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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 608 / 15.9.2015

Mit größtmöglicher Härte des Gesetzes

Deutschland Der Kampf gegen »Schleuser« wird auch mit den Mitteln des Strafrechts geführt

Von Katharina Schoenes

Das europäische Grenzregime steckt zweifelsohne in einer Krise. Das Dublin-System funktioniert längst nicht mehr; vielerorts in Europa werden derzeit Zäune errichtet und Grenzkontrollen intensiviert, um Migrant_innen an der Ein- und Weiterreise zu hindern. Und weiterhin ertrinken unzählige Menschen im Mittelmeer bei dem Versuch, auf dem Seeweg nach Europa zu gelangen. Die Reaktionen führender europäischer Politiker_innen könnten zynischer nicht sein: Bekämpft werden sollen jene, die Flüchtlingen - oft gegen ein Entgelt - dabei behilflich sind, die hochgerüsteten Grenzen Europas zu überwinden, um dort Schutz vor Krieg und Verfolgung zu suchen. Glaubt man Merkel, de Maizière, Hollande und Co., sind nicht Fluchtursachen und hermetisch abgeriegelte Grenzen das Problem, sondern »skrupellose Menschenhändler«, die verzweifelten Flüchtlingen ihr letztes Geld aus der Tasche ziehen, um sie dann auf schiffbrüchigen Booten oder in schlecht belüfteten Transportern Richtung Europa zu schicken.

Schlepper und Schleuser gelten als Verbrecher, die an der Not der Flüchtlinge Milliarden verdienen; ihr Tun wird mit Terrorismus, Rauschgifthandel und organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht. Dieser »Logik« folgend hat die Europäische Union im Kampf gegen »Menschenschmuggel« jüngst sogar einen Militäreinsatz ins Leben gerufen mit dem Ziel, Boote zu beschlagnahmen und die Infrastruktur der Schlepper zu zerstören.

Der Kampf gegen Menschenschmuggel wird aber nicht nur diskursiv und militärisch, sondern auch mit den Mitteln des Strafrechts geführt. Grundlage der Strafverfolgung bilden die Paragraphen 96 und 97 des deutschen Aufenthaltsgesetzes. Demnach macht sich strafbar, wer Ausländer_innen aus Drittstaaten dabei unterstützt, ohne ein legales Aufenthaltsrecht in das Bundesgebiet einzureisen. Strafverschärfend wirkt es sich aus, wenn Fluchthelfer_innen »erwerbs- oder bandenmäßig« handeln oder das Leben der Reisenden in Gefahr bringen - in solchen Fällen drohen bis zu zehn Jahre Haft.

»Action Day« gegen Fluchthelfer_innen

Das Delikt Fluchthilfe ist kein ganz neues Phänomen. So war das »Einschleusen von Ausländern« bereits im Ausländergesetz von 1990 strafrechtlich normiert, und Helmut Dietrich von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration weist darauf hin, dass schon in den frühen 1990er Jahren polizeiliche Arbeitsgruppen zum Thema »Schleusungskriminalität« eingerichtet wurden, die die Geldflüsse und Telefonate bestimmter migrantischer Communities überwachten. (1) Allerdings scheint der Strafverfolgungseifer der Polizeien und Staatsanwaltschaften momentan auf einen neuen Höhepunkt zuzusteuern.

»Mit der Ware Mensch lässt sich zurzeit mehr Kasse machen als mit Waffen und Drogen.« Diese alarmierenden Worte stammen von Dieter Romann, dem Präsidenten der Bundespolizei, der Mitte August gegenüber der Zeitung Welt am Sonntag bekannt gab, im ersten Halbjahr 2015 seien bereits 1420 »mutmaßliche Menschenschmuggler« festgenommen worden - fast doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Auch die Zahl der Ermittlungsverfahren ist in einigen Bundesländern merklich angestiegen. So wurden allein in Bayern seit Jahresanfang 1300 Verfahren gegen mutmaßliche Schleuser eingeleitet.

Einen groß angelegten Strafprozess gegen eine mutmaßliche Schleuserbande am Landgericht Essen hat der Journalist Stefan Buchen in seinem lesenswerten Buch »Die neuen Staatsfeinde« dokumentiert. In dem Verfahren wurden ein Essener Bauingenieur syrischer Herkunft, ein ebenfalls aus Syrien stammender Dachdecker aus Athen, zwei Taxifahrer aus Paris und weitere Personen beschuldigt, banden- und gewerbsmäßig syrische Kriegsflüchtlinge von der Türkei über Griechenland nach Deutschland geschleust zu haben. Vorausgegangen waren dem Verfahren monatelange Ermittlungen sowie ein »Action Day« im Januar 2013, an dem 37 Gebäude in ganz Deutschland durchsucht und sechs Haftbefehle vollstreckt wurden. Zusätzlich kam es auf Druck deutscher Behörden auch in anderen europäischen Ländern und der Türkei zu Festnahmen, woraufhin drei Beschuldigte in die Bundesrepublik ausgeliefert wurden.

