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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 608 / 15.9.2015

Im Namen der Menschenrechte

Rechte Mobilisierung In den deutschen Leitmedien werden offener Rassismus verurteilt und zugleich Flüchtlingsgruppen gegeneinander ausgespielt

Von Regina Wamper

Es war Horst Seehofer, der im Juli 2015 sagte, die Politik habe zu Beginn der 1990er Jahre zu lange gezögert und so das Erstarken extrem rechter Kräfte gefördert. Er spielte auf die Debatte über das Asylrecht an. Hätte die faktische Abschaffung des Asylrechtes bereits früher als 1993 stattgefunden, wäre es nicht zu rassistischen Pogromen, Morden und Anschlägen gekommen, so der Kern der Aussage. In diesem Statement werden die Themen Flucht und Rassismus miteinander verknüpft, was kennzeichnend für die Debatte der frühen 1990er Jahre war und auch aktuell immer wieder aufscheint. In diesem Sinne wird Rassismus als Folgeerscheinung von Migration verstanden. Entsprechend könne durch eine weitere Entrechtung von Migrant_innen dem Rassismus entgegen gewirkt werden. Nach den rassistischen Ereignissen in Heidenau forderte auch der sozialdemokratische Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein neben anderen restriktiven Maßnahmen, die Schulpflicht bei laufenden Asylverfahren teilweise auszusetzen, um ein »weiteres Heidenau« zu verhindern.

Detlef Esslinger kommentierte dies in der Süddeutschen Zeitung (SZ) so: »Hätte die NPD sicher nicht gedacht, dass Demokraten aus Angst vor ihr auf Einfälle kommen, auf die sie bisher nicht einmal selbst kam.« Es ist eine gewisse Kluft, die sich derzeit zwischen dem Mediendiskurs und dem Diskurs von Politiker_innen auftut. Zumindest wird die perfide Logik, die Ursache für Rassismus auf Migration zurückführen, keineswegs durchgängig in deutschen Leitmedien geteilt, auch wenn hier und da zu lesen ist, dass die Stimmung in der Bevölkerung zu kippen drohe und zwar wegen der Anzahl der Geflüchteten und nicht etwa wegen des Rassismus der Rassist_innen.

Es besteht allerdings weitgehend Einigkeit darüber, dass wir es derzeit mit einem Notstand zu tun haben. Dies zeigt sich bereits an dem Raum, den das Thema Flucht derzeit einnimmt. Kein anderes Thema, sei es das Diktat der EU gegen Griechenland, seien es die Kämpfe in Syrien, sei es die Kriegspolitik der Türkei, ist medial derart präsent. Der Notstand wird auch medial produziert über die ständigen Wiederholungen, die Grenze der Belastbarkeit sei erreicht oder gar überschritten. Sinnbildlich dafür stehen Begriffe wie die des Ansturms, der Flut, der Ströme. Sie sind geeignet, Menschen als Masse wahrzunehmen, als bedrohliche Masse, die gleich einer Naturkatastrophe über ein Land hereinbricht.

Unbestritten scheint die Notwendigkeit zu sein, die Zahl derer zu beschränken, die nach Deutschland migrieren. Hinzu kommt, dass in der Medienlandschaft zunehmend »Ausnahmesituationen« akzeptiert werden. Wo Zeltlager in Deutschland 2014 noch scharf verurteilt wurden, scheinen sie nun unumgänglich zu sein. So wirkt der erzeugte künstliche Notstand auch auf die Medien zurück: In Krisenzeiten wird das vertretbar, was sonst als menschenunwürdig erkannt wird.

Um die Forderung nach der Begrenzung von Flucht zu untermauern, werden Flüchtlinge gespalten in diejenigen, die aus den Balkanländern kommen, und jenen, die syrischer Herkunft sind. Erstere würden das Asylrecht zuungunsten der zweiten missbrauchen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung spricht man von »(wahren) Flüchtlingen« und solchen, »die sich nur so nennen«, die also »lediglich wegen der Armut und der Rückständigkeit in ihrer Heimat auswandern«, wie die SZ ergänzt. Entsprechend werden die angekündigten restriktiven Gesetzesänderungen von Innenminister de Maizière kaum kritisiert, ebenso wenig wie die in Bayern bereits umgesetzten »speziellen Auffanglager« an deutschen Außengrenzen für Geflüchtete aus Balkanstaaten. Nicht mit Verweis auf deutsche Interessen sollen Geflüchtete aus Balkanstaaten abgewiesen, abgeschoben und abgeschreckt statt »alimentiert« (FAZ) werden, sondern im Namen der Menschenrechte der anderen. Es scheint so, als vollzögen die deutschen Medien einen Spagat zwischen den frühen 1990er Jahren und dem »Aufstand der Anständigen«. Momentan wird beides geteilt: die Abschreckungspolitik des Staates ebenso wie das eigene humanistische Selbstverständnis unter Verweis auf die vielen Helfenden.

Auffällig ist, dass die Fluchtursachen weitgehend ausgeblendet werden. Zwar wird hier und da auf Armut und Krieg verwiesen, häufiger noch auf durchlässige Grenzregimes, keinesfalls aber auf die globale Ungleichverteilung von Ressourcen oder gar auf die Rolle Deutschlands in einer neokolonialen Weltpolitik. Wird die Frage nach der Situation in Herkunftsstaaten doch gestellt, dann lautet die Antwort, Deutschland müsse verstärkt wirtschaftliche und militärische »Verantwortung« in der ganzen Welt übernehmen. Stefan Kornelius etwa stellt in der SZ die Frage, welche Einwirkungsmöglichkeiten »die reiche EU auf die Afrikanische Union« habe, »in deren Reihen Staaten regelrecht ausbluten«. Nicht gefragt wird, welche Einwirkungsmöglichkeiten die reiche EU bereits wahrgenommen hat und was dies mit dem »Ausbluten« zu tun haben könnte.

Die Medien inszenieren Deutschland momentan als die hilfsbereite Nation. Die geplanten weiteren Entrechtungen von Geflüchteten werden mit empathischer Geste als Sachzwang vermittelt. Rassistische Mobilisierungen, Brandanschläge und andere Übergriffe werden medial durchgängig verurteilt, auch wenn mitunter verniedlichende Phrasen der »besorgten Bürger« oder der »Angst« der Rassist_innen bemüht werden. Dem anhaltenden militanten Rassismus von organisierten und unorganisierten Brandstiftern wird die »Willkommenskultur« der vielen »guten Deutschen« gegenübergestellt.

Antifaschistische Interventionen sind ebenso wie antirassistische Basisarbeit unabdingbar. Angesichts der auf den ersten Blick positiven Bezüge auf Geflüchtete und Ablehnung des militanten Rassismus kann Widerstand gegen die aktuellen Entwicklungen derzeit leicht in den Diskurs integriert werden. Schwieriger wird diese »Integration« dann, wenn das staatliche Handeln, die hegemoniale Politik der kontinuierlichen Entrechtung selbst in den Vordergrund gestellt wird.

Regina Wamper ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS).