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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 609 / 20.10.2015

Vergesst die Ideologien!

Diskussion Streicheln gegen Nazis? Über die männliche Tötungslust und die Körper, die sie hervorbringt

Interview: Jan Ole Arps

Ob feixende SS-Mörder oder junge Dschihadisten, die darüber scherzen, wie sie »einen schlachten« wollen - das Lachen begleitet das Morden, vor allem das Morden in »größeren Zusammenhängen«, schon solange es Aufzeichnungen darüber gibt. Um diesem Lachen auf die Spur zu kommen, montiert Klaus Theweleit in seinem jüngsten Buch Zeitungsartikel über IS-Kämpfer, Interviews mit den Folterknechten der indonesischen Militärdiktatur, Gesprächsprotokolle von Wehrmachtsoldaten und Auszüge aus dem Manifest des Muslimhassers Anders Behring Breivik zu einem Mosaik der männlichen Tötungslust. Das Fazit? Schaut auf die Körper.

Herr Theweleit, wie kann Töten »Spaß« machen?

Klaus Theweleit: Sie haben sicher noch nie eine Fliege mit Spaß zu Tode gequält, sondern sie nur erschlagen. Manche haben aber Spaß daran. Warum, glauben Sie, zeigt Sergio Leone in seinem Westernklassiker »Spiel mir das Lied vom Tod« einen erklärten Gutmenschen wie Henry Fonda dabei, wie er mit Grinsen einen kleinen Jungen erschießt und unter Gelächter Wehrlose ermordet? Leone hat da wohl etwas erkannt, etwas Grundlegendes.

Was verbindet Anders Behring Breivik mit einem jungen Hate-Radio-Hörer 1994 in Ruanda mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos mit einem Jugendlichen aus Dinslaken, der sich dem IS anschließt?

Es verbindet sie nicht nur, dass sie alle mit Gelächter morden - beim NSU sieht man das Lachen in ihrem »Bekennervideo«, in welchem sie die neun Morde an Immigranten als nationale Heldentaten in »lustig« gereimten Versen feiern - es verbindet sie auch, dass sie alle ihr Morden im Namen eines »höheren Rechts« durchführen: im Namen eines »höheren Glaubens« (der eine als »Christ«, die andern im Namen »Allahs«), die nächsten im Namen einer »höheren Rasse« oder einer »politischen Revolution«, die ihnen jeweils die persönliche Verantwortung für das Morden abnehmen. Sie morden für die »höhere Sache«, vor keiner irdischen Gerichtsbarkeit sind sie verantwortlich. Frei in »göttlicher Kriminalität«.

Beim Lesen Ihres Buches kann man den Eindruck gewinnen, jeder junge Mann, der in schwierigen Familienverhältnissen aufwächst, sei eine potenzielle Bombe.

Jeder junge solche Mann ist eine potenzielle Bombe. Eine klar bestimmbare Grenze zwischen einem »instabilen« Menschen und einem »Massenmörder« gibt es nicht. Es sind zu viele Unwägbarkeiten im Spiel, besonders bei Jugendlichen in den Wallungen der Pubertät, die mit der Empfindung höchst unsicherer und teils bedrohlicher Körperzustände einhergehen. Wenn dazu der »soziale Boden« schwankt, wird es gefährlich. Man kann dafür ein Gespür entwickeln und vielleicht helfend eingreifen. Es ist ja eine Minderheit, die zum Dschihad entschwindet; die meisten finden einen anderen, tragfähigen Boden.

Sie schreiben, die ideologische Unterfütterung der Taten sei austauschbar - der Islamhasser Breivik sei strukturell ebenso Dschihadist oder SS-Mann -, vor allem gehe es um einen körperlichen Akt: Das Töten und Zerschmettern diene der Stabilisierung eines als bedrohlich empfundenen Innern.

Bestimmte - jetzt sehr allgemein gesprochen: gewaltsame - Behandlungsweisen von Körpern, angefangen beim Kleinkindkörper, hinterlassen diesen in einem Zustand, den ich als »Fragmentkörper« bezeichne. »Nicht-zu-Ende-Geborene« sage ich in den »Männerphantasien«. Diese Körper leiden unter einer mangelnden Ausdifferenzierung des eigenen Gefühlsapparates. Sie bilden keine verlässlichen »inneren Objekte« aus, wie das psychoanalytisch heißt. Zu einem Gefühl von Ganzheit und innerer »Ausgeglichenheit« kommen sie dann oft nur durch Gewaltakte gegen andere. Das eigene bedrohliche unstrukturierte Innere wird im »Anderen« bekämpft. Wenn dessen »störende Existenz« beseitigt ist und dieser Andere tot daliegt, scheint auch das eigene Innere beruhigt. Diesen Mechanismus gibt es leider. Das Lachen beim Töten ist sein krassester körperlicher Ausdruck.

Wie kommt es, dass jemand sein eigenes Inneres als unstrukturiert und bedrohlich wahrnimmt?

