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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 612 / 19.1.2016

In einem »ganz normalen Land«

Geschichte Zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in den Gedenkjahren 2014/15

Den historischen »Bruch« des Nationalsozialismus einzuhegen war schon immer ein zentrales Anliegen derjenigen bundesrepublikanischen Deutungseliten, die nach einem positiven Geschichtsbild und einer »gesunden« nationalen Identität verlangen. Bis in die 1990er Jahre trafen sie dabei auf vehementen Widerspruch. 70 Jahre nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes und 25 Jahre nach der Wiederherstellung des deutschen Nationalstaats scheint das Reparaturprojekt jedoch immer weiter fortzuschreiten, ohne noch auf hörbare Kritik zu stoßen.

Von Cornelia Siebeck

»Deutschland-Saga« - so war eine sechsteilige Sendereihe betitelt, die das ZDF zwischen November 2014 und März letzten Jahres ausstrahlte. Hier sollte es um die ganz großen Fragen der Nation gehen: »Woher wir kommen«, »Wovon wir schwärmen«, »Was uns eint«, »Wonach wir suchen«, »Was uns antreibt«, und schließlich: »Wer wir sind«.

Aus Sicht von ZDF-Kulturchef Peter Arens war es für diesen Rundumschlag höchste Zeit. Denn Arens, der mit »Unsere Besten« (2003-2008) oder »Die Deutschen« (2008-2010) bereits diverse nationale TV-Formate lanciert hat, ist sich sicher: »Die Deutschen interessieren sich immer mehr für ihre Geschichte.« Und zwar »beginnend mit den 90er Jahren nach der Wiedervereinigung und kulminierend in der Fußball-Weltmeisterschaft«. Vor allem aber, und darum geht es Arens, »auch jenseits des Geschichtsfelsen Nationalsozialismus (...), der sich jahrzehntelang vor unsere ältere Geschichte gelegt und für einen Bruch gesorgt hat zwischen einem Deutschland vor und einem Deutschland nach der Hitler-Diktatur.«

Dass sie selbst oder ihre Vorfahr_innen an einem Gesellschaftsverbrechen beteiligt waren, das Abermillionen Menschen das Leben gekostet hat und die Welt bis heute prägt, empfinden viele bundesrepublikanische Intellektuelle seit jeher vor allem als nationale Kränkung.

Der Ruf nach Normalität

Die NS-Vergangenheit begreifen sie weniger als historischen Tatbestand denn als metaphysischen Störfaktor, der nicht nur ihr subjektives Wohlbefinden beeinträchtigt, sondern auch die nationale Vitalität. Ihre Landsleute wähnen sie gramgebeugt und in Selbstzerfleischung befangen. So sollte nun auch die »Deutschland-Saga dazu beitragen, dass »wir Grübler uns am Ende etwas anders sehen und (...) vielleicht sogar ein wenig mehr mögen«, wie der ZDF-Kulturchef kokett schreibt: »Vielleicht sind wir ja doch ein ganz normales Land.«

Die Frage, was denn unter einem »ganz normalen Land« zu verstehen wäre, kommt dabei offenbar weder den Verfasser_innen noch den meisten Leser_innen solcher Kontemplationen in den Sinn. Die Sehnsucht nach »Normalisierung« und die ihr zugrundeliegende Überzeugung, in einem »unnormalen« Land zu leben, sind derart eingeschliffene Topoi bundesrepublikanischer Selbstbespiegelung, dass sie keiner Erläuterung mehr bedürfen.

Jenseits des ganz rechten Spektrums mag dabei allerdings kaum einmal jemand ausbuchstabieren, wie man sich das erträumte »ganz normale Land« vorzustellen hat. Dieses Land nimmt eher zwischen den Zeilen Gestalt an, und häufig dürften sich auch seine Propagandist_innen nicht voll darüber bewusst sein, wonach sie da eigentlich verlangen.

Es ist ein nebulöser Sehnsuchtsort, an dem sich alle darüber einig sind, woher sie kommen und wohin sie gehen. Das »ganz normale Land« definiert sich dadurch, was dort als »unnormal« verworfen wird. Und das ist alles, was das ersehnte Gefühl einer bruchlosen Selbstverständlichkeit stört, also letztlich jedes kritisch-reflexive Selbst- und Geschichtsverständnis. Zu Ende gedacht, erscheint dieses Land als antiemanzipatorische Utopie.

