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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 609 / 20.10.2015

Sudan soll das neue Libyen sein

International Im Rahmen des Khartoum-Prozesses will die EU Migration aus Ostafrika erschweren

Interview: Marcus Munzlinger

Seit Mai 2014 halten sudanesische Aktivist_innen den Weißekreuzplatz in Hannover besetzt. Laut Gesetz können sie nur in Niedersachsen einen Antrag auf Asyl stellen. Die vor der islamistischen Militärdiktatur Geflüchteten haben sich im Refugee-Protestcamp Hannover organisiert, um eine kollektive Anerkennung als politisch Verfolgte zu erkämpfen. Dies wird durch den im November 2014 von der EU und maßgeblich Deutschland initiierten sogenannten Khartoum-Prozess massiv untergraben. Ziel dieser Verhandlungen zwischen der EU, dem Sudan, Südsudan und Eritrea ist es, die ostafrikanischen Migrationsrouten in die EU abzuschneiden. Darüber sprach ak mit Diefala Alrieh und Izzaldien Salih Ismaiel.

Durch den Khartoum-Prozess sollen unter anderem der Sudan, Südsudan und Eritrea von der EU finanzielle und materielle Mittel sowie »Know-how im Migrationsmanagement« erhalten. (Siehe Kasten) So will die EU also »Fluchtursachen bekämpfen«?

Izzaldien Salih: Der EU geht es einzig und allein darum, dass die Repression der beiden Diktaturen Sudan und Eritrea sowie des südsudanesischen Krisenstaates gegen Migranten aus der gesamten Region effizienter funktioniert. Diese drei Länder sollen die Funktion übernehmen, die Libyen zu Zeiten Gaddafis innehatte, der bis dato mit seiner Armee im Interesse der EU gegen Migration vorging. Somit hat sich die EU als Ziel gesetzt, Diktatur und blutige Unterdrückung in den am Khartoum-Prozess beteiligten ostafrikanischen Staaten zu verewigen.

Sie haben sich in Hannover zusammen mit anderen sudanesischen Geflüchteten organisiert. Hat der Khartoum-Prozess bereits konkrete Auswirkungen auf sudanesische Asylbewerber in Niedersachsen?

Diefala Alrieh: Als wir letztes Jahr mit der Besetzung des Hannoveraner Weißekreuzplatzes unseren organisierten Widerstand hier in Deutschland begannen, wurden Abschiebungen in den Sudan relativ schnell ausgesetzt. Die öffentliche Aufmerksamkeit und die gute Vernetzung mit lokalen Unterstützern halfen, Abschiebungen in den Sudan unter Rechtfertigungsdruck zu stellen. Schließlich regiert im Sudan mit Umar al-Bashir der einzige amtierende Präsident der Welt, gegen den ein Haftbefehl des Internationalen Gerichtshofs wegen Völkermordes vorliegt. Es gab einige Fälle, in denen Abschiebebescheide in den Sudan von den Behörden wieder zurückgenommen wurden, nachdem wir sie publik gemacht hatten. Daher sorgten wir uns lange Zeit vor allem um jene, die von Dublin I bis III betroffen waren - also jene, die nach Italien, Griechenland oder Bulgarien abgeschoben werden sollten. Dies ändert sich nun. Aktuell liegt ein Abschiebebescheid gegen die Schwester eines bekannten sudanesischen Oppositionellen vor, der selbst politisches Asyl bekommen hat und in Niedersachsen sehr aktiv ist. Es ist unfassbar, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zwei Asylanträge dieser Frau negativ beschieden hat: Hinsichtlich der allgemeinen Menschenrechtslage - speziell der Frauenrechte - und dann auch noch als Verwandte eines vielfach in den Medien aufgetretenen Oppositionellen, der aufgrund seiner Tätigkeit anerkannter politischer Flüchtling ist! Hier zeigt sich, dass sich die Haltung der BRD gegenüber dem Regime im Sudan in offene Kollaboration wandelt.

Was droht Menschen, wenn sie aus Deutschland in den Sudan abgeschoben werden?

