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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 613 / 16.2.2016

Die »Watchmen« kommen

Deutschland Die Hysterie um die Kriminalität begünstigt die Gründung von Bürgerwehren

Von David Begrich

Der Verkauf von Pfefferspray boomt. Deutlich mehr Waffenscheine werden beantragt. Die ressentimentgeladene Debatte um die Kriminalität von Flüchtlingen befördert das Gefühl der Unsicherheit. Die Bürger rüsten auf. Diese Meldung schlug ein. Flüchtlinge hätten in Halberstadt (Sachsen-Anhalt), wo sich die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAST) befindet, eine Ziegenherde aus dem Streichelzoo geschlachtet. Gerüchte wie dieses tauchen derzeit fast deckungsgleich in jeder Region in sozialen Netzwerken auf. Ob angebliche Kindesentführung oder serielle Vergewaltigung: Kein Gerücht über Flüchtlinge scheint zu absurd, um nicht binnen Kurzem zur angeblich gesicherten Information aufzusteigen, derer sich auch lokale Medien und Behörden annehmen.

Plausibilität und Reichweite erlangen solche Gerüchte über die von ihren Multiplikatoren beigegebene Versicherung, die geschilderten Fakten stammten aus Polizeikreisen, denen jedoch verboten sei, über derartige Dinge zu sprechen. Es gilt: Je mehr Nutzer in sozialen Netzwerken ein Gerücht teilen, desto glaubwürdiger wird es. Hat ein Gerücht diesen Plausibilisierungsprozess durchlaufen, sehen sich Leiter von Supermärkten und Behörden gezwungen, diesem öffentlich zu widersprechen, was wiederum zur Stärkung des Gerüchts bei jenen beiträgt, die der »Lügenpresse« ohnehin nichts mehr glauben.

Männerbund Bürgerwehr

Aus Debatten um die vielbeschworene Innere Sicherheit ist bekannt, dass einem einmal angelaufenen Unsicherheitsdiskurs mit Zahlen und Fakten nicht beizukommen ist. Mag die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, noch so gering sein; politische und mediale Diskurse um Kriminalität personalisieren und emotionalisieren das Kriminalitätsgeschehen. Im Mittelpunkt steht der Einzelfall, nicht seine statistische Relevanz. So befördern die Debatten die Ethnisierung und Diskriminierung ganzer Gruppen. Der mediale Diskurs um die Ereignisse der Kölner Silvesternacht verlieh rassistischen Unsicherheitsdebatten hohe Aufmerksamkeit.

Vor diesem Hintergrund sind Nachrichten über die angekündigte oder vollzogene Gründung von Bürgerwehren zu verstehen. In zahlreichen Orten fühlen sich zumeist Männer berufen, Hilfsheriffs zu spielen. In Internetforen lassen sich zahlreiche Gruppen finden, die verkünden, zur Stabiliserung der öffentlichen Sicherheit an ihrem Ort beitragen zu wollen, und dafür große Zustimmung im Netz erfahren. Die heutige digitale Infrastruktur gibt den selbsternannten Bürgerwehren technische Mittel in die Hand, über die früher nur die Polizei verfügte. So verabreden sich Unterstützer aus Facebookforen zu Streifen durch Stadtteile, Einfamilienhaussiedlungen und Kleingärten. Im Mittelpunkt dieser Rundgänge steht nicht die soziale Nachbarschaftshilfe, sondern das mitunter reaktionäre und rassistische Weltbild ihrer Mitglieder. Selbsternannte Ordnungswächter stellen arglose Bürger_innen unter Verdacht, die es wagen, mit ortsfremden Kennzeichen viermal die Hauptstraße auf und ab zu fahren, oder sich sonstwie auffällig verhalten.

Dass sich Waffennarren, Uniformfetischisten, Rocker und Neonazis von Initiativen zur Gründung von Bürgerwehren magisch angezogen fühlen, liegt auf der Hand. Die Vorstellung, die Ausübung von Recht und Gewalt in die eigenen Hände zu nehmen, weckt die autoritären Selbstermächtigungsfantasien dieser Gruppen. Nach den Ereignissen in Köln wurden aus den genannten Milieus Stimmen laut, die zur »Verteidigung und zum Schutz deutscher Frauen« aufriefen. Wer sich die Profile der Unterstützer_innen von Bürgerwehrgruppen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen oder auch NRW ansieht, findet dort prominente und weniger prominente Neonazis, die aus ihrer Gesinnung kein Hehl machen. Und so waren manche öffentlich angekündigte Patrouillengänge einem Schaulaufen der neonazistischen Szene nicht unähnlich.

