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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 611 / 15.12.2015

Im Schatten von TTIP und TISA

International Europas Freihandelsabkommen mit ehemaligen Kolonien gehen zu deren Lasten

Von Franziska Müller

Die Proteste gegen TTIP und TISA haben in diesem Jahr hunderttausende Menschen auf die Straße gebracht. Ein breites Bündnis hatte zu einer der größten Demonstrationen seit Jahrzehnten mobilisiert und mit vielen kreativen Protestformen klargemacht, dass die geplante Aushöhlung des Verbraucherschutzes, ein Klagerecht für transnationale Investor_innen und ein extrem intransparenter Verhandlungsverlauf allesamt skandalös sind und eine demokratische und faire Außenhandelspolitik anders aussehen muss.

Jenseits der TTIP-Verhandlungen vollzieht sich aber schon seit fast 15 Jahren ein Politikprozess, der weit weniger öffentliches Interesse weckt, obschon sich auch hier das europäische Hegemonieprojekt in all seiner diskursiven und materiellen Macht offenbart. Die Rede ist von den Economic Partnership Agreements (EPAs) - bilateralen Freihandelsverträgen zwischen der EU und den 78 AKP-Staaten, ehemaligen Kolonien in Afrika, der Karibik und dem Pazifik.

Leitgedanke für die EPAs ist die Idee einer wechselseitigen Öffnung der Märkte. Sie basieren somit auf der Vorstellung, eine »Entwicklung« der AKP-Staaten sei nur möglich, wenn diese sich entschlossen der Weltmarktkonkurrenz aussetzten. Verbrämt wird dieses Vorhaben mit einer Palette liberaler Normen. Freihandel avanciert dabei zu einer ähnlich positiv gerahmten Norm wie parlamentarische Demokratie, universale Menschenrechte oder Rechtsstaatlichkeit.

Auf der Verhandlungsagenda der EPAs steht somit eine umfassende Liberalisierung, die nicht nur die klassischen Themen wie etwa die Abschaffung von Einfuhrzöllen oder Importquoten vorsieht, sondern tief in die wirtschafts- und handelspolitische Souveränität der Staaten hineinregiert. Die hochkontroversen »new generation trade issues« umfassen ein Bündel von Maßnahmen, das von der Liberalisierung der Investitionsbedingungen über die Einführung von geistigen Eigentumsrechten (Copyright, Patentrecht inklusive Biopatenten) bis hin zu einer möglichst weitgehenden Privatisierung und Deregulierung der Dienstleistungssektoren reicht.

Schon seit langem strebt die EU an, dieses Themenbündel in der WTO zu verhandeln. Aufgrund der Krise der Doha-Runde (1) blieb diese multilaterale Strategie aber chancenlos, weswegen die EPAs und andere bilaterale Freihandelsprojekte nun die Chance bieten, dieses Vorhaben in weniger politisierten Verhandlungsarenen umzusetzen.

Lernziel Marktöffnung

Die Verhandlungen mit den sechs Regionen (Karibik, Pazifik und vier Regionen in Subsahara-Afrika) verliefen schleppend und dauerten fast sieben Jahre länger als geplant. Insbesondere die Handelskommissare Peter Mandelson und Karel De Gucht zeichneten sich durch einen Verhandlungsstil aus, der für die AKP-Staaten schwer auszuhalten war: Die EU-Kommissare arbeiteten mit äußerst strikten Deadlines, drohten an, bei mangelnder Erfüllung der Vorgaben die bisherigen Handelspräferenzen von einem Tag auf den anderen zu entziehen, und kündigten an, AKP-Gelder aus dem Europäischen Entwicklungsfonds zu blockieren. Solche Sanktionspraxen zwangen die Staaten dazu, die Abkommen einzuleiten, ohne sich hinreichend mit den Vertragstexten auseinandersetzen zu können.

Zudem waren die Verhandlungen durch intensives Lobbying geprägt. Eine - von der europäischen Generaldirektion Handel selbst gegründete! - Allianz europäischer und afrikanischer Handelsverbände, der EU SADC Business Council, fuhr einen radikalliberalen Kurs, gegenüber dem die Strategie der offiziellen EU-Vertreter_innen schon fast sozialdemokratisch anmutete. Hinzu kamen Vorschläge wie der des European Services Forum, einem Unternehmensnetzwerk des Dienstleistungssektors: Die Umsetzung der EPAs solle durch »market access teams« begleitet werden, die ohne Legitimation einen Exklusivzugang erhalten hätten, um handelspolitische Interventionen durchführen und ein flexibles System von Disziplinierung und Kontrolle errichten zu können.

Währenddessen artikulierte sich deutlicher Protest vonseiten zivilgesellschaftlicher Initiativen, Gewerkschaften und NGOs - genannt seien hier beispielsweise das ghanaische Third World Network und die kenianische NGO ACORD. Insbesondere in Ghana und im Senegal kam es zu Massenprotesten und Großdemos. Auch in Europa bestand eine Stop-EPA-Kampagne.

