigerung von Beschäftigungszahlen oder Steuereinnahmen. Was bleibt, sind Schulden, eine ruinierte Ökobilanz, leerstehende, extrem kostspielige Olympiastadien und die Erlaubnis, mit den olympischen Ringen ein paar Tourist_innen in die Stadt zu locken.
Als Thomas Bach als Maßnahme gegen diese olympischen Blessuren eine Vereinfachung des Bewerbungsprozesses versprach und ein Jahr nach seiner Wahl ein Reformpapier unter dem Namen »Agenda 2020« vorstellte - welches auch eine Reduzierung der Kosten und überhaupt des Aufwandes einer Bewerbung in Aussicht stellt -, wurden diese Signale auch in Hamburg gehört.
Schon zweimal ging die Bewerbung schief
Die Hansestadt hat zuvor schon zweimal vergeblich versucht, sich für die olympischen Sommerspiele zu bewerben, Ende der 1980er Jahre für die Spiele 2004 und 2003 für Olympia 2012. Nach dem frühen Ausscheiden beim letzten Versuch (und dem legendär peinlichen Bewerbungsvideo von Filmregisseur Dieter Wedel, dessen Drehaufnahmen durch die lustig-entschlossenen Interventionen von Bambule-Demonstrant_innen aufgemischt wurden und das kurz vor der Kandidatenkür vom Senat zurückgezogen wurde) wurde das Ziel nicht aufgegeben, sondern an einem Ausbau des Bewerbungskonzeptes gebastelt.
Anfang dieses Jahres ist es Hamburg nun gelungen, den nationalen Vorentscheid gegen Berlin zu gewinnen - man könnte auch sagen: Berlin hatte angesichts der finanziellen Risiken und dem mageren Rückhalt in der Bevölkerung kein Interesse gezeigt. Hamburg dagegen verspürt im Wettkampf der Städte einen gewissen Malus und zeigt sich allein deswegen engagiert in der Bewerbung für die olympischen Spiele 2024. Auf den Landkarten der globalen Städte und den Ranglisten von Beratungsfirmen taucht die Stadt an der Elbe schlicht nicht auf, mögen sich die lokalen Stadtvermarkter_innen noch so viel auf Reeperbahn und Hafenflair einbilden. Auch im europäischen Vergleich ist die Millionenstadt an der Elbe eine »Second City«, eine zweitklassige Stadt mit begrenztem Bekanntheitsgrad.
Denkt man sich nun den olympischen Bewerbungsprozess als einen mehrstufigen, langjährigen Wettkampf (mit den Stufen Nationale Vorauswahl, Anerkennung als bewerbende Stadt, Zulassung als »Kandidatenstadt« und schließlich dem Zuschlag als Host City), dann ist für eine »niedrigklassige« Stadt jede erklommene Stufe eine Verbesserung der Position in den Rankingtabellen. Das eigentliche Ziel, am Ende olympische Stadt zu werden, rückt hier in der Priorität nach hinten, jeder Schritt in diese Richtung ist bereits ein Erfolg. Da passt es gut, dass das IOC Ende Juli die dritte Stufe inklusive einer Qualitätskontrolle der Bewerbungen gestrichen hat. Damit können bewerbende Städte ihre Teilnahme am Spiel um die olympischen Spiele um zwei Jahre verlängern und für ihre Selbstvermarktung nutzen, auch wenn sie die hohen Anforderungen zur Durchführung der Spiele (Anzahl der Hotelbetten, Erfahrung mit Großereignissen etc.) nicht im Ansatz erfüllen.
Das Werben des Thomas Bach für eine Reform enthält auch den Hinweis, dass sich eine Bewerbung hervorragend nutzen lässt, um lokale Projekte der Stadtentwicklung zu beschleunigen und Bedenken dagegen zu neutralisieren. Wer will sich gegen dieses einmalige Event und die Aufmerksamkeit der »ganzen Welt« stellen? Wer kann sich gegen die faktische Kraft der mehr als echt wirkenden, aber höchst spekulativen 3D-Architektur-Modelle wehren? Hamburg verspricht sich mit der aktuellen Bewerbung, nach mehreren höchst unfertigen Anläufen endlich den »Sprung über die Elbe« zu schaffen. Der Tenor: Das Wachstum der Stadt im Sinne der Erschließung oder Aufwertung innenstadtnaher Gebiete wird gebremst durch die breite Elbe, ihre Seitenarme und davon umflossener Inseln. Die »wachsende Stadt« (gemeint ist damit immer ein Wachsen der Immobilienmarktes) kann erst aufblühen, wenn diese Barrieren überwunden sind.Deswegen werden ein wichtiger Teil der Spielstätten und das olympische Dorf auf der Sprungachse platziert, auf dem Kleinen Grasbrook, einer Insel mit ausschließlich industrieller Nutzung, zentral gelegen zwischen dem privilegierten, weißen Retortenstadtteil HafenCity im Norden und den eher prekären, migrantisch geprägten Vierteln Wilhelmsburg im Süden und Veddel im Osten.
Die hanseatischen Stadtplaner_innen, allen voran Oberbaudirektor Jörn Walter, erhoffen sich stattliche Förderung aus den Haushalten Berliner Ministerien und die Überwindung der Widerstände der (Hafen-)Wirtschaft und anderer Interessengruppen. Mit dieser Beschleunigung städtischer Projekte bietet das olympische Projekt eine ansonsten rar gewordene Möglichkeit, politische Handlungskompetenz zu zeigen. Die Krise des IOC trifft hier auf die Krise der Stadtpolitik, beide Akteur_innen versuchen, ihr jeweils eigenes Dilemma zu überwinden.
