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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 610 / 17.11.2015

Aufgeblättert

Die »neue« AfD

Die Partei Alternative für Deutschland (AfD) feiert dieser Tage ein Comeback in der öffentlichen Wahrnehmung - und in den Umfragen zum Wahlverhalten. Sie darf sich durchaus Chancen ausrechnen, im März 2016 in die Landtage von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt einzuziehen. Grund genug, einen Blick in die Analysen zu werfen, die bisher zur AfD erschienen sind - die Arbeit von Alban Werner etwa, der eine politikwissenschaftliche, aber dennoch verständliche Analyse vorgelegt hat. Er bettet die Entstehung der AfD ein in gesellschaftliche Veränderungen. Die Partei sei »das Geschöpf eines Umbruchs in der bundesrepublikanischen Gesellschaft« und zugleich »Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks, der sich seit Ende der 1990er Jahre durchsetzt«. Der AfD komme dabei entgegen, dass »die Angriffspunkte wirtschaftsliberaler und rechtskonservativer Kritik besser sichtbar und erfahrbar sind«. Dazu hätten nicht nur populäre Leitfiguren wie Thilo Sarrazin beigetragen, sondern auch die Verbreitung der Inhalte durch Social Media. Und die Rolle der herrschenden Politik? Werner verliert sie nicht aus den Augen. PEGIDA sei auch auf die Politik der zentralen Unterbringung von Geflüchteten zurückzuführen: Diese beförderten deren Stigmatisierung und böten damit einen Anknüpfungspunkt für rechte Agitation. Einiges, von dem Werner schreibt, ist mittlerweile überholt. Dennoch bietet das Buch reichlich Material, um auch die »neue« AfD besser zu verstehen.

Sebastian Friedrich

Alban Werner: Was ist, was will, wie wirkt die AfD? Neuer ISP Verlag, Köln 2015. 207 Seiten, 17,80 EUR.

Linke Veteran_innen

In der linken Szene ist das Bestreben nach einem generationenübergreifenden Austausch eher selten anzutreffen. Das Buch »dabei geblieben« bildet da eine Ausnahme. Es enthält 25 Interviews mit älter gewordenen linken Aktivist_innen. Darin hat nicht nur Selbstvergewisserung ihren Platz, sondern auch eine ganze Menge Zweifel. Dass die Autorin sich nicht mit Definitionen aufhält, verleiht dem Buch eine gewisse Leichtigkeit. Zugleich bleibt unklar, nach welchen Kriterien die Interviewpartner_innen ausgewählt wurden, wie »Alter« und »alt werden« definiert werden und vor allem: was eigentlich als links gilt. Die großen Brüche in der bundesrepublikanischen Linken werden nicht skizziert, und auch die Interviewpartner_innen berichten kaum davon. Der Subtext vermittelt eine - von der Autorin selbst angezweifelte - Anerkennung des »dabei Bleibens«. Wichtig wäre jedoch nicht nur ein zweiter Band »nicht dabei geblieben«. Auch linke Inhalte und Entwicklungen müssten infrage gestellt werden. Zu den Beweggründen derer, die sich aus linken Milieus entfernen, gehört schließlich nicht nur ihre berechtigte Kritik an der Szene-Borniertheit, sondern auch die Infragestellung von Inhalten und Konzepten. Auch das trotzige Dabeibleiben kann zum Problem werden, sofern die Fähigkeit zur eigenen Reflexion und Veränderung abhanden kommt. Insgesamt liefert der Band vielfältige und durchaus unterhaltsame Einblicke in den Zusammenhang von Biografie und Aktivismus.

Johannes Spohr

Rehzi Malzahn (Hg.): dabei geblieben. Unrast Verlag, Münster 2015. 256 Seiten, 16 EUR

Linke und Gewalt

Durch Hendrik Wallats neues Buch »Gewalt und Moral« zieht sich wie ein roter Faden die Frage, wann die Oktoberrevolution und die von ihr ausgehenden weltweiten linken Bewegungen ihren emanzipatorischen Anspruch verloren haben. Neben Wallat versuchen sich sieben Autoren, ausschließlich Männer, an einer »historisch-philosophischen Annäherung an die Gewaltfrage in Emanzipationsbewegungen«. Dieser im Klappentext formulierte Anspruch wird in dem Buch auf hohem wissenschaftlichem Niveau eingelöst. Oskar Negt erinnert an Nikolai Bucharin, den auch seine Selbstbezichtigung im Interesse der Partei nicht vor der Hinrichtung durch den stalinistischen Terrorapparat bewahren konnte. Sebastian Tränkle beschäftigt sich mit der Reaktion von progressiven Intellektuellen auf revolutionäre Gewalt in der Geschichte. Mit dem Aufsatz »Sozialrevolutionäre versus reaktionäre Gewalt« des Frankfurter Soziologen Detlev Claussen macht das Buch einen linken Grundlagentext wieder zugänglich. Wallats Buch liefert Material, um an die früh abgebrochene Debatte wieder anzuknüpfen. Allerdings sind einige der Beiträge in akademischem Jargon verfasst. Das gilt besonders für Ingo Elbes Beschäftigung mit Carl Schmitt sowie für Gerhard Schweppenhäusers Aufsatz über den Stellenwert der Gewalt bei den Theoretiker_innen der Frankfurter Schule. Philippe Kellermann hingegen schreibt gut verständlich über die denkbar unterschiedlichen Positionen zur Gewalt in der anarchistischen Bewegung.

Peter Nowak

Hendrik Wallat (Hg.): Gewalt und Moral, Eine Diskussion der Dialektik der Befreiung. Unrast Verlag, Münster 2015. 284 Seiten, 18 EUR.

Fiktion mit Fallstrick

»Ja, ich habe etwas mit Ihnen vor, Herr M. Sie meinen vielleicht, Sie wären allein, aber ab heute bin ich da. In gewissem Sinn bin ich natürlich schon immer da gewesen, aber jetzt erst recht.« Hermann Kochs Roman beginnt mit einem ungewöhnlichen Leserbrief, der vieles ist, aber eines sicher nicht: Fanpost. Ironisch, bedrohlich und mitunter auch beleidigend geht der unbekannte Absender mit »Herrn M.«, diesem »alten und veralteten« Schriftsteller, ins Gericht. In der Tat befindet sich M. auf dem absteigenden Ast: Stramm auf die 70 zugehend, quält er sich zu Lesungen und Preisverleihungen, parliert mit den verhassten Kollegen und produziert zuverlässig weiterhin Romane, doch sein einziger Spitzentitel liegt bereits Jahrzehnte zurück: Ein Krimi über das ungeklärte Verschwinden eines Lehrers bescherte ihm den literarischen Durchbruch - eine Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruhte und seinerzeit für Schlagzeilen sorgte. Unter Verdacht: ein renitenter Schüler und seine Freundin, mit der der Lehrer einst eine Affäre hatte. Dass das letzte Wort über diese verjährte Geschichte indes noch nicht gesprochen ist, macht M.s geheimnisvoller Stalker ihm mehr als deutlich. »Sehr geehrter Herr M.« ist ein komplexer Krimi mit vielen überraschenden Wendungen, eine bitterböse Abrechnung mit dem Buchmarkt, eine subtile Geschichte über das Erwachsenwerden und nicht zuletzt ein brillantes Lehrstück über das literarische Spiel mit Fakten und Fiktionen.

Stephanie Bremerich

Hermann Koch: Sehr geehrter Herr M. Aus dem Niederländischen von Christiane Kuby und Herbert Post. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015, 400 Seiten. 19,99 EUR.