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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 613 / 16.2.2016

Pluralität statt Parteibildung

Feminismus nach Köln Von #Aufschrei bis #ausnahmslos: Die (netz-)feministische Szene hat sich ausdifferenziert

Von Antje Schrupp

»Wir wollten die Welt verändern«, sagt die italienische Philosophin Luisa Muraro auf die Frauenbewegung der 1970er Jahre zurückblickend, »aber dann haben sie uns die Gleichstellung angeboten.« In diesem Dilemma befindet sich der europäische Feminismus etwa seit den 1980er Jahren. Zweifellos hat sich durch die Gleichstellungspolitik Europas die Lebenssituation von Frauen in vielerlei Hinsicht verbessert (wenn auch nicht in jeder). Gleichzeitig jedoch dient das Selbstetikett der weitgehend verwirklichten Geschlechtergleichheit regelmäßig als argumentative Keule, die feministischen Ansätzen entgegen gehalten wird, sobald sie sich nicht mit dem »Gleichsein« der Frauen in Bezug auf eine bereits vorgefundene männliche Norm zufriedengeben. Systemkritische Feministinnen stehen in Europa schnell im Verdacht, »es zu übertreiben«. Ja, sie dürfen beklagen, dass die Gleichheit hier oder da »noch nicht ganz« erreicht ist. Aber das war's eben auch. Gleichberechtigung muss reichen, Weltveränderung wäre zu viel verlangt.

Denn: Woanders auf der Welt geht es Frauen ja schließlich viel schlechter. Es ist im europäischen und US-amerikanischen Narrativ inzwischen üblich, alle möglichen Unternehmungen - vom Krieg in Afghanistan bis zur weltweiten Implementierung des Kapitalismus - mit »Frauenrechten« zu begründen. Derzeit werden alle möglichen Maßnahmen gegen »nordafrikanisch aussehende Männer« oder »Flüchtlinge aus Kulturen mit einem problematischen Frauenbild« mit dem Schutz der Frauen vor den in Frauenrechtsdingen angeblich prinzipiell rückständigen »Fremden« begründet.

Doch erfreulicherweise gibt es auch immer wieder feministische Praktiken und Positionierungen, die einer Reduzierung der weiblichen Freiheit auf Emanzipation und Gleichberechtigung innerhalb eines vorgegebenen Systems etwas entgegensetzen. Ein Beispiel dafür war #Aufschrei, jene spontan auf Twitter entstandene Diskurswelle im Januar 2013, die den grassierenden deutschen Alltagssexismus in den Blick der Öffentlichkeit rückte.

Dahinter stand das Anliegen, die Diskussion über sexualisierte Gewalt aus ihrer Engführung auf justiziable, also unter dem Aspekt der »Gleichheit« implementierbare Fälle zu befreien: Nicht nur Vergewaltigung und sexuelle Nötigung wurden hier kritisiert, sondern eben genau jene Aspekte sexualisierter Gewalt, die weit unterhalb jeder Schwelle liegen, ab der man die Polizei rufen kann: die dummen Witze, der Klatsch auf den Po, das unwillkommene Tätscheln der Wange. Natürlich folgte der Vorwurf des »Übertreibens« unmittelbar auf dem Fuß: Im Kongo werden Frauen systematisch vergewaltigt, hier regen sich die Damen über Komplimente auf, die doch nur nett gemeint sind!

Frauen haben keine gemeinsamen Interessen

Interessanterweise waren viele Männer in der Diskussion offenbar tatsächlich nicht in der Lage (oder nicht willens), die von #Aufschrei intendierte Verschiebung überhaupt zu verstehen, was aber die Voraussetzung für eine sinnvolle Kritik gewesen wäre. Dass es gar nicht um andere Gesetze ging, sondern um eine andere Alltagskultur, also nicht um formale »Gleichstellung«, sondern um zwischenmenschliche Empathie und Verständigung, war vielen Männern und einem Großteil der Leitmedien schlicht nicht vermittelbar.

Ganz ähnlich ist es mit vielen Themen und Positionierungen feministischer Debatten: Ob es um Intersektionalität geht, also die Verwobenheit von sexistischen und anderen Diskriminierungsformen, oder um die Bestreitung binärer Geschlechterkonzepte und ihrer klaren Grenze zwischen Weiblich und Männlich, ob um Sexarbeit und den gesellschaftlichen Umgang mit ihr oder um symbolische sprachliche Interventionen wie geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen: Regelmäßig werden solche Debatten auf banale juristische oder gleichstellungspolitische Fragen reduziert, statt sie als viel grundsätzlichere Interventionen in kulturelle Prozesse zu verstehen.

Eine weitere Folge der Verwechslung von (weltveränderndem) Feminismus und (systemstabilisierender) Gleichstellung ist, dass viele in Europa den Feminismus als eine Art Lobbyorganisation für Fraueninteressen missverstehen. Und leider schwingt sich auch so manche Feministin tatsächlich gerne zur Protagonistin von »Fraueninteressen« auf. Aber Frauen haben keine gemeinsamen Interessen, und deshalb können »die Frauen« auch nicht das Subjekt von Politik sein. Subjekte der Politik können nur einzelne Frauen sein, mit ihren jeweils persönlichen Anliegen und Ideen, oder auch mal bestimmte Gruppen von Frauen, die sich zum Beispiel mit einem konkreten Anliegen zusammenschließen - nicht »als Frauen«, sondern, zum Beispiel, »als von Entlassung bedrohte Verkäuferinnen bei Supermarkt XY«.

