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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 612 / 19.1.2016

Aufgeblättert

Krieg beginnt in Köln

Die Kölner Gruppe Bundeswehr wegtreten! hat Ende 2015 einen aufwändig recherchierten und liebevoll gestalteten lokalen Anti/Militäratlas veröffentlicht. Die 84-seitige Broschüre gibt einen Überblick über alle bundeswehreigenen Einrichtungen in Köln, nennt Unternehmen in Köln, die mit der Bundeswehr zusammenarbeiten und an Militär und Rüstung verdienen. Außerdem werden Einrichtungen aufgezählt, die die Bundeswehr unterstützen, wie die Universität oder die Kirchen. Auch Straßen und Denkmäler, die an Militärs und Kriege erinnern, werden genannt. Auf einer Stadtkarte sind diese Orte und Institutionen markiert, die im Atlas mit Bild, Adresse und kurzer Erläuterung dargestellt werden. Köln war lange der größte Bundeswehrstandort der Republik und liegt nach Umstrukturierungen nun mit 5.720 Dienstposten auf Platz drei. Lange war die Bundeswehr in Köln nach den Fordwerken und der Stadtverwaltung der drittgrößte Arbeitgeber. Der Atlas zeigt aber auch Orte und Aktionen von antimilitaristischem Widerstand. So gab es immer wieder Protestaktionen gegen das Auftreten der Bundeswehr in der Kölnmesse oder an Schulen. Auch Initiativen wie der Arbeitskreis Zivilklausel an der Uni Köln werden in die antimilitaristische Tradition der Stadt gestellt. Angesichts aktueller Bundeswehreinsätze in Syrien und der Debatte um Aufrüstung und Vergrößerung der Bundeswehr ist die Broschüre notwendiger denn je. Sie ist auch als Aufforderung zum Handeln zu verstehen.

Anita Starosta

Bundeswehr wegtreten (Hg.): Wir. Machen. Krieg. Kölner Anti/Militäratlas. Bezug: P. Keller, Trajanstr. 5, 50678 Köln, E-Mail: paulilula@gmx.de. 84 Seiten, 5 EUR.

Shteyngarts Memoiren

Gary Shteyngart, Autor des Bestsellers »Super Sad True Love Story«, hat sein jüngstes Buch seinem Therapeuten gewidmet. Mit gutem Grund: Seine Memoiren, die er nun im Alter von 42 Jahren vorlegt, haben durchaus therapeutischen Charakter. Bereits als Kind beschließt er, Schriftsteller zu werden: »Wer täte das unter diesen Umständen nicht?« Diese Umstände sind folgende: Shteyngart, Jude sowjetischer Herkunft, verbringt seine Kindheit in Leningrad im Schatten einer riesigen Leninstatue. Er emigriert im Alter von sieben Jahren mit seinen Eltern nach New York, verbringt seine Jugend in Queens. »Kleiner Versager« ist der Kosename, den ihm sein Vater verpasst und der ihn jahrelang verfolgt. Doch das Buch ist keine Abrechnung mit der Familie, sondern der Versuch, die familiäre Situation zu verstehen. Und nicht nur die Familie macht Gary das Leben schwer. Die Integration in den Kapitalismus und in die Jugendkultur New Yorks geht nur schleppend voran. Sein Leidensweg umfasst die obligatorische Teilnahme am Hebräisch-Unterricht zu einem Zeitpunkt, an dem der frischgebackene Immigrant kein Wort Englisch spricht. Auch wird er durch den markanten Ostblockcharakter seines Gebisses das Objekt zahlloser Hänseleien seiner Zeitgenossen. Shteyngarts Erinnerungen sind ungeheuer amüsant zu lesen. Mit Charme und Selbstironie berichtet er über Missgeschicke und Zurückweisungen. So bleibt die therapeutische Wirkung des Buches nicht auf den Autor beschränkt.

Markus Berg

Gary Shteyngart: Kleiner Versager. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 480 Seiten 22,95 EUR.