Die Wahrnehmung des eigenen Inneren als potenziell »bedrohlich« kennen alle. Es kommt auf den Grad der Bedrohlichkeit an. Die Körper, die am schlimmsten behandelt wurden - denen keine lustvolle libidinöse Besetzung der eigenen Körpergrenzen, sprich: ihrer Haut, gelingt - erleben ihr eigenes Inneres in Bedrohungssituationen als chaotisch undifferenziert, zugespitzt: als Gemenge von Blut und Scheiße, das es irgendwie zu beherrschen gilt. Es funktioniert - es scheint zu funktionieren -, wenn man den Anblick »blutiger Brei« in einem äußeren Objekt herstellt, im Getöteten.

Von innerer Unsicherheit zum Töten ist es immer noch ein großer Schritt. Sie beschreiben, wie das Töten »erlernt« werden muss. (Anders Breivik zum Beispiel protokollierte ausführlich, wie er seinen Körper durch Training in eine Tötungsmaschine verwandelte.) Das klingt erstmal wenig lustvoll.

Gefühle treten meist als vermischte auf, so auch die Tötungslust. In Kampfsituationen etwa steckt im Gelächter beim Töten sicher auch der Versuch, die eigene Todesangst zu überlachen. Wie die sexuelle Erregung beim Töten entsteht, ist kein geklärter Prozess. Ich stelle zum Beispiel die Frage, wie es geht, dass Männer, die darangehen, in einer Bürgerkriegssituation die Tochter des Nachbarn zu vergewaltigen - auch noch unter den Augen ihres Vaters, der, mit einem Gewehr bedroht, danebensteht und zusehen muss -, wie es überhaupt geht, unter solchen Umständen die notwendige Erektion zu bekommen. Ich behaupte, Körper, die lustvolle sexuelle Beziehungen erlebt haben, könnten das nicht. Beweisen kann ich das nicht. Meine Vermutung geht dahin, dass in bestimmten Körpern, die lustvolles sexuelles Erleben nicht kennen, die dafür aber mit Gewaltvorgängen vollgestopft sind, die sexuelle Erlebnisstruktur sich nicht ausbildet; dass also das, was in glücklicheren Körpern als sexuelle Lust auftritt, hier gleich in Gewaltformen erscheint. Nicht »sexualisierte Gewalt«, sondern gar keine »Sexualität«; vielmehr Sexualität als Gewalt. Dies ist ein vielfach diskutiertes Gebiet ohne sichere Antworten. Dass das exzessive Gelächter beim Töten oft aber Züge trägt, die dem ähneln, was bei sexuellen Menschen orgiastisches Erleben wäre, ist empirisch belegbar. Das Orgiastische scheint dann ersetzt durch eruptive Gewaltformen.

Warum ist das lustbesetzte Massenmorden eine Männerdomäne?

Die männliche Körperlichkeit ist seit 12.000 Jahren darauf ausgerichtet, ihre Konflikte, innere wie äußere, in die Außenwelt hinein auf motorischem Wege zu erledigen: physisch-muskulär. Die weiblichen Körper unterliegen einem anderen kulturellen Drill.

Welchen Umgang haben junge Frauen oder Mädchen mit ihren »fragmentierten« Körpern - die es doch sicher auch gibt?

Sicherlich gibt es die zerstörten oder »gestörten« weiblichen Körperlichkeiten auch. Sie äußern sich aber selten in körperlich ausgeübter exzessiver Gewalt. Nirgendwo auf der Welt laufen Frauenhorden herum, deren Tagewerk darin besteht, andere Menschenkörper mit Macheten zu zerhacken und dies mit brüllendem Gelächter zu feiern. Lynndie England zum Beispiel feixte über gequälten Männerkörpern im Irak als einzelnes Teil einer (männlichen) Wärtergruppe - nicht primär als weibliche Folterin. Frauen können Gewalt über ihre Kinder ausüben, gegen ihre Männer in vielfältiger Weise, auch gegen andere Frauen. Lassen Sie Ihre Fantasie spielen. Aber in körperzerfetzenden Killergruppen treten sie nicht auf. Übrigens auch, weil die killenden Männer sie nicht dabeihaben wollen bei ihren Vergnügungstouren.

An welchen Orten in der Gesellschaft wird die Fähigkeit zu töten heute gelernt?

Außerhalb des Militärs, wo das Erlernen des Tötens zum täglichen Handwerk gehört, wüsste ich in unserer Gesellschaft keinen Ort, wo ein solches systematisches Erlernen geschähe. Überall, wo es einen leichten Zugang zu Waffen gibt, wird es aber befördert.

Menschenverachtende Ideologien, Hate Speech oder die Wut, die sich bei »besorgten Bürgern« oder in den Kommentarspalten im Internet Bahn bricht, spielen als Nährboden keine Rolle?

