Die große Beseelung
Kultur Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit hat ein nervtötendes Manifest geschrieben
Von Jens Kastner
Am linken Rand des künstlerischen Feldes ist das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) unbeliebt. Die selbsternannte »Sturmtruppe zur Errichtung moralischer Schönheit« und »zum Schutz der Menschheit« hat in den vergangenen Jahren mit ihren Aktionen vor allem zur Flüchtlingspolitik einige Aufmerksamkeit erlangt. Sie sieht ihre »politische Aktionskunst« laut Selbstbeschreibung als eine der »Lehren des Holocaust«. Dennoch ist das Unbehagen der Kunstlinken am ZPS berechtigt, wie das nun erschienene Manifest dessen Gründers, Philipp Ruch, zeigt.
Und dabei ist Ruchs Empörung zunächst völlig gerechtfertigt: etwa darüber, dass es täglich 50.000 Hungertote weltweit gibt und die Medien über ein oder zwei Landsleute berichten, die irgendwo gestorben sind; oder darüber, dass das G3-Gewehr zu Deutschlands Exportschlagern gehört, man aber für die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmehr kein Geld ausgeben will. Es gibt noch viele solcher Ungerechtigkeiten, über die Ruch sich zu Recht aufregt und gegen die er anzuschreiben versucht.
Auch die Bedeutung, die er dem Begriff der Schönheit beimisst, muss nicht unbedingt gleich als Reminiszenz an längst überholte Wertvorstellungen abgetan werden. Denn er versteht Schönheit »als Gefühl«, das nicht absolut zu denken ist, sondern auch »kontingent, zerbrechlich, flüchtig oder subjektiv sein« könne. Vor allem aber rüttelt Schönheit auf und reißt mit, sie sei das »Erdbeben unserer Existenz«. Dass Affekt und Begehren nicht nur prinzipielle Handlungsmotivationen, sondern auch relevante Aspekte emanzipatorischer Politik sein können, ist auch in anderen Kontexten schon plausibel herausgearbeitet worden.
Anders als diese neueren politischen Theorien ringt Ruch aber nicht um Fragen nach der Beschaffenheit des Politischen und danach, wie die Subjekte darin als handelnde konstruiert werden. Politik ist bei ihm immer bloß das Kanzleramt sowie Personal und Institutionen der repräsentativen Demokratie. Deren Verlust an Visionen, Charme und Schönheit wird bejammert. Und die Leute, die unter ihrem Einflussbereich leben, sind vor allem moralisch verkümmert und politisch abgestumpft. Diese untätige und tumbe Masse ist die Adressatin des Buches, ihr möchte er näher bringen, was er für die »letzte verbliebene Utopie« hält: »Mitmenschlichkeit«.
So bescheiden aber die Utopie, so großspurig ihr Verfechter: Ruch inszeniert sich als einsamer Rufer in der Wüste der Orientierungslosen. Außer ein paar erwähnten Menschenrechtlern und Philosophen scheint es hier auch keine Vorläufer in sozialen Bewegungen oder politischen Zirkeln zu geben - Vorläuferinnen schon gar nicht. Und obwohl er meint, »die Kunst« könne »die Politik aus dieser aussichtslosen Lage« befreien, werden Beispiele künstlerischer Interventionen (außer dem ZPS) kaum besprochen.
Nicht aus kunsthistorischer Perspektive wäre das wichtig, sondern um die Effekte künstlerischer Praktiken beurteilen zu können. Aber solche Abschätzungen interessieren Ruch gar nicht. Er vertritt einen radikalen Sozialkonstruktivismus, der keine Macht und keine strukturellen Einschränkungen kennt: »Die Außengrenzen unserer Wirksamkeit werden im Inneren festgelegt.« Das soll aufmunternd sein, ist aber analytisch naiv und nährt politisch falsche Illusionen. Und es führt auch dazu, dass die Strukturbedingungen jeder Praxis sträflich vernachlässigt werden: Auf Strukturen abzielende Begriffe wie Kapitalismus, Sexismus oder - trotz flüchtlingspolitischen Fokus' - Rassismus spielen in seiner Analyse keine Rolle.
Vielleicht darf man es aber auch gar nicht Analyse nennen. Alles rückblickende Forschen ist Ruch nämlich zuwider, von Verstehenwollen keine Spur. Er nennt die Psychoanalyse eine »reine Regresstheorie« und lobt mit dem Antirationalisten Edmund Burke den Blick nach vorne. Wozu auch in der Vergangenheit wühlen, die Bedeutung, die wir ihr geben, so Ruchs voluntaristisches Credo, »legen wir selbst fest«.
Statt analytischer Kategorien durchzieht das Buch deshalb auch ein unhinterfragtes Wir: Das meint mal die Gegenwartsgesellschaften allgemein, mal »Deutschland« als Akteur der Weltpolitik, und es ist in dieser gleichzeitigen Unbestimmtheit und Allgemeinheit natürlich total nervtötend: »Uns« fehlt der Wille, das Bild unserer politischen Aktionen zu gestalten, »wir« haben die Möglichkeit, Menschen als schön oder hässlich zu sehen, »wir« bezweifeln heute mehr denn je, »einander zu brauchen«, und so weiter und so fort.
Dass die einen hier andere Bedingungen vorfinden als andere - oder auch andere Interessen vertreten - kommt Ruch gar nicht in den Sinn. So bleibt nicht nur die Zeitdiagnose ohne Gespür und Begriff von Differenzen, auch die politischen Appelle richten sich gleichermaßen an alle und verkünden die totale Gestaltbarkeit der Welt: »Wer die Kräfte seiner Seele wecken will, kommt nicht umhin, die Macht seiner Vorstellungen als Realität zu sehen.« Ach ja, die Seele. Sie, als anthropologische Konstante, »braucht die Schönheit.« Schönheit ist laut Ruch wiederum ein Wagnis, das »nur etwas für risikobereite Seelen« ist, also für Personen. Das soll sich anscheinend an alle richten, beschreibt aber wohl erst mal den Autoren und seine Gruppe selbst. Die schließlich beanspruchen, nicht weniger als eine »parallele deutsche Außenpolitik« zu machen. Dass die institutions- und repräsentationskritischen Ansätze der eingangs erwähnten linken Kunstkreise damit reichlich wenig zu tun haben, ist das eigentlich Beruhigende an diesem Buch.
Jens Kastner schrieb in ak 587 über den Fotografen Allan Sekula. Im Verlag Turia + Kant erschien gerade sein Buch zum Soziologen Zygmunt Bauman.
Philipp Ruch: Wenn nicht wir, wer dann? Ein politisches Manifest. Ludwig Verlag, München 2015. 208 Seiten, 12,99 EUR.