Beate Zschäpe

»Der Teufel hat sich schick gemacht« oder »gefährliche Mitläuferin« - so klang die Berichterstattung vor und zum Prozessauftakt. Charlie Kaufhold beschäftigt sich in ihrem Buch «In guter Gesellschaft? Geschlecht, Schuld & Abwehr in der Berichterstattung über Beate Zschäpe« mit den Bildern, die von Zschäpe in FAZ, SZ, Bild, Spiegel Online, Die Welt, taz und nd gezeichnet wurden. Dabei entdeckt sie sowohl dämonisierende als auch bagatellisierende Darstellungen, die explizite Bezüge zu ihrer weiblichen Sexualität herstellen. Kaufhold wirft in ihrem Buch die Frage auf, warum die Berichterstattung so ist, wie sie ist. Sie stellt sie in die Tradition der Berichterstattung über NS-Täterinnen nach dem Holocaust und arbeitet Parallelen heraus. Durch das Buch wird deutlich, dass diese Art der Darstellung immer Angebote zur Schuldabwehr an die deutsche Dominanzgesellschaft gemacht hat: entweder durch Externalisierung (Täterinnen stehen außerhalb der gesellschaftlichen Norm) oder durch Identifikation (Täterinnen sind Opfer sozialer Umstände geworden). Was mit Schuld im Kontext des NSU gemeint ist, schimmert allerdings im sonst überaus klar und verständlich geschriebenen Buch erst am Ende auf. Kaufhold erinnert an die tradierte Schuldabwehr und verlangt eine grundsätzliche Kritik der herrschaftsförmigen, kapitalistischen Gesellschaft, die erst die Grundlage für den NSU bietet. Auch nach Zschäpes Einlassung im Prozess ein überaus aufschlussreiches Buch!

Anne-Kathrin Krug

Charlie Kaufhold: In guter Gesellschaft? Geschlecht, Schuld & Abwehr in der Berichterstattung über Beate Zschäpe. Edition Assemblage, Münster 2015. 112 Seiten, 14 EUR.

Linke EU-Kritik

Spätestens als sich im Sommer vergangenen Jahres die griechische Linkspartei SYRIZA dem von Deutschland diktierten Sparprogramm unterwarf, entbrannte in der europäischen Linken eine heftige Diskussion. Den Ausstieg aus der EU und dem Euro forderten die einen; ein Europa von unten, vielleicht sogar im Rahmen der bestehenden Institutionen, die anderen. Der aktuelle Schwerpunkt der Z, der Zeitschrift für marxistische Erneuerung, knüpft an die Diskussion an. Beleuchtet werden etwa SYRIZAs Strategie während der Verhandlungen, die Potenziale möglicher europaweiter Protestbewegungen und die Frage, ob sich ein Grexit für weite Teile der griechischen Bevölkerung überhaupt lohnen würde. Aus den rundum lesenswerten Beiträgen sticht einer heraus: Nico Biver zeigt detailliert auf, wie sich die soziale Basis der linken Parteien fundamental geändert hat. So entwickelte sich SYRIZA binnen weniger Jahre von einer Intellektuellen- zu einer Volkspartei. Das Problem: Der Partei fehle es an der gesellschaftlichen Verankerung, was sich in der vergleichsweise geringen Mitgliederzahl ausdrücke. Auch ein Blick auf die Beiträge außerhalb des Schwerpunkts lohnt sich. So überzeugen insbesondere die Artikel von Gerd Wiegel und John Lütten. Ersterer befasst sich mit der AfD, letzterer mit dem Zusammenhang von Struktur, Handlung und Herrschaft. Lütten argumentiert überzeugend für einen Marxismus, der Klassenverhältnisse ins Zentrum von Analyse und Praxis stellt.

Sebastian Friedrich

Z - Zeitschrift marxistische Erneuerung Nr. 104, Dezember 2015: Griechenland, EU und die Linke. 226 Seiten, 10 EUR.