Das Ende des offenen Internets
Wirtschaft & Soziales Das EU-Parlament schafft die Netzneutralität ab
Von Susanne Lang
Am 27. Oktober 2015 verabschiedete das Europäische Parlament die EU-Verordnung zum Telekommunikationsbinnenmarkt, die neben Regelungen zum Roaming auch über essenzielle Fragen der Netzneutralität entscheidet. Im Kern geht es bei Netzneutralität um die Regulierung der Netze: Wer darf entscheiden, welche Daten in welcher Geschwindigkeit das Internet passieren? Nach nunmehr über zwei Jahre andauernden Verhandlungen zwischen dem EU-Ministerrat für Verkehr, Telekommunikation und Energie, dem EU-Parlament und der EU-Kommission ist jetzt ein Kompromisstext verabschiedet worden, den die Internet-Zivilgesellschaft als das Ende des offenen Internets in Europa bezeichnet.
Alexander Sander vom Verein Digitale Gesellschaft kommentierte den Beschluss so: »Mit der Entscheidung opfert das EU-Parlament das freie und offene Netz in Europa den Gewinninteressen einiger weniger Telekommunikationskonzerne. Statt den vielfach geäußerten Bedenken von Zivilgesellschaft, Verbraucherschützern, Onlinewirtschaft und Medien Rechnung zu tragen und für eine starke Verankerung der Netzneutralität zu sorgen, lässt sich das Parlament von Kommission und Ministerrat bereitwillig vor den Karren spannen. Damit schadet es der eigenen Glaubwürdigkeit ebenso sehr wie der Innovationskraft des Internets, der Meinungs- und Informationsfreiheit in ganz Europa.«
Diese Befürchtungen sind nicht übertrieben. In den Pionierzeiten des Internets galt das Prinzip der Egalität - alle Daten hatten die gleichen Rechte und wurden mit derselben Priorität bei der Datendurchleitung behandelt. Nachdem sich aber das Internet nicht nur zum wichtigsten Kommunikationsraum entwickelt hatte, sondern auch ein zentraler Konsumort geworden war, fingen die »Probleme« der Provider an: Datenintensive Dienste wie Filmstreaming oder Internettelefonie brauchen eine gewisse Bandbreite, um zu funktionieren.
Priorisierung von Diensten statt Netzausbau
In Regionen, die eine schlechte Internetinfrastruktur haben, wollten die Provider trotzdem gerne viele DSL-Anschlüsse verkaufen, auch wenn die Kapazitäten dafür eigentlich nicht ausreichten. Wie also können die vorhandenen Ressourcen so effizient eingesetzt werden, dass noch mehr davon vermarktet werden kann? Statt über Datensparsamkeit und Netzausbau zu reden, wurde jetzt über die Priorisierung von Diensten geredet.
Eigentlich hätte zu diesem Zeitpunkt regulierend eingegriffen werden müssen. Aber in einer Zeit, in der sich der Staat immer mehr zurückzieht und Wirtschaftsliberale wesentliche Teile der Gesellschaft komplett neu erschaffen, kommt die Regulierungsinitiative von der Providerlobby. Mit dem jetzt verabschiedeten Gesetz ist es amtlich: Bestimmte Dienste dürfen nun priorisiert werden.
In der Praxis wird das so aussehen: Die Internettelefonie des eigenen Providers soll priorisiert werden, Streamingdienste von angeschlossenen Unternehmen ebenso. Unter dem Begriff des »zero-rating« finden sich dann noch besonders ausgefuchste Ideen: Da die Bezahlbereitschaft im Internet nach wie vor nicht so groß ist, sollen bestimmte Dienste oder Plattformen vom abgerechneten Datenvolumen der einzelnen Nutzer komplett ausgenommen sein. Wer kein Datenvolumen mehr hat, kann dann zum Beispiel nur noch Telekom-Websites besuchen.
Nach einer ähnlichen Logik betreibt Mark Zuckerberg gerade den Ausbau der Netzinfrastruktur in sogenannten weniger entwickelten Ländern wie beispielsweise Indien. Mit dem Slogan »Connectivity is a human right« und unter dem Namen Internet.org wird dort seit 2013 der armen Bevölkerung ein kostenloses Internet zur Verfügung gestellt, das nur ausgewählte Dienstanbieter beinhaltet - dass Facebook dazu gehört, dürfte nicht verwundern. Es braucht wenig Phantasie, um sich vorzustellen, welche Auswirkungen ein solches Zweiklasseninternet haben wird.
In Deutschland schreitet die Telekom als einer der Hauptlobbyisten auch gleich voran: Bereits zwei Tage nach Verabschiedung des Gesetzes reagierte der Konzernchef und stellte ein neues Geschäftsmodell vor, das die ZEIT mit den Worten kommentiert, es gieße »die schlimmsten Befürchtungen von Netzaktivisten in einen Businessplan«. So sollen Videokonferenzen und Onlinespiele als mögliche Spezialdienste für Unternehmen zu einem entsprechenden Aufpreis in gesicherter Qualität angeboten werden können. Wer also Videotelefonie anbieten möchte, muss sich überlegen, ob er dazu bei der Telekom entsprechende Kapazitäten für seine Nutzer_innen bucht oder damit lebt, dass der Dienst schlechter erreichbar ist.
Bis diese wirtschaftsliberale Vision eines Internet der Dienste weltweit und vollständig durchgesetzt ist, wird noch ein wenig Zeit vergehen. Vielleicht genug Zeit, um Initiativen zur Vergesellschaftung des Internets an den Start zu bringen. Der Kampf um eine demokratische staatliche Regulierung der Netze wurde jedenfalls vorerst gegen die Providerlobby verloren.
Susanne Lang schreibt in ak über gewerkschaftliche und netzpolitische Themen.