Juristisch ist die Lage klar. Auch wenn Uniformen und ein polizeiähnliches Auftreten es nahelegen: Die Bürgerwehren verfügen über keinerlei Kontroll- oder Exekutivrechte. Sie unterliegen dem sogenannten Jedermannsrecht. Danach kann jedeR durch Maßnahmen der Notwehr Straftaten verhindern und Straftäter_innen bis zum Eintreffen der Polizei festhalten. Personenkontrollen und Platzverweise oder die Anwendung unmittelbaren Zwangs sind tabu.

Ihre Wirkung erzielen die Bürgerwehren ohnehin mit den Mitteln der Psychologie. Ziel ist es, rechte Hegemonie auszubauen und Ordnungsräume zu etablieren. Beobachtbare Formen parapolizeilicher Anmaßung von Bürgerwehren sind zudem geeignet, bei Flüchtlingen Traumata zu aktualisieren, die von Erfahrungen mit der Staatsgewalt im Herkunftsland herrühren.

Auch der Staat rüstet auf

Von der Politik werden Bürgerwehren abgelehnt, stellen sie doch das Gewaltmonopol des Staates infrage. Zugleich jedoch erwägen einige Bundesländer die Ausbildung einer Hilfs- bzw. Wachpolizei, die bei der Bewältigung der Aufgaben im Kontext der Aufnahme von Flüchtlingen anstehen. Die Befürworter beteuern die sorgfältige Auswahl der Bewerber für diese Jobs. Zweifel bleiben. Die in Westberlin im kalten Krieg rekrutierte »Freiwillige Polizeireserve« (FPR) erwies sich als Sammelbecken für Neonazis und Kriminelle und musste 1994 aufgelöst werden. Dass in diesem Metier der Bock schnell zum Gärtner gemacht wird, zeigen die bundesweit zahlreichen Beispiele von Neonazis, die in der Securitybranche tätig sind und seit Sommer 2015 solange ihr Geld ausgerechnet mit der Bewachung von Asylunterkünften verdienen konnten, bis Medien oder antifaschistische Gruppen darauf hinwiesen.

Kritik an Bürgerwehren kommt zudem von den Polizeigewerkschaften, die deren Entstehung als Beleg für ihre These heranziehen, die angeblich dramatische Kriminalitätsentwicklung, steigende Gewaltbereitschaft und der abnehmende Respekt gegenüber der Staatsgewalt verwiesen auf einen dringenden Handlungsbedarf bei der personellen, finanziellen und technischen Ausstattung der Polizei.

Wenn es darum geht, düstere Szenarien der Inneren Sicherheit zu entwerfen, ist auf Rainer Wendt Verlass. Wendt ist eine sichere Bank, wenn es um mehr geht: mehr Überwachung, härtere Strafen, mehr Befugnisse, mehr Personal. Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft betätigt sich mit Vorliebe als Scharfmacher in Talkshows und Interviews. Fast nie gehen ihm die vorhandenen gesetzlichen Regelungen zur Bekämpfung der Kriminalität weit genug. Die Entstehung von Bürgerwehren sieht Wendt als Bestätigung für seine Rufe nach der Stärkung des Sicherheitsapparates. Ähnlich äußerte sich der Bundespräsident: Jahrelange Einsparungen auf dem Gebiet der Sicherheit hätten zu einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung geführt. Zugleich mahnte Gauck: »Bevor ihr jetzt Bürgerwehren aufstellt, gebt mal ein paar Hinweise an eure Polizei, damit an neuralgischen Punkten etwas geschieht. Da müsst ihr nicht gleich Selbstschutz betreiben.« (Interview auf wdr5, 5.2.2016)

Die Entstehung von Bürgerwehren kann als Indiz für die zunehmende Fragmentierung der öffentlichen Sicherheit gelesen werden. Manch autoritär gewendete Abstiegsängste der Mittelschicht finden ihren Ausdruck in Phänomenen wie Gated Communitys, der rasanten Zunahme von Videoüberwachung oder der Gründung von Bürgerwehren. In seinem berühmten Comic »Watchmen« entwarf Alan Moore das Bild einer paranoiden US-amerikanischen Gesellschaft, in der sich verkleidete Superhelden aufmachen, die Ehre Amerikas gegen liberale Dekadenz, Homosexualität und Kommunismus mit Gewalt zu verteidigen. Was als clownesker Maskenball begann, endet im Comic in einer Gewaltorgie gegen alle, die nicht ins reaktionäre Weltbild der »Watchmen« passen. Die dem Comic vorangestellte Frage: »Wer überwacht die Wächter?« ist gegenwärtig auch in Deutschland aktuell.

David Begrich schrieb in ak 610 über rassistische Mobilisierung im Schatten von PEGIDA.