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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 612 / 19.1.2016

Damals Gefängnis, heute Gefängnis

International Ein Aktivist aus Kairo über die Situation in Ägypten fünf Jahre nach der Revolution

Interview: Gaby Osman und Juliane Schumacher

Vor fünf Jahren, am 25. Januar 2011, besetzten Demonstrant_innen den Tahrir-Platz im Zentrum von Kairo und gingen nicht mehr weg. Sie forderten, inspiriert von den Umbrüchen in Tunesien, den Rücktritt des Präsidenten Hosni Mubarak, der seit 30 Jahren autokratisch herrschte, ein Ende der willkürlichen Polizeigewalt, gesellschaftliche Demokratisierung bzw. »Brot, Freiheit, Würde«, wie eine Parole bei den Protesten lautete. Zwei Wochen später trat Mubarak unter dem Druck der Proteste zurück. (Siehe nebenstehenden Artikel.) Mo, wie unser Gesprächspartner genannt werden will, ein ägyptischer Aktivist, der 2011 dabei war, über die Situation fünf Jahre nach der Revolution vom Tahrir-Platz.

Am 25. Januar 2011 begann in Ägypten die Revolution. Wo warst du damals?

Mo: Ich war am 25. Januar dabei. Ich hatte schon zwei Monate zuvor auf Facebook angeklickt, dass ich an den Demonstrationen teilnehmen würde. Wir wollten der Polizei klar machen: Wir sind hier, um offen zu sagen, dass ihr korrupt seid, dass ihr foltert, dass ihr illegale Praktiken deckt, helft, Schutzgelder zu erpressen. Es waren nicht so viele Leute, die damals angekündigt hatten, dass sie auf die Straße gehen würden, eine Woche vorher vielleicht 40.000.

Was waren eure Ziele? Habt ihr sie erreicht?

Nein. Ich wollte, dass die korrupten Politiker zur Verantwortung gezogen werden und das gestohlene Geld zurückgegeben wird. Ich hätte mir gewünscht, dass eine Regierung an die Macht kommt, die alles illegal erworbene Vermögen beschlagnahmt. Und ich habe mir eine faire Rechtsprechung gewünscht. Mubarak selbst hat niemanden erschossen, aber unter seiner Regierung sind viele Menschen getötet worden, vor allem während der Proteste. (1) Seine Kinder haben die Privatisierung ins Land gebracht und den Staat ausverkauft. Sie haben Fabriken verkauft an den besten Freund von Gamal Mubarak (2), Ahmed Ezz. Zuvor hatten sie Propaganda gemacht, dass die Fabriken nur Verlust einfahren würden, aber das war eine Lüge.

Mubarak und seine Söhne sind wieder frei.

Ja, sie sind frei, die Verfahren sind eingestellt, es ist nicht klar, ob sie wieder aufgenommen werden. Die meisten Leute wollen gar nicht, dass er bestraft wird, sie betrachten einen Präsidenten wie einen Vater: »Kritisier ihn doch nicht, er könnte dein Vater sein!« Aber er ist nicht mein Vater, er ist ein Herrscher, eine politische Person. Ich bin gegen die Todesstrafe, aber ich finde, Mubarak hätte lebenslänglich bekommen sollen.

Mit Abd al-Fattah as-Sisi steht nun wieder ein starker Mann aus dem Militär an der Spitze des Staates.

Die Ägypter wollen das so. Vielleicht hat es damit zu tun, dass die Ägypter sehr emotional handeln, vor allem wenn es um Führungspersonen geht. As-Sisi wurde vor allem zu Beginn von vielen geradezu vergöttert und als Retter Ägyptens gefeiert. Man könnte sagen, die Ägypter leiden unter dem Stockholmsyndrom, bei dem die Opfer Sympathien für die Täter zeigen oder diese sogar verteidigen.

Die Revolution ist jetzt fünf Jahre her. Wie ist die Situation im Land heute?

