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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 609 / 20.10.2015

FAQ. Noch Fragen?

VW: Ein Skandal, der keiner ist

Der VW-Skandal ist eine kleine Geschichte technischer Innovation. Bisher wurden Autoabgaswerte stationär in großen Laboren getestet. Dort stehen die Dreckschleudern auf Laufbändern, zwischen immobiler Messtechnik. Bisher konnte nur gesagt werden, dass die dort ermittelten Daten nicht mit den Zahlen übereinstimmen, die während der Fahrt ermittelt werden konnten, die aber bisher recht ungenau und deshalb eigentlich nicht vergleichbar waren. Die große Kluft wurde schon länger beklagt. Aber erst auf Grundlage neuer technischer Möglichkeiten konnten die US-Behörden auf gesicherter Basis bei VW kritisch nachhaken - und die Autobauer aus Wolfsburg mussten ihren Betrug eingestehen. Wie aber kam es dazu?

VW macht seit Jahren Milliardengewinne und legte 2014 trotzdem ein »schmerzhaftes« Sparprogramm auf. Der Grund? »Die Marke Volkswagen braucht eine wettbewerbsfähige Rendite. Das ist zwingend«, erklärt der Konzern. Denn in der Autobranche »herrscht ein brutaler Wettbewerbs- und Ergebnisdruck«. Toyota, einer der wichtigsten Konkurrenten, hatte 2013 eine Umsatzrendite von über acht Prozent erzielt. VW lag bei etwa zwei Prozent und peilte sechs Prozent an.

2014 verkaufte VW über zehn Millionen Autos, eine Marke, die der zurückgetretene VW-Chef Martin Winterkorn eigentlich erst für 2018 ausgegeben hatte. Planübererfüllung also - obwohl der Automarkt chronisch von (etwa 30 Prozent) Überkapazitäten geplagt ist. Damit hatte VW mit Toyota und General Motors gleichgezogen.

Nun ist VW in den Schlagzeilen: Nicht wegen einer wettbewerbsfähigen Rendite, sondern weil der Konzern eine Software bei Dieselfahrzeugen installierte, die bei Abgastests gezielt und systematisch niedrige Abgaswerte vortäuschte. Schnell wurde klar, warum dieser Schritt gewählt wurde: Der vorgegebene Kostenrahmen für den betroffenen Motor konnte nicht eingehalten werden. Deshalb wurde statt besserer Technik auf Betrug gesetzt. Wie hängt nun die Software mit dem Renditeziel zusammen?

Eine höhere Umlaufrendite (Gewinn bezogen auf Umsatzerlöse) ist dann möglich, wenn Kosten gesenkt oder die Gewinne im Vergleich zum Umsatz erhöht werden. Der Konkurrenzdruck auf dem Automarkt lässt jedoch kaum zu, dass die Hersteller_innen einfach durch Kostenaufschläge höhere Profite machen. Bleibt, möglichst kostensparsam zu produzieren, um mit möglichst wenig Ausgaben möglichst viel Profit zu machen. Deshalb die »schmerzhaften« Sparprogramme, deshalb Kostenrahmen für einzelne Bauteile. So versucht das VW-Management, die »Ökonomie des konstanten Kapitals« (Marx) zu steuern.

Warum Diesel? Audi, VW und BMW wollten ab den 1990er Jahren den Selbstzünder rehabilitieren. Er verbraucht weniger Sprit - was attraktiv ist. Das Problem: Diesel produziert mehr Schadstoffe. In einer Gesellschaft, in der inzwischen jeder Supermarkt eine eigene Bio-Reihe auflegt, ist das ein Problem. Ein Problem, dem technisch beizukommen versucht wird - nur zu teuer darf es eben nicht sein. Und da liegt die Schwierigkeit. Während Bosch liebend gerne saubere Dieseltechnik verkaufen würde, will VW sparen. Der Kostendruck war auch der US-Konkurrenz bekannt: »Dieselmotoren mit Partikelfilter sind in der Herstellung fast doppelt so teuer wie Benziner, mit dem Clean Diesel wird das Missverhältnis noch größer«, klagte 2008 der damalige GM-Chef für Forschung und Entwicklung, Larry Burns.

In Deutschland wurde der Dieselaufschwung in den letzten Jahren staatlich gefördert. Etwa durch Steuersubventionierung (weniger Energiesteuer, dafür höhere Kfz-Steuer), was Diesel attraktiv für Vielfahrer_innen machte - also eigentlich die typischen US-amerikanischen Kunden. Der staatliche Beistand half: 2003 waren in Deutschland nur 17 Prozent aller zugelassenen Pkw ein Dieselfahrzeug. 2013 waren es schon 29 Prozent. Den Boom in Europa wollte VW als Sprungbrett in die USA nutzen. Dort hatten Dieselfahrzeuge 2013 einen Marktanteil von weniger als drei Prozent, ein »Marktmagen« (Marx), den VW füllen wollte. Das deutsche Kapital schnupperte Morgenluft: »2008 wird das Jahr des Clean-Diesel-Durchbruchs in den USA«, jubelte VDA-Chef Matthias Wissmann (auch ehemaliger Bundesminister für Verkehr). Auch die US-Konkurrenz sah sich genötigt mitzuziehen und bot 2013 erstmals nach langer Zeit wieder einen Selbstzünder an.

Als der neue VW-Chef Müller in der FAZ (7.10.2015) gefragt wurde, ob der Eingriff an den Motoren der wohl etwa elf Millionen betroffenen Fahrzeuge zur Folge habe, dass die Motorleistung geschwächt werde, antwortete er, es erscheine ihm wichtiger, »das CO2-Ziel zu halten und dafür auf vielleicht 3 bis 5 km/h Höchstgeschwindigkeit zu verzichten.« Klare Augenwischerei: VW hat nicht das CO2-Ziel, sondern das Renditeziel von sechs Prozent vor Augen. Daraus wird wohl so schnell nichts werden.

Ingo Stützle