Titelseite ak
ak Newsletter
ak bei Diaspora *
ak bei facebookak bei Facebook
Twitter Logoak bei Twitter
Linksnet.de
Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 613 / 16.2.2016

Aufgeblättert

Schwule Emanzipation

RotZSchwul - Rote Zelle Schwul - nannte sich die zwischen 1971 und 1975 im Frankfurter Spontimilieu angesiedelte schwule Emanzipationsgruppe, deren Geschichte Jannis Plastargias in seinem Buch nachzeichnet. RotZSchwul versuchte, nicht als reine Selbsterfahrungsgruppe zu fungieren, sondern vielmehr theoretisch zum Thema Homosexualität, dessen Entstehung sowie Verwobenheit mit der kapitalistischen Gesellschaftsformation zu arbeiten und dies für die praktische politische Arbeit nutzbar zu machen. Politisch wandte sich die Gruppe gegen den Rückzug in die schwule Subkultur und eine reine Integration der Schwulen, da sie darunter hauptsächlich eine Anpassung an die heterosexuelle Mehrheitskultur und deren Normalitätsvorstellungen verstand. Dabei wies bereits der Name auf das radikale Bekenntnis hinsichtlich des eigenen Schwulseins hin, welches viele andere Gruppen zu diesem Zeitpunkt noch scheuten. In dem Buch liefern insbesondere die Reproduktionen von älteren Plakaten und Gruppensitzungsprotokollen sowie manche Interviews einen erkenntnisfördernden Einblick in die damalige Zeit und ihre Debatten. Jedoch handelt es sich nicht um ein reines Sachbuch, vielmehr ist die Herangehensweise des Autors extrem subjektiv, sodass persönliche Anekdoten oft zu viel Raum einnehmen und der plauderhafte Stil zum Teil störend wirkt. Es eignet sich somit als zugängliche Einstiegslektüre; wer Substantielleres erfahren will, sollte zusätzlich auf andere Bücher zurückgreifen.

Moritz Strickert

Jannis Plastargias: RotZSchwul: Der Beginn einer Bewegung (1971-1975). Querverlag, Berlin 2015. 208 Seiten, 14,90 EUR.

Jugendzentren

Im Februar 1971 diskutierte der Gemeinderat der baden-württembergischen Kleinstadt Wertheim die vom örtlichen Stadtjugendring erhobene Forderung eines Jugendzentrums in Selbstverwaltung. Der stellvertretende Bürgermeister hatte Bedenken, dass dahinter eine subversive Minderheit stecken könnte, »die Reform sagt und Revolution will« - am Ende gar die berüchtigten »Roten Zellen«! Mit dieser Anekdote beginnt David Templin seine Darstellung der bundesdeutschen Jugendzentrumsbewegung der 1970er Jahre. Sein Buch ist eine wichtige Pionierarbeit über eine heute nicht mehr allgemein bekannte soziale Bewegung. Sie ist ohne die Revolte der späten 1960er Jahre nicht vorstellbar, und natürlich mischten hier oft die gleichen politischen Gruppen mit, die damals an Schulen, Hochschulen und in Betrieben aktiv waren. Tausende Jugendliche politisierten sich in der Auseinandersetzung mit Kommunalpolitikern und Behörden. Ausgangspunkt der Aktionen war das Bedürfnis nach selbstorganisierten Räumen, ihr Ergebnis die Konstituierung eines linksalternativen Milieus auch in der Provinz. Zu Recht verwendet Templin die weit verbreitete Parole »Was wir wollen: Freizeit ohne Kontrollen« als Titel seines Buches. Obwohl als geschichtswissenschaftliche Dissertation verfasst, ist es sehr gut lesbar. Linke Veteran_innen werden mit ihrer jugendbewegten Vergangenheit konfrontiert, aber auch jüngere Leser_innen, die sich für Bewegungsgeschichte interessieren, kommen auf ihre Kosten.

