Titelseite ak
ak Newsletter
ak bei Diaspora *
ak bei facebookak bei Facebook
Twitter Logoak bei Twitter
Linksnet.de
Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 613 / 16.2.2016

Im Himmel der Ideen

Diskussion Über Axel Honneths neues Sozialismus-Buch

Von Christian Lotz

Der emeritierte Sozialphilosoph Axel Honneth gilt als einer der zentralen Theoretiker der gegenwärtigen (deutschen) Kritischen Theorie. In seinem kleinen, allgemein verständlichen Büchlein »Die Idee des Sozialismus« versucht er einige Defizite zu beheben. Dem Vorwurf begegnend, dass er die Vorstellung einer besseren Welt aufgegeben habe, legt Honneth im Lichte der sozialistischen Tradition ein der Gegenwart angemessenes Konzept eines erneuerten Sozialismus vor.

Grundsätzlich lokalisiert Honneth die Idee des Sozialismus in Idealen, die schon den bürgerlichen Revolutionen zugrunde gelegen haben, aber nie realisiert wurden. Darunter fällt das Ideal der Brüderlichkeit, das Honneth in die Forderung übersetzt, unsere moderne Gesellschaft in eine explizit soziale Gesellschaft zu verwandeln. Die Prämissen einer sittlichen Solidargemeinschaft wird von Honneth als ein Set von normativen Forderungen rekonstruiert, die jedoch in der sozialistischen Tradition aufgrund von Verengungen im Denken zur Unkenntlichkeit entstellt worden seien.

Honneth macht drei solcher Verengungen aus, die es zu korrigieren gälte, wenn die Idee des Sozialismus wieder an Attraktivität gewinnen soll. Honneths Kritik der sozialistischen Tradition wird zusammengehalten von dem, was er den »Geburtsfehler des sozialistischen Projekts« nennt. Darunter versteht er den Fehler, dass die freiheitliche Dimension der »politischen Demokratie« auf soziale und ökonomische Aspekte reduziert worden sei. Darüber hinaus macht Honneth drei Defizite des »alten« Sozialismus geltend: Man habe zu sehr auf die Revolution der Marktwirtschaft gebaut und daher keinen positiven Begriff von Markt und Politik mehr gehabt, man sei der falschen Annahme gefolgt, dass die Motive für einen solchen Umsturz schon latent in der Arbeiterklasse vorhanden seien. Im Gegenzug arbeitet Honneth aus, dass die Idee des Sozialismus nicht ohne den