Im Zuge der Beweisaufnahme im Hauptverfahren, das im Juli 2013 eröffnet wurde und im Dezember desselben Jahres mit der Verkündung der letzten Urteile endete, kamen Dinge ans Licht, die so gar nicht in das viel beschworene Bild der »kriminellen Schleuserbanden« passen. So wurden die angeklagten Schleusungen nicht von einer hierarchisch strukturierten »Bande« durchgeführt, sondern abschnittsweise entlang der Fluchtroute organisiert. Viele der Beschuldigten wurden als Fluchthelfer tätig, nachdem sich in Syrien lebende Verwandte hilfesuchend an sie gewendet hatten. Erst als der Bürgerkrieg in Syrien weiter eskalierte und immer mehr Anfragen kamen, begannen sie sich zu professionalisieren und die Schleusungen arbeitsteilig zu organisieren.

Obwohl das Gericht während der Zeugenbefragungen wiederholt versuchte, die Profitgier der Angeklagten herauszuarbeiten, wurde deutlich, dass diese sich gegenüber den Flüchtenden hilfsbereit und verantwortungsvoll verhalten hatten. Dennoch wurden einige Angeklagte zu nicht mehr bewährungsfähigen Haftstrafen verurteilt, die teilweise sogar über den Strafantrag der Staatsanwaltschaft hinausgingen. Bei der Urteilsverkündung erklärte der Vorsitzende Richter, wenn es dem Hauptangeklagten wirklich so wichtig gewesen sei, Menschen in Syrien zu helfen, hätte er das ja auf andere Weise tun können. So habe er sich jedenfalls des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern schuldig gemacht.

Ein weiterer Schleuserprozess ist Mitte August im niedersächsischen Verden zu Ende gegangen. Angeklagt war ein Jeside aus der Türkei, der seit den 1990er Jahren in Deutschland lebte, 2014 aber nach Istanbul gegangen war und von dort gemeinsam mit seinem Vater und weiteren Personen für syrische Kriegsflüchtlinge Reisen nach Deutschland organisiert hatte. Seit er Anfang 2015 an der türkisch-bulgarischen Grenze festgenommen worden war, befand er sich in Untersuchungshaft.

Kriminell oder humanitär?

Die Anklage basierte vor allem auf umfangreichen Telefonüberwachungen, von denen auch gänzlich unbeteiligte Angehörige des Beschuldigten betroffen waren. Tausende abgehörte Telefonate wurden übersetzt und ausgewertet und in der Hauptverhandlung stundenlang verlesen. Anders als im Essener Prozess zeigten die Richter_innen in Verden immerhin eine gewisse Bereitschaft, sich mit den Motiven des Angeklagten auseinanderzusetzen und diese bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen. So werteten sie es positiv, dass die Flüchtenden unterwegs nicht in Gefahr gebracht wurden, weil sie mit gefälschten Papieren auf dem Luftweg nach Deutschland reisen konnten. Auch deuteten sie den Umstand, dass es sich bei den Geschleusten fast ausnahmslos um asylberechtigte Kriegsflüchtlinge aus Syrien handelte, als Hinweis auf humanitäre Beweggründe. Ganz anders die Staatsanwältin, die sich alle Mühe gab, den Beschuldigten als Mitglied einer kriminellen Bande dastehen zu lassen, die ein »knallhartes Geschäft« betrieben habe, und für ihn eine vierjährige Haftstrafe beantragte.

Das Gericht verurteilte den Angeklagten schließlich zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, womit es im unteren Bereich des gesetzlich vorgegebenen Strafrahmens blieb. Der Angeklagte, dem es nachvollziehbarer Weise um Schadensbegrenzung ging, war über den Ausgang des Verfahrens erleichtert, zumal sein Haftbefehl gegen Meldeauflagen ausgesetzt wurde. Grundlegende Fragen, die die europäische Grenzpolitik aufwirft, bleiben indessen unbeantwortet. Was ist das für ein Rechtssystem, in dem Fluchthelfer_innen massenhaft überwacht und mit Strafverfahren überzogen werden? Wie sollen Menschen in Europa Schutz suchen, wenn diejenigen, die ihnen bei der Flucht behilflich sind, kriminalisiert werden?

Initiativen wie die kürzlich gestartete Kampagne fluchthelfer.in des Berliner Peng Collectives (ak 607) lassen hoffen, dass Menschen ungeachtet der ihnen angedrohten Strafen Migrant_innen auch in Zukunft bei ihrer Reise nach und durch Europa unterstützen werden. Die Kampagne ruft Urlauber_innen dazu auf, auf der Rückfahrt Geflüchtete im Auto mitzunehmen und so zivilen Ungehorsam gegen die »entmenschlichenden Strukturen« des europäischen Grenzregimes zu üben. Auf der Homepage der Kampagne finden sich praktische Tipps und rechtliche Hinweise für Fluchthelfer_innen; außerdem gibt es einen Rechtshilfefonds.

Katharina Schoenes schrieb in ak 599 über rassistische Diskriminierungen vor Gericht.

Anmerkung:

1) Helmut Dietrich 2005: Schleusertum - Fluchthilfe: Fahndungspraxis und soziale Realität, ffm-online.org/wp-content/uploads/2012/08/05_Schleusertum.pdf