I.S.: Der Sudan verfügt über einen enorm großen Geheimdienstapparat, der zusammen mit der Armee und islamistischen Paramilitärs die Stütze des Regimes bildet. Es gibt viele sehr aktive oppositionelle Gruppen im Sudan. Das Regime hält sich letztendlich nur mit brutalster Repression an der Macht und indem es verschiedene Gruppen gegeneinander ausspielt. Insbesondere in der Region Darfur setzt die Diktatur alles daran, Menschen an den Rand zu drängen, die auch nur im Verdacht stehen, sich aus irgendwelchen Gründen einmal oppositionell verhalten zu können. Dort gibt es diverse Camps für Geflüchtete, die bekanntesten sind Kalma und Al Hamidiya. Hunderttausende Menschen können nur in diesen Camps leben; das Regime will sie vom Machtzentrum in Khartoum fernhalten. Mit Pogromen und Massakern, die Paramilitärs an den Rändern der Camps verüben, macht die Regierung den Menschen deutlich: Wenn ihr euch in Richtung Khartoum bewegt, seid ihr eures Lebens nicht mehr sicher. Es liegt also auf der Hand, wie das Regime mit migrierten Sudanesen umgeht, die unter Zwang aus dem Ausland zurückkehren.

Das Hannoveraner Refugee-Protestcamp hat deutlich gemacht, dass es sich als oppositionell zur sudanesischen Regierung versteht. Wie reagieren die Bundesregierung oder die niedersächsische Landesregierung darauf?

D.A.: Bis auf ein paar nette Worte und das unbestreitbare Engagement einiger Lokal- und Landespolitiker werden wir einfach ignoriert. Und die Reaktionen, die es bisher gab, geschahen im Kontext der sogenannten »Flüchtlingskrise«, aber nicht in Bezug auf unsere sudanesische Geschichte. Dabei haben wir uns als Menschen mit spezifisch sudanesischem Fluchthintergrund organisiert und fordern, dass dieser endlich politisch und nicht nur mitleidig zur Kenntnis genommen wird! Wir wissen, dass wir die Geschichte vom »Frieden« zwischen Sudan und Südsudan durch unsere Asylbewerbungen konterkarieren und dass wir bei den seit 2011 geknüpften Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und dem Sudan stören, wenn wir eine Anerkennung als verfolgte sudanesische Oppositionelle fordern. Hierbei ist es sowohl für die Landes- als auch die Bundesregierung praktisch, dass wir uns in Niedersachsen aufhalten müssen: Die Landesregierung verweist darauf, in außenpolitischen Fragen nicht zuständig zu sein, und an die Bundesregierung lassen sich Protestaktionen von Hannover aus nur schwer adressieren. In dieser Situation forderten wir immer wieder vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Weil und seinem Innenminister Pistorius, Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes anzuwenden, wonach Niedersachsen aus besonderen eigenen Interessen heraus selbst Asyl für bestimmte Gruppen gewähren kann. Die Umsetzung dieses Paragrafen würde zwar wahrscheinlich daran scheitern, dass sie in letzter Instanz doch vom Bundesinnenminister genehmigt werden muss - aber immerhin könnte Niedersachsen so ein politisches Zeichen und die Bundesregierung unter Druck setzen, ihre Haltung gegenüber dem Sudan inhaltlich zu rechtfertigen. Dies würde uns als Bewegung sudanesischer Geflüchteter enorm weiter bringen. Doch bisher bewegt sich die Landesregierung kein Stück. Daher versuchen wir nun, die Besetzung vom Weißekreuzplatz auf die Wiese vor der Staatskanzlei auszuweiten. Zudem befinden sich aktuell 35 unserer Leute im Hungerstreik.

Marcus Munzlinger war mehrere Jahre Redakteur bei der Direkten Aktion.

Der Khartoum-Prozess

soll die Kooperation zwischen der EU und Herkunfts- sowie Transitländern von Flüchtlingen intensivieren, die vom Horn von Afrika aus versuchen, Schutz in Europa zu finden. Kooperiert werden soll mit den Herkunftsländern Äthiopien, Sudan, Eritrea, Südsudan, Somalia, Djibouti und Kenia sowie mit den Transitländern Libyen, Ägypten und Tunesien. Anstatt legale Wege zu öffnen, um endlich weitere Todesfälle zu verhindern, sollen neue Auslagerungsstrategien im »Dialog« mit den betroffenen Ländern umgesetzt werden - Länder, in denen die menschenrechtliche Situation von Schutzsuchenden schlicht katastrophal ist. Der Khartoum-Prozess ist eine Folge der »Task Force Mittelmeer«, die nach der Katastrophe vom 3. Oktober 2013 vor Lampedusa ins Leben gerufen wurde. Er fügt sich in eine Reihe repressiver politischer Maßnahmen ein, die von der Taskforce vorangetrieben wurden. Dazu gehört nicht nur die Stärkung von Frontex, sondern auch die Einrichtung des Grenzüberwachungssystems Eurosur. (Quelle: Pro Asyl)