Allerdings gelang es in Europa im weiteren Verlauf nicht, eine größere politische Öffentlichkeit jenseits entwicklungspolitischer Initiativen und Expertenkreise zu mobilisieren und die Verbindungen zwischen EPA-Protesten im globalen Süden und politischen Kämpfen für soziale Rechte und bäuerliche Landwirtschaft hierzulande deutlich zu machen. Vielleicht, weil man selbst nicht betroffen zu sein scheint? Solidarisches Handeln bringt leider weit weniger Menschen auf die Straße als die Sorge ums Chlorhühnchen auf dem eigenen Teller.

In den nächsten Jahren steht in einigen AKP-Regionen für insgesamt 49 Staaten die Umsetzung des Freihandelspaketes an. Bereits verabschiedet wurden bis zum Sommer 2014 Abkommen mit der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC), der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) und den Karibischen Inseln. Den Bündnissen gelang es dabei, 20 bis 25 Prozent ihres Handelsvolumens - das heißt viele sensible Produkte - von einer Liberalisierung auszunehmen, wobei die Umsetzungszeiträume zwischen zwölf Jahren (SADC) und 20 Jahren (ECOWAS) variieren. Damit bestehen durchaus Flexibilitäten, die die Staaten strategisch nutzen können. Auch die »new generation issues« sind vorerst weitgehend ausgeklammert; allerdings werden sie bei einer Vertragsrevision wieder auf der Agenda stehen.

Schlechte Chancen für eine eigenständige Handelspolitik

Doch obwohl die EPAs hinter die Forderungen der EU zurückfallen und weniger katastrophal als frühere Vertragsentwürfe sind, drohen ernste Konsequenzen. Zwar konnten einzelne Bündnisse gut verhandeln und zivilgesellschaftliche Forderungen aufgreifen. Doch der insgesamt defensive Charakter der EPAs enthält wenig Elemente für eine selbstbewusste und eigenständige handelspolitische Strategie, die eine Emanzipation vom übermächtigen Handels»partner« und außenpolitischen Hegemon EU demonstrieren könnte.

So bieten die EPAs keine Anreize, um die regionale Integration zwischen afrikanischen Staaten zu stärken, sondern unterminieren mit ihrem Fokus auf die Weltmarktkonkurrenz und den individuellen, freien Wettbewerb zwischen Exportprodukten derlei Bemühungen. Bedroht sind damit in den 49 Vertragsstaaten insbesondere Arbeitnehmer_innen sowie Bauern und Bäuerinnen: Der Druck auf Löhne wird wachsen, Preise für Agrarprodukte werden volatiler, und die Konkurrenz durch Importprodukte steigt. Auch die EPAs werden Fluchtursachen hervorbringen, wenngleich diese - ähnlich wie auch bei der Klimamigration - diffus ausfallen und sich zunächst eher als Binnenmigration, Landflucht oder schleichende Verarmung manifestieren.

Auf der außenpolitischen Ebene wird durch die EPAs auch die Süd-Süd-Kooperation - das heißt die Suche nach anderen handelspolitischen Partner_innen - gefährdet. Denn wenn eine Region beispielsweise mit Brasilien, Indien oder China kooperieren möchte, müssen dabei aufgrund der Meistbegünstigungsklausel der EU dieselben Präferenzen gewährt werden.

Politische Bewegungsperspektiven

Darüber hinaus werden die plurilateralen Verhandlungen über TTIP, TISA und Co. künftig im handelspolitischen Diskurs markieren, wohin die Reise gehen soll. Die jetzt noch existierenden Handelspräferenzen und die Ausklammerung der »new generation issues« könnten dadurch auf der Kippe stehen - erst recht, da die AKP-Staaten bei den plurilateralen Deals nur Zaungäste sind und keinerlei Verhandlungsmöglichkeiten haben.

Was heißt das alles bewegungspolitisch? Die Konflikte um die EPAs sind in den TTIP-Protesten zwar hier und da sichtbar gewesen, so etwa im Rahmen einer Speakerstour von Attac. Trotzdem ist der Link vom TTIP zur Forcierung europäischer Handelsinteressen in Afrika bisher zu schwach ausgeprägt, um die EPAs und ihre Auswirkungen auf Millionen Menschen wieder ins Gedächtnis zu rufen. Der Fokus auf das TTIP betont primär die Folgen für Bürger_innen in den USA und Europa; die indirekteren - und natürlich schwerer vermittelbaren - Folgen auch für die AKP-Staaten sind weniger sichtbar.

Während ein Schulterschluss zum Beispiel mit amerikanischen Gewerkschaften gelang, droht eine Entsolidarisierung gegenüber all jenen, die durch die EPAs betroffen sind und in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet werden. Wichtig erscheint es daher, eine Kritik am europäischen Hegemonieprojekt möglichst inklusiv zu formulieren, und zwar in Solidarität mit afrikanischen Gewerkschafter_innen, Kleinbäuer_innen oder Fischer_innen.

Franziska Müller forscht als Politikwissenschaftlerin an der Universität Kassel zu Internationalen Beziehungen, postkolonialen Studien sowie Energie- und Entwicklungspolitik.

Anmerkung:

1) Als Doha-Runde wird ein Paket von Verträgen bezeichnet, welche die WTO-Mitgliedsstaaten 2001 auf ihrer vierten Konferenz in Doha bearbeiten und bis 2005 abschließen sollten. Aufgrund unterschiedlicher Ansichten der WTO-Mitglieder kam es aber bisher zu keinem Verhandlungsabschluss.