Jens Renner

David Templin: Freizeit ohne Kontrollen. Die Jugendzentrumsbewegung in der Bundesrepublik der 1970er Jahre. Wallstein Verlag, Göttingen 2015. 672 Seiten, 46 EUR.

Rassistische Gewalt

Ta-Nehisi Coates, der 2014 mit dem Essay »The Case for Reparations« die Frage der Reparationen für Sklaverei (wieder) auf die Tagesordnung brachte, schreibt mit »Zwischen mir und der Welt« nun eine literarische Kampfansage an jenes politische Klima, das prompt allergisch auf seine Fragen reagierte. Der Roman, bestehend aus Briefen an seinen Sohn, widmet sich der Enteignung und Gefährdung des afro-amerikanischen Körpers und seiner Plünderung als dem Bauplan der USA, sowie der Frage, wie trotzdem frei gelebt werden kann. Coates wechselt dabei zwischen Brief, Reportage, Memoiren und Sachbuch und bietet damit eine Alternative zu einer rein theoretischen Auseinandersetzung. Der Sohn als Adressat wird subtil mit dem Problem der abwesenden Väter verwoben, das in den USA gern bemüht wird, um rassistische Gewalt sozialpsychologisch zu legitimieren. Die Howard University als Mekka der schwarzen intellektuellen Erfahrung wird als eines von mehreren Exilen beschrieben, die Coates der Tragödie gegenüberstellt: Auf die allgegenwärtige Endlichkeit der zerstörten schwarzen Leben verweist er oft und pointiert. Das Buch ist nicht perfekt, es erwähnt weibliche und LGBTIQ-Erfahrungen meist nur im Vorbeigehen, was in Anbetracht der vielen queeren und feministischen Kräfte innerhalb von Black Lives Matter schade ist. Dennoch ist Toni Morrison zuzustimmen, die das Buch im Klappentext als eine profunde Untersuchung der Gefahren und Hoffnungen schwarzen männlichen Lebens lobt.

Marko Markovic

Ta-Nehisi Coates: Zwischen mir und der Welt. Hanser Verlag, Berlin 2015. 240 Seiten, 19,90 EUR.

Herrschaftskritik

Im Kern möchte Hendrik Wallat die Interpretation und Weiterentwicklung grundlegender Elemente der materialistischen Herrschaftskritik - verstanden auch als »marxismuskritisches Projekt« - vorantreiben, ohne ein Nachschlagewerk zu entwickeln oder bloße Textinterpretation zu bieten. Wesentliche Gegenstände seiner Argumentation sind, verteilt über sieben Kapitel, die Begriffe und Prozesse Herrschaft, Macht, Ausbeutung, verknüpft mit den Themen Kapital, Staat, Recht, Faschismus und Antisemitismus. Wallat geht insbesondere der Entstehung und Entwicklung von Herrschaft - als dem wohl »folgenreichsten Prozess in der Menschheitsgeschichte« - auf den Grund und stellt in diesem Zusammenhang auch die »ko-evolutionäre« Entwicklung des modernen Staates und des Kapitalismus dar. Der Bogen reicht vom antiken Griechenland über die Germanen und England als dem Geburtsland des Kapitalismus bis hin zur Gegenwart. Wallat schildert eindringlich die Rolle von Gewalt, Krieg und Religion und arbeitet überzeugend den kapitalistischen Kern der Entwicklung heraus. Ein wichtiger Referenzpunkt sind dabei die Arbeiten von Ellen Meiksins Wood. Daneben werden kritisch u.a. Foucault, Luhmann und Arbeiten aus dem Bereich der materialistischen Interaktionstheorie verarbeitet. Die vielen Literaturhinweise und -einschätzungen sind eine Stärke des auch sprachlich gelungenen Buches, dessen Lektüre wichtige Argumente und (historische) Einsichten liefert. Ein Index fehlt leider.

Sebastian Klauke

Hendrik Wallat: Fundamente der Subversion. Über die Grundlagen materialistischer Herrschaftskritik. Unrast Verlag, Münster 2015. 344 Seiten, 19,80 EUR.