Utopien zeichnen sich bekanntlich dadurch aus, dass sie ein Gegenbild zu einem als negativ erlebten Ist-Zustand zeichnen. Dass Geschichte, Nation und Identität in der bundesrepublikanischen Gesellschaft nach 1945 radikaler auf dem Prüfstand standen als andernorts, wird von vielen offenbar bis heute nicht als emanzipatorische Chance zu historischer Reflexion und demokratischer Kontroverse wahrgenommen, sondern als permanente Zumutung.

Der »Geschichtsfelsen«

Für diese mehr oder weniger subkutane Befindlichkeit werden seit jeher gruselige Metaphern erfunden, die dann als Tatsachen verhandelt werden. In der alten Bundesrepublik wurde etwa andauernd lamentiert, wie lange man denn noch »in Sack und Asche gehen« und das »Büßerhemd« tragen müsse. Ein noch immer beliebtes Motiv ist das der »offenen Wunde«, gekoppelt an die bange Frage, ob und wann sich diese jemals wieder schließen dürfe.

Jüngeren Datums ist hingegen die Vorstellung von der NS-Vergangenheit als hinderlichem »Geschichtsfelsen«, die auch ZDF-Kulturchef Arens heraufbeschwört. Sie entstammt neurechten Texten der 1990er Jahre und hat sich seither - wie so manches - stetig in den Mainstreamdiskurs eingeschlichen. Bedenkenlos wird sie herbeizitiert, als ob es sich dabei um ein reales Objekt handeln würde, das einem andauernd irgendwie im Wege steht.

Die Idee vom »Geschichtsfelsen« verweist aber auch darauf, dass man nicht (mehr) damit rechnet, die NS-Vergangenheit einfach »vergessen« zu können. Sie wird hier als etwas imaginiert, das dauerhaft und unhintergehbar im nationalen Raum steht, mit dem man also leben muss. Um diesen »Geschichtsfelsen« zu nivellieren, muss dessen Umgebung neu gestaltet werden, und ebendiese Neugestaltung wurde in den letzten Jahren massiv vorangetrieben.

Dabei möchte man jedoch, wie Peter Arens betont, keineswegs »des Teutonischen und Vaterländischen verdächtigt« werden. Als unverdächtigen Moderator der »Deutschland-Saga« engagierte man beim ZDF daher den australisch-britischen Historiker Christopher Clark. Im roten Käfer Cabrio umspielte dieser den »Geschichtsfelsen Nationalsozialismus« in großzügigen Kreisen, traf »Ur-Deutsche« und Goethe, besichtigte zwar Buchenwald, aß aber auch eine Berliner Currywurst, um zu guter Letzt zu Vielfalt und Toleranz aufzurufen.

Das wäre in fast jeder Hinsicht banal, würden nicht Arens' Ausführungen das Projekt »Deutschland-Saga« in eine lange Tradition des Strebens nach einer »Normalisierung« deutscher Geschichte und Identität einschreiben. Und hätte nicht ausgerechnet Christopher Clark kurz vor Drehbeginn eine Studie zur Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs veröffentlicht (»Die Schlafwandler«, englisch 2012, deutsch 2013; siehe ak 589), anhand derer hierzulande eine geschichtspolitische Zentraldebatte neu eröffnet wurde, nämlich die um die »deutsche Schuld« am Ersten Weltkrieg.

Und wie schon in der alten Bundesrepublik (»Fischer-Kontroverse«, 1961ff.), ging es dabei vor allem um die »deutsche Schuld« an NS-Regime und Zweitem Weltkrieg. Christopher Clark habe bewiesen, so tönte es zu Beginn des Gedenkjahres 2014 aus deutschen Feuilletons, dass Deutschland am Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht »schuldiger« gewesen sei als andere Nationen. Und die Leser_innen ahnten sogleich, was dann gar nicht mehr ausgeführt werden musste: Dann war ja der Versailler Vertrag wirklich »ungerecht«? Und so weiter.

In der Zeit sah man angesichts des »teils schrillen deutschen Jubels« über Clarks Buch »offensichtliche Entlastungsbedürfnisse« am Werk. »Deutschland nicht Ursache allen Übels«, erkannte etwa eine Gruppe jüngerer Historiker_innen in der Welt und mahnte gebieterisch: »Das sollten auch jene wahrnehmen, die mit dem deutschen Kriegsstreben die Abschaffung des deutschen Nationalstaats begründen«. Was kümmert es da noch, ob je behauptet wurde, dass Deutschland Ursache »allen« Übels sei, oder ob jenseits linksradikaler Randgruppen derzeit irgendwer nach der »Abschaffung des deutschen Nationalstaats« verlangt.

