Meinung
Keine Willkommenskultur für antifeministischen Rassismus
Teilnehmer_innen des jährlichen »Marsches für das Leben« in Berlin trugen Plakate mit der Aufschrift »Babies welcome« und »Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene«. Gabriele Kuby verweist in ihrer Rede bei der »Demo für alle« auf das »Schamgefühl« von 200.000 Kindern muslimischer Einwander_innen in öffentlichen Schulen. Der für seine antifeministischen Polemiken bekannte Zeitkolumnist Harald Martenstein möchte muslimischen Geflüchteten erklären, dass sie die Gleichberechtigung von Frauen zu akzeptieren hätten. Antifeminist_innen unterschiedlicher Couleur scheinen das Thema Geflüchtete für sich entdeckt zu haben und beteiligen sich an einem rassistischen Diskurs über Muslime und muslimische Lebensweisen.
Es ist an Zynismus kaum zu übertreffen: Ausgerechnet die Popantifeministin Birgit Kelle fragt im Fokus Anfang Oktober, wer mit den von ihr als mehrheitlich männlich und muslimisch kategorisierten Geflüchteten »mal das Gender-Konzept und die Ehe für alle« diskutiert. Die Autorin von Büchern wie »Dann mach doch die Bluse zu« und »GenderGaga: Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will« spricht von einem »islamischen Frauenbild, das gerade zuwandert« - und meint damit junge Männer als Träger rückständiger, frauenverachtender Vorstellungen. Angesichts eines »täglich wachsenden Überschuss junger, tatendurstiger Männer im besten Alter, aber ohne Paarungschancen bei den deutschen Frauen« sorgt sich die Christin und selbsternannte Feministin um die Sicherheit deutscher Frauen. Sie ist dabei nicht die Einzige, die im Zuge steigender Zahlen von Geflüchteten einen orientalistischen Diskurs bedient, in dem das Bild hypersexualisierter und frauenverachtender muslimischer Männer gezeichnet wird. Dies kulturalisiert und rassifiziert ganze Gruppen von Menschen, die zu großen Teilen vor dem mörderischen und frauenverachtenden Terror des »Islamischen Staates« fliehen. Es macht sie qua Herkunft zu Tätern sexualisierter Gewalt und verkennt zugleich die anhaltend hohen Zahlen sexualisierter Übergriffe auf Frauen durch weiße deutsche Männer.
Kelle ist nicht die Einzige, die Frauen- und Homosexuellenrechte jüngst zum Argument gegen die Zuwanderung syrischer Geflüchteter macht. Der Kolumnist Harald Martenstein setzte schon vor einigen Wochen im Berliner Tagesspiegel zu einem Plädoyer für vermeintlich deutsche Tugenden der Härte und des Autoritären an. Er erklärte dem imaginierten muslimischen Gegenüber: »Ihr müsst die Gleichberechtigung der Frau akzeptieren, ihr müsst lernen, dass Homosexuelle und Juden Menschen sind wie ihr, ihr müsst Spott und Satire aushalten, sogar, was eure Religion betrifft. Kinder haben Rechte. Das Gesetz steht über der Familiensolidarität.« Man möchte Herrn Martenstein selbst gern erklären, wie es mit dem Recht der Kinder auf eine selbstbestimmte Entwicklung aussieht. Dass sich ein vertrautes Heranwachsen mit der Vielfalt sexueller und familialer Lebensweisen für Kinder nur förderlich auswirkt. Stakatoartig hatten Martenstein, Kelle und ihre Freund_innen den mittlerweile bundesweiten »Demos für alle« mit ihrem Mythos einer angeblichen »Frühsexualisierung« von Kindern das Wort geredet.
Die Stuttgarter »Demo für alle« verzeichnete Anfang Oktober einen Teilnehmerrekord. An die 5.000 Menschen demonstrierten unter dem Motto »Ehe bleibt Ehe. Stoppt die Genderisierung und Frühsexualisierung unserer Kinder« durch die Landeshauptstadt. Unter ihnen fanden sich bekennende Rechtsextreme, Hooligans und AfD-Politiker_innen. Und auch in Stuttgart entdeckten die Redner_innen das Thema Zuwanderung für sich, jedoch in anderer Weise. Gabriele Kuby, einer der Hauptredner_innen auf der Veranstaltung, diente der Verweis auf die Zuwanderung muslimischer Geflüchteter als Argument gegen einen Bildungsplan, der sexuelle Vielfalt zum Querschnitt von Lehrplänen an allgemeinbildenden Schulen macht.
Anders als bei Kelle sind es nicht Frauen- und Homosexuellenrechte, die als Argument gegen Zuwanderung muslimischer Männer herhalten müssen. Hier gerät die Zuwanderung muslimischer Familien und ihrer Kinder zum Argument gegen eine Anerkennung vielfältiger sexueller und familialer Lebensweisen. Kuby spricht von schwer traumatisierten Kindern muslimischer Geflüchteter, die »im Schulunterricht mit expliziten Darstellungen sexueller Vorgänge konfrontiert« seien. »Es könnte sein, dass sich bald nicht nur Christen, sondern auch muslimische Migranten gegen die Umerziehung unserer Kinder zur Wehr setzen«, so Kuby in ihrer Rede. Ähnlich wie bei Kelle und Martenstein wird auch hier die Vielfalt von Lebensweisen und -modellen verschwiegen, mit denen geflüchtete Menschen nach Deutschland kommen. So befinden sich unter den aktuell Flüchtenden Homosexuelle, die vor der Verfolgung durch religiöse Fundamentalist_innen fliehen.
Den zitierten Familienpopulist_innen und Antifeminist_innen gemein ist die Rede von »unserer« Kultur, die es zu verteidigen gelte - entweder gegen den »Genderismus« als inneren Feind oder frauenfeindliche muslimische Männer als Bedrohung von außen. »Diese Kultur, die auf dem Boden des Christentums gewachsen ist, kämpft nun gegen sich selbst, zerstört ihre eigene Identität, indem sie die Identität des Menschen und seine Würde durch den Wahn der Gender-Ideologie zersetzt«, beschreibt Kuby in Stuttgart das von ihr seit Jahren beschworene Untergangsszenario des christlich-deutschen Abendlandes. Ein solcher Kulturbegriff homogenisiert »eigene« wie auch »fremde« Kulturen und wird der Vielfalt individueller Lebensentwürfe in modernen Gesellschaften nicht gerecht. Doch hier finden sich dann auch die Teilnehmer_innen des »Marsches für das Leben« mit der auf Plakaten vorgetragenen Forderung nach einer »Willkommenskultur für unsere Kinder« und »Rettungspaketen für unsere Familien« wieder. Ganz rechts in der Mitte kommt derzeit zusammen, was zusammen gehört.
Juliane Lang