Die Situation ist schlimm. Die Menschen sind ratlos, die Preise steigen, und nur wenige machen Gewinn. Die Steuer auf importierte Produkte wurde angehoben, und niemand wurde darüber informiert, plötzlich kostete alles mehr. Der Journalismus ist zensiert, die Medien schreiben nur, was der Staat will.

Die letzten Wochen gab es eine Verhaftungswelle.

Ja, noch mehr als zuvor schon. Wegen Protesten gegen das neue Parlament, aber auch wegen des näherrückenden Jahrestags der Revolution. Aktivisten wurden verhaftet, in Cafés, zu Hause, auf der Straße, im Fitnessclub. Jeder, der sich im Internet kritisch geäußert hat, mit Freunden oder Menschen auf der Straße über Politik diskutiert, läuft Gefahr, verhaftet zu werden. Wenn sie die Leute nicht zu Hause angetroffen haben, haben sie bei manchen die Mutter verhaftet, damit die gesuchte Person sich selbst stellt, damit seine Mutter wieder freikommt.

Dann hat sich nichts zum Besseren verändert?

Es ist nicht einmal klar, ob sich überhaupt etwas verändert hat. Wenn ich mir Ägypten über die letzten Jahrzehnte anschaue, habe ich das Gefühl, dass sich die Geschichte immer wiederholt. Gamal Abdel Nasser, Ägyptens Präsident von 1954 bis 1970, hat die Muslimbrüder unterdrückt, as-Sisi macht heute dasselbe. Nasser hat Anwar as-Sadat als seinen Vize eingesetzt, der dann nach ihm Präsident wurde, und Sadat hat Mubarak als seinen Vize installiert, und er wurde sein Nachfolger. Sie alle stammen aus der ägyptischen Armee. Deshalb können die alle gut miteinander. Und wenn einer alt geworden ist, wird ihm ein würdevoller Abgang ermöglicht, wie Feldmarschall Tantawi. (3) Nach außen wird das als Konflikt dargestellt, aber die haben das unter sich alles vorher geklärt, einer dankt ab und bekommt noch irgendwelches Land oder lukrative Staatsbetriebe, und der nächste nimmt seinen Posten.

Und die Opposition?

Auch aufseiten der linken Opposition wiederholen sich die Ereignisse. Ahmed Seif El-Islam, Anwalt und Menschenrechtsaktivist und einer der bedeutendsten linken Aktivisten in der Geschichte Ägyptens, saß 1986, als seine Tochter Mona Seif zur Welt kam, wegen Mitgliedschaft in einer linken Gruppe im Gefängnis. Er hat sein Leben lang für die Rechte von Arbeitern und Bauern, für die Abschaffung der Todesstrafe und gegen die Folter gekämpft. Er hat das Hisham Mubarak Law Center in Kairo gegründet, ein zentraler Ort für Aktivisten vor und während der Revolution. Seine Tochter Mona Seif war eine der wichtigsten Aktivistinnen der Revolution. Nach der Revolution kämpfte sie mehrere Jahre als Anwältin gegen die Verurteilung von Protestierenden vor Militärtribunalen. Als Seif El-Islam am 27. August 2014 starb, mit 63 Jahren, waren zwei seiner Kinder in Haft: Sein Sohn Alaa Abdel Fattah, ein bekannter Blogger und Aktivist, und seine jüngste Tochter Sanaa, die im November 2013 an einer Demonstration teilnahm, als as-Sisi bereits alle Demonstrationen verboten hatte. Und bei seinem Sohn Alaa ist es wieder genauso gewesen: Auch er saß schon im Gefängnis, als sein erstes Kind, Khaled, geboren wurde.

Anmerkungen:

1) Bis zu 1.000 Menschen kamen bei den Protesten zwischen dem 29. Januar und dem 11. Februar 2011 ums Leben.

2) Gamal Mubarak ist Hosni Mubaraks Sohn.

3) Mohammed Hussein Tantawi war Vorsitzender des Obersten Militärrates SCAF, der nach der Revolution für eineinhalb Jahre herrschte.