»Nährboden« ist ein weiter Begriff. Entscheidend ist die Anzahl tötungsbereiter Körper, die auf Entfesselung und Ermächtigung warten. Hate Speech, Internetspalten etc. können als Düngemittel für solchen »Nährboden« wirken. Für die meisten genügen sie als Abführmittel für die angesammelten Hassgefühle. Zur Waffe zu greifen, ist nochmal ein eigener, spezieller Akt. Das Internet ist vor allem für die Verbreitung geschehener Morde von großer Bedeutung. Menschen in der irakischen Wüste zu enthaupten, wäre völlig sinnlos, wenn man das nicht auf Youtube zeigen könnte. Dann würde es genügen, sie zu erschießen. Zu den Taten der lachenden Killer gehört ihre Inszenierung und die anschließende Ausstellung, so dass »wir«, so dass die ganze Welt gezwungen ist, das zur Kenntnis zu nehmen. Das Netz ist nicht Auslöser, aber es ist Teil des Tötungsvorgangs.

In dem politischen Milieu, aus dem ich komme, sind ideologische und soziologische Erklärungen beliebt, psychologische und körperliche Vorgänge spielen dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Nun sagen Sie, die Ideologien seien zweitrangig, die Körperzustände der Mörder das Entscheidende. Was heißt das für einen gesellschaftlichen Umgang mit den potenziellen Mördern? Streicheln gegen Nazis?

Streicheln kann man nur Personen, die sich streicheln lassen. Die Neonazis lassen sich nicht, es sei denn, durch Menschen ihresgleichen. Was positive Folgen haben kann. Freundliche Berührungen durch andere Körper, überhaupt: Beziehungen sind einer der wenigen Wege zur möglichen Veränderung von Menschen. Es sind in der Tat die Körper, die sich verändern. Die Ideen folgen dann schon.

An einer Stelle vergleichen Sie die Rechthaber Anders Breivik und Thilo Sarrazin, die nicht nur inhaltlich ähnlich argumentieren, sondern in ihren Begründungsreden mit Statistiken nur so um sich werfen. Sie schreiben: »Wer eine Stunde redet, um eigene Standpunkte zu untermauern und seine Handlungen zu rechtfertigen, ist strukturell ein Faschist; unabhängig davon, was er inhaltlich sagt.« Wenn wir diese Form der Rechthaberei als Gradmesser nehmen, ist das faschistische Potenzial in der Gesellschaft ziemlich groß.

Ja, ist es. Es ist allerdings eine Art »kalter« Faschismus, der das direkte Töten aus der eigenen Gesellschaft auslagert, in andere Kontinente verlagert (wie die Europäer es recht erfolgreich tun). Sie begnügen sich mit Dauer-Rechthaben, Waffenexporten und Gewinnmaximierung. Die »rationale Begründungsrede« ist eine ihrer Hauptwaffen dabei. In den politischen, sozialen und persönlichen Wirklichkeiten gibt es dagegen eine Menge sogenannter »Widersprüche«, die nebeneinander bestehen und nicht daran denken, sich irgendwie »auflösen« zu lassen. Die rein »rationale« Rede, die nur mit Ursachen und Wirkungen hantiert, kommt da überhaupt nicht ran. Sie ist grundsätzlich unterkomplex und damit oft gewaltsam. Mit irgendwelchen »Argumenten« »begründen« lässt sich buchstäblich Alles und Jedes.

Es ist quasi ein Markenzeichen der politischen Debatte, die eigene Position als möglichst rational darzustellen. Was wäre Ihr Gegenvorschlag? Wenn »Ängste und Sorgen der Bürger« ins Spiel kommen, ist ja ebenfalls größte Vorsicht angebracht ...

Mit »rationalen Begründungen« zur Lage der Flüchtlinge wird man keine zur Gewalt entschlossenen Menschen von ihren Taten abhalten. In unserer Kultur lernt man, jeden Dreck »rational« zu begründen. Leute, die helfen wollen, brauchen solche Argumentationen nicht. Der Hilfeimpuls folgt einem Gefühl: der Wahrnehmung, dass Menschen in Not sind und man etwas tun kann. Menschenrechte und ähnliche gesetzlich verankerte Komplexe sind nicht »rational« begründet, sondern aus dem Wunsch, das Leben der Menschen möglichst unbedroht zu gestalten. Die »Sorgen der Bürger ernst nehmen«? Wer sich wirklich Sorgen macht, hilft; der zündelt nicht. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es - das ist nicht rational, nur wahr. Und braucht keine Begründung.

Klaus Theweleit: Das Lachen der Täter: Breivik u.a. Psychogramm der Tötungslust, Residenz Verlag, Wien 2015, 248 Seiten, 22,90 EUR.

Klaus Theweleit

ist Literaturwissenschaftler und Autor und hat sich schon länger der Erforschung von Gewalt und Männlichkeit verschrieben. Sein 1977 erschienenes Doppel-Buch »Männerphantasien« rekonstruierte anhand der Briefe und Notizen deutscher Freikorpssoldaten die psychische und körperliche Verfasstheit der faschistischen Männer, die den Nationalsozialismus prägten. An diese Arbeit knüpft »Das Lachen der Täter« an.