Die Stärke des Feminismus ist nicht die Parteibildung, sondern im Gegenteil die Pluralität weiblicher Ideen und Lebensweisen. In einer Kultur jedoch, die Politik per se als Parteinahme versteht, wirkt dieses Potenzial als Schwäche, denn in dieser Logik wird Unterschiedlichkeit als Spaltung »der Partei« interpretiert. Vom »Netzfeminismus« zum Beispiel wird oft gesagt, er sei zerstritten. Doch das, was hier stattfindet, ist kein Streit, sondern eine ganz normale politische Debatte, und zwar eine recht fruchtbare, wie sich eben bei #Aufschrei zeigte: Damals wurden in wenigen Tagen sehr viele unterschiedliche Texte zum Thema sexualisierte Gewalt geschrieben, dramatisierende und verharmlosende, subjektive und theoretisierende. Gerade durch diese Vielfalt wurde ein Thema, das für die weibliche Freiheit wichtig ist, auf die politische Agenda gesetzt und der Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit darauf gerichtet, viel mehr, als das durch eine feministische Einigkeitsbekundung möglich gewesen wäre.

Wir haben unsere Timelines aufgeräumt

Seit der Erfindung sozialer Internetmedien hat sich die netzfeministische Szene kontinuierlich ausdifferenziert. Nach einer ersten Phase der Euphorie darüber, dass es überhaupt so viele (öffentlich sichtbare) Feministinnen in Deutschland gibt, begann etwa 2012 die große Phase des Streitens, in der die Illusion zerbrach, dass wir an einem Strang ziehen würden. Auch wenn das von teils schmerzhaften Auseinandersetzungen und Verletzungen begleitet war, befreite es doch auch vom Druck zu falscher Solidarität. Heute ist, jedenfalls meiner Wahrnehmung nach, wieder etwas Ruhe eingekehrt: Wir »Netzfeministinnen« haben unsere Timelines aufgeräumt und diejenigen entfolgt, die allzu weit von unserer eigenen Position entfernt sind. Wir regen uns nicht mehr über alles auf, was eine andere Feministin Falsches sagt, sondern wählen die Debatten, die wir führen möchten, mit Bedacht aus. Klar, wir lästern immer noch über andere, aber oft nicht mehr öffentlich, sondern zum Beispiel im »Darktwitter« - also so, dass es nicht gleich alle, und schon gar nicht die Betroffenen, mitbekommen.

Und das ist gut so. Man kann bei politischem Aktivismus nicht ständig alles mit allen diskutieren, und man muss sich nicht mit jeder Kritik, die irgendwo an den eigenen Positionen geübt wird, auseinandersetzen. Das bedeutet auch keineswegs, dass der Feminismus sich zerfleddert hätte oder irrelevant geworden wäre. Denn unterhalb des öffentlich Sichtbaren existiert ein Gewebe aus persönlichen Beziehungen, die dem Ganzen eben keine Form, aber doch einen Zusammenhalt geben.

Und so ist der Netzfeminismus weiterhin kampagnenfähig. Das zeigte sich in den Tagen nach den Silvesterübergriffen in Köln: Gegen die rechtspopulistische Instrumentalisierung feministischer Anliegen für ihre Zwecke entstand mit #ausnahmslos innerhalb von nur wenigen Tagen eine Ad-hoc-Kampagne, mit der Feminist_innen erfolgreich in den öffentlichen Diskurs intervenierten. Innerhalb einer Woche schlossen sich dem Statement gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus 11.000 Frauen und Männer an, und wer die innerfeministischen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre verfolgt hatte, rieb sich durchaus die Augen über die Breite des Spektrums, das hier zusammenkam.

Nicht, weil jetzt plötzlich doch alle einer Meinung geworden wären. Sondern weil es, ähnlich wie bei #Aufschrei, auch bei #ausnahmslos nicht um die eine »feministische Position« geht. Vielmehr geht es darum, ein Anliegen zu fokussieren und für die zu diskutierenden Differenzen eine gemeinsame Grundlage zu setzen: in diesem Fall, klarzumachen, dass die überwiegende Mehrheit von Feministinnen in Deutschland, von der Gleichstellungsbeauftragten bis zur Queer-Aktivist_in, von der Parteipolitikerin bis zur Autonomen, nicht auf rassistische Narrative zurückgreifen will. Diese Grenze wurde nicht gezogen, um Einigkeit herzustellen, wo es in Wahrheit Differenzen gibt. Sondern um eine Basis zu haben, von der ausgehend der Streit nun produktiv weitergehen kann.

Antje Schrupp ist Journalistin und Politikwissenschaftlerin. Sie bloggt unter antjeschrupp.com und war Mitautorin der #ausnahmslos-Kampagne.