»Wandel der Vergangenheit«

Im Spiegel räsonierte Dirk Kurbjuweit unterdessen seitenlang über einen »Wandel der Vergangenheit«, der sich zu Beginn des »Geschichtsjahres 2014« abzeichne. Dabei interessierte er sich nicht nur für alte und neue Kriegsschulddebatten, sondern auch für den »Historikerstreit«. Denn die Vehemenz, mit der in den 1980er Jahren über Ernst Noltes These debattiert wurde, bei den NS-Verbrechen habe es sich primär um eine Reaktion auf bolschewistische Verbrechen gehandelt, erschien ihm plötzlich »befremdlich«. Und so schickte er sich an, das ganze »neu zu betrachten«.

Dass der »Historikerstreit« in den letzten 30 Jahren bereits vielfach kritisch reflektiert worden ist, hinderte Kurbjuweit nicht daran, seine Betrachtungen als Tabubruch zu verkaufen. »Es muss sein«, versicherte er seinen Leser_innen, um dann die linksliberale Historikerfraktion der alten Bundesrepublik - insbesondere diejenigen, die sich Nolte einst entgegenstellten - samt und sonders des Moralismus zu überführen. Ihr Schuld- und Singularitätsfetisch, so der Subtext des Artikels, sei zwar aus generationeller Perspektive verständlich, ebenso wie ihr Plädoyer für eine machtpolitische Schwächung Deutschlands. Aus heutiger Sicht sei all das jedoch völlig obsolet: »Man hätte nicht Spekulationen als Wahrheiten verkaufen dürfen.«

Als zeitgemäße Gegenspieler führt Kurbjuweit den Historiker Jörg Baberowski und den Politologen Herfried Münkler ins Feld. Während Münkler die angebliche Zurückhaltung der Bundesrepublik auf internationalem Terrain als überholt kritisiert, wird Baberowski mit der These zitiert, dass bolschewistische und NS-Verbrechen »im Grunde (...) das Gleiche« gewesen seien. Im Gegensatz zu Stalin sei Hitler jedoch »kein Psychopath« und »nicht grausam« gewesen: »Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.«

Da gibt sich Kurbjuweit erschrocken: »Darf Hitler ein weniger böser Mensch gewesen sein als ein anderer?«, fragt er verzagt, um dann festzustellen, dass derartige Zweifel nur in einer fehlgeleiteten altbundesrepublikanischen Sozialisation gründen können: »Es steckt tief drin.« Offenbar steckt es wirklich tief drin im postnationalsozialistischen Affekthaushalt: Wenn es um die NS-Vergangenheit geht, sinkt man gerne einmal auf Sandkastenniveau hinab, um sich dort etwa mit der Frage zu beschäftigen, ob jetzt Hitler oder Stalin »böser« war.

»Was immer andere gemacht haben, die Nazis waren ekelhafte Verbrecher, denen Deutsche massenhaft gefolgt sind«, resümiert Kurbjuweit schließlich in kindlicher Einfalt. Einer »deutschen Verantwortung für Gegenwart und Zukunft«, so fährt er trotzig fort, könne man aber »auch ohne Selbstverdunkelung nachkommen«.

Man möchte Kurbjuweit - geboren 1962 in Wiesbaden, Abitur, Studium, Auslandsaufenthalt, publizistische Karriere - gerne einmal fragen, worin genau eigentlich die Verdunkelung seiner westdeutschen Nachkriegsexistenz bestand. Als ehemaliger Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros wüsste er sicher auch, welche gravierenden Nachteile der Bundesrepublik bisher durch ihre »Selbstverdunkelung« entstanden sind.

Der eingewebte Bruch

Das Reden über eine lastende Dunkelheit hat im bundesrepublikanischen Gedächtnisdiskurs eine lange Tradition, ebenso wie die Reflexion über den Weg zurück ins Licht. Ein berühmtes Beispiel für diese Spielart nationaler Metaphorik ist die Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Kriegsendes 1985.

Die NS-Vergangenheit zeichnete Weizsäcker hier zunächst als »dunklen Abgrund«. Am Ende dieses »Irrweges deutscher Geschichte« habe eine »ungewisse, dunkle Zukunft« gelauert. Nachdem man jedoch die »Chance zum Neubeginn« ergriffen und »an die Stelle der Unfreiheit (...) die demokratische Freiheit« gesetzt habe, sei die »Bundesrepublik Deutschland ein weltweit geachteter Staat geworden.« Um sich dieses historischen Lernprozesses und der lichten Gegenwart bewusst zu werden, so eine zentrale Botschaft der Rede, müsse man die vergangene Dunkelheit in Erinnerung behalten. »Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung«, sollte fortan die Devise lauten.

Das Weizsäckersche Läuterungsnarrativ avancierte nach 1990 zur Meistererzählung der »Berliner Republik«. Es grundiert seither eine repräsentative Gedächtniskultur, die sich im Gedenken an negative Vergangenheit einer positiven nationalen Gegenwart vergewissert.

Ganz in diesem Sinne wurde die mittlerweile 40 Jahre zurückliegende Rede anlässlich von Weizsäckers Tod im Januar letzten Jahres noch einmal allseits gepriesen. Außenminister Steinmeier wollte darin einen »lichten Moment der Geschichte« erkennen, Antje Vollmer eine nationale »Eisschmelze«. Weizsäcker habe wesentlich dazu beigetragen, »uns Deutsche mit uns und die Welt mit Deutschland zu versöhnen«, lobte Finanzminister Schäuble.

Bundespräsident Joachim Gauck erklärte seinen Vorgänger gar zum »Pater Patriae« (Vater des Vaterlandes): »Etwas Heilendes war mit ihm in das politische Leben gekommen.« In seiner Rede zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz schloss er an dessen Lichtmetaphorik an: »Und doch konnten wir nach den dunklen Nächten der Diktatur, nach Schuld und Scham und Reue ein taghelles Credo formulieren.«

An jenem 27. Januar, der seit 1996 als »Tag der Opfer des Nationalsozialismus« begangen wird, offenbarte Gauck auch noch einmal die tiefgehende nationale Kränkung: »Solange ich lebe, werde ich darunter leiden, dass die deutsche Nation mit ihrer so achtenswerten Kultur zu den ungeheuerlichsten Menschheitsverbrechen fähig war. (...) Da ist ein Bruch eingewebt in die Textur unserer nationalen Identität, der im Bewusstsein quälend lebendig bleibt.«

Da war er wieder, der quälende »Bruch«. Aber eben »eingewebt«, also eigentlich doch kein Bruch, sondern eher eine unschöne Nahtstelle. Und gerade in den offiziellen deutschen Geschichtsdarstellungen wird die NS-Vergangenheit derzeit immer dichter eingewoben.

»Nochma alles jut jejange«

So etwa in einer Wanderausstellung der Bundesregierung mit dem Titel »Zeitreise 1914-2014«, die unter anderem zum 25. Jahrestag des Mauerfalls am Brandenburger Tor gezeigt wurde. »Die Geschichte Deutschlands in den vergangenen hundert Jahren ist von Höhen und Tiefen, von Katastrophen und Glücksmomenten geprägt«, heißt es da im Einleitungstext. Und damit Besucher_innen gegenüber diesem schicksalhaften Auf und Ab keine Ambivalenzgefühle entwickeln, wird ihnen das Fazit gleich mit auf den Weg gegeben: »Es ist eine äußerst positive Entwicklung, dass die dunklen Kapitel inzwischen der Vergangenheit angehören und wir heute in einem freien Europa in Frieden mit unseren Nachbarn leben.«

Eine besonders nachhaltige deutsche Geschichtsbildsanierung wird derweil im Zentrum der Hauptstadt vorbereitet. Bis 2017 soll hier ein Nationales Freiheits- und Einheitsdenkmal entstehen. Direkt vor dem wieder aufgebauten Berliner Stadtschloss (»Humboldt-Forum«) soll es laut Bundestagsbeschluss nicht nur auf 1989/90 verweisen, sondern »zugleich die freiheitlichen Bewegungen und die Einheitsbestrebungen der vergangenen Jahrhunderte« würdigen.

Das Denkmal geht auf eine Initiative einflussreicher Persönlichkeiten aus Politik und Medien zurück. Schon seit den späten 1990er Jahren forderten sie, den sich mehrenden »Denkmälern der Schande und der Trauer« ein Denkmal »des Stolzes und der Freude« an die Seite zu stellen. Nachdem der Bundestag dieses Projekt 2001 zunächst noch abgelehnt hatte, nahm er es 2007 schließlich an. Dazwischen lag die Fertigstellung des Holocaust-Mahnmals. Diesem »Pfahl in unserem nationalen Fleisch« sollte nun etwas Erbauliches folgen, wie nicht nur Wolfgang Thierse argumentierte: »Auch wir Deutschen können Ermunterung vertragen«.

Den Initiator_innen des Freiheits- und Einheitsdenkmals geht es explizit um eine dialektische »Aufhebung« deutscher Geschichte in ihrem glücklichen Ende. Die »Friedliche Revolution« wird dabei zum ultimativen Wendepunkt stilisiert: zur nationalen Selbstbefreiung vom »Totalitarismus«, die mit der Einheit belohnt wurde. Wie Mitinitiator Florian Mausbach in einem Interview erläuterte, soll man nach einem Gang vom Holocaust-Mahnmal zum Freiheits- und Einheitsdenkmal »dann auch sagen« können: »So, jetzt freuen wir uns mal, dass doch am Ende trotz all dieser Schrecken und fürchterlichen Tiefen (...) nochma alles jut jejange is.«

Der Gegendiskurs ist verstummt

Während die einen versuchen, den »Bruch« der NS-Vergangenheit in einer Jahrhunderte umfassenden Meistererzählung mit Happy End »aufzuheben«, machen sich andere daran, ihn zu einem positiven nationalen Alleinstellungsmerkmal umzudeuten. So warb etwa der erwähnte Herfried Münkler jüngst in zahlreichen Artikeln und öffentlichen Auftritten dafür, in der »Geschichte zwischen 1933 und 1945« eine »spezifisch deutsche Verwundbarkeit« zu erkennen, die für eine besonders umsichtige »deutsche Führungsrolle in Europa« prädestiniere.

Über mehrere Generationen und einige politische Differenzen hinweg hat sich eine kritische Öffentlichkeit in der Bundesrepublik jahrzehntelang und durchaus erfolgreich gegen eine »Normalisierung« von Geschichte und Identität verwehrt. Dieser Gegendiskurs ist in den letzten Jahren weitgehend verstummt, zumindest ist er kaum mehr öffentlich zu vernehmen. Das mag an der allgemeinen Krise der Linken nach 1990 liegen, hat aber auch etwas damit zu tun, dass kritische geschichtspolitische Positionen seither kaum mehr aktualisiert worden sind.

An der »Deutschland-Saga« ist unterdessen eifrig weitergeschrieben worden. Aus einer noch eher defensiven Läuterungserzählung scheint sich langsam, aber sicher eine offensive nationale Erfolgsgeschichte zu entwickeln, die den »Geschichtsfelsen Nationalsozialismus« bruchlos integrieren kann. Das ist nicht der drastische »Schlussstrich« unter die NS-Vergangenheit, gegen den die bundesrepublikanische Linke traditionell gekämpft hat, sondern deren schleichende Einbettung in eine übergreifende Nationalgeschichte mit glücklichem Ausgang.

Ein bewusst gebrochenes Verhältnis zu Geschichte und Identität ist jedoch nicht nur die einzig angemessene intellektuelle Reaktion auf die NS-Verbrechen, sondern auch eine notwendige Voraussetzung für jede emanzipatorische Politik. Von daher bleibt die von Walter Benjamin gestellte Aufgabe zweifellos weiterhin aktuell: Geschichte und Überlieferungsgeschichte immer wieder - und immer wieder aufs Neue - gegen den Strich zu bürsten.

Cornelia Siebeck ist Historikerin. Sie forscht und schreibt zu gedächtnispolitischen Themen.

Zum Nachlesen:

Peter Arens: Deutschland-Saga. Von Down under nach Good old Germany. ZDF.de, 30.11.2014.

Volker Ullrich: Nun schlittern sie wieder. Mit Clark gegen Fischer: Deutschlands Konservative sehen Kaiser und Reich in der Kriegsschuldfrage endlich rehabilitiert. Die Zeit, Nr. 4, 18.1.2014.

Dominik Geppert, Sönke Neitzel, Cora Stephan, Thomas Weber: Warum Deutschland nicht allein schuld ist. Die Welt, 4.1.2015.

Dirk Kurbjuweit: Der Wandel der Vergangenheit. Der Spiegel, Nr. 7, 10.2.2015.

Die Bundesregierung: Eine Zeitreise durch 100 Jahre deutsche Geschichte (www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2014/2014-11-17-zeitreise.html).

Zum Nationalen Freiheits- und Einheitsdenkmal: www.freiheits-und-einheitsdenkmal.de.

Herfried Münkler: Macht in der Mitte. Die Welt, 3.3.2015.