Ein Arbeitstier an der Leine des IOC
Dieses Spiel findet unter ungleichen Voraussetzungen statt; aus dem Dilemma wird ein Paradoxon. Mit dem Zuschlag für Olympia degradiert sich die gastgebende Stadt zur Subunternehmerin des IOC. Alles städtische Handeln wird auf Vorbereitung und Durchführung der Wettkämpfe (olympische und paralympische Spiele, die in kurzem Abstand direkt hintereinander veranstaltet werden) ausgerichtet. Die Ansprüche der Stadt selbst und vor allem ihrer Bewohner_innen sind diesem Ziel untergeordnet. Ein Host-City-Vertrag nebst einer Reihe geheimer Zusatzvereinbarungen bestimmen die Stadtpolitik in den sieben Jahren zwischen dem Zuschlag und der Beendigung der Spiele.
In dieser Zeit ist die Stadt ein Arbeitstier an der Leine des IOC mit Maulkorb und engem Korsett. Darüber hinaus trägt sie das volle Kostenrisiko für alle Investitionen und Maßnahmen, die aus der Sicht des Komitees notwendig sind - inklusive dem Bau überdimensionierter Spielstätten. Die »Agenda 2020« enthält zwar Vorschläge, die Gigantomanie der Spiele ein wenig zu reduzieren, der eigentliche Charakter der Spiele wird aber nicht verändert. Neben der regelmäßigen Überschreitung der öffentlichen Budgets gibt es eine weitere einprogrammierte Kontinuität: Das IOC erzielt durch die Vermarktung des Events zuverlässig einen Milliardengewinn. Dieser Erlös wird ebenso routinemäßig durch einen staatlichen Erlass von seiner Versteuerung befreit.
Die olympischen Spiele funktionieren also, trotz des Attraktivitätsverlustes, als eine gut geölte Umverteilung von der öffentlichen in die private Hand. Das erklärt auch das Engagement der Hamburger Wirtschaft, vom großen Immobilienkonzern ECE bis hin zu den Betreiber_innen kleinerer Touristenattraktionen. Hier wird mit ausgedachten Titeln (»Erster Olympiabotschafter Hamburgs«) und fragwürdigen Aktionen (Fackelaufmärsche) die Bewerbung unterstützt.
In der Hansestadt artikuliert sich aber mit dem Netzwerk von NOlympia Hamburg und anderen Initiativen auch Widerstand gegen die Bewerbung. Der Hamburger Senat plant für November 2015 ein Referendum, um die wahlberechtigte Bevölkerung über die Bewerbung abstimmen zu lassen. Bislang gibt es aber keine Zahlen, um den Umfang und die Risiken der Bewerbung sinnvoll abschätzen zu können. Die Veröffentlichung erster Planungsstände wird zwar für Ende September angekündigt (am 15. September muss Hamburg eine erste Bewerbungsschrift an das IOC einreichen), aber es ist damit zu rechnen, dass diese Dokumente allein auf das Ziel getrimmt sind, das Referendum zu gewinnen.
Der Senat, die fast allein regierende SPD mit ihrem schwachen Koalitionspartner, den Grünen, und die Handelskammer als Initiatorin und treibende Kraft der Bewerbung werden damit eine erste Wahrheit propagieren, die aus ungenauen »Kostenkorridoren« und beschönigten Szenarien bestehen wird. Diese wackelige Konstruktion wird vernebelt durch emotionale Appelle der Vereinnahmung (»Dabei sein ist alles!«) und ebenso der Ausgrenzung (»Wer gegen uns ist, handelt unsportlich«).
Die andere, zweite Sicht der Dinge, bestehend aus soliden Fakten und schmerzhaften Nebenwirkungen, wird sich erst im Nachgang des Referendums zeigen. Wenn dann die Nebelmaschinen abgestellt sind, werden sich durch den löchrig gewordenen, wolkigen Haufen aus freundlichen Pastellfarben und geschönten Zahlen zaghaft die ersten hässlichen Vorboten einer zweiten Realität schieben. Einen Ausblick darauf gibt der Sportökonom Wolfgang Maennig, der - als Olympia-Befürworter - das finanzielle Risiko einräumt und mit Blick auf die gesetzliche Schuldenbremse feststellt, dass die Kosten nur durch Umschichtungen im städtischen Etat aufgebracht werden können.
Konkret könnte der Versuch, Hamburg auf die globale Karte zu bringen, bittere Konsequenzen für die Bevölkerung haben: Ein Olympiastadion gegen zehn Freibäder, ein olympisches Dorf gegen 10.000 Sozialwohnungen, ein riesiger Sicherheitsapparat zum Schutz der Spiele gegen Investitionen in Daseinsfürsorge, Bildung und Kultur.
Doch auch wenn es gar nicht so weit kommen sollte, allein die Bewerbungsphase bringt bereits Nachteile, sei es durch die Ausrichtung auf ein nach außen gewandtes Selbstbild von Stadt als Marketingprodukt, das Übertönen kritischer Stimmen durch pro-olympische Kampagnen oder die Ablenkung von anderen Themen der Stadtpolitik. Die in Hamburg häufig geäußerte Einschätzung, die Stadt an der Elbe sei chancenlos gegen die Konkurrenz aus Paris, Los Angeles oder Rom, ist zwar ein Indiz, wie schwierig es sein wird, Wähler_innen für den olympischen Zauber zu mobilisieren. Aber eine kritische und engagierte Auseinandersetzung ist zu jeder Stufe der Olympia-Bewerbung, des »Spiels um die Spiele«, dringend notwendig.
Ulf Treger schrieb in ak 595 über Kaufhäuser als Instrument für die Stadtentwicklung und ist aktiv bei NOlympia Hamburg. Bereits zur letzten Olympiabewerbung Hamburgs 2003 erschienen von ihm Texte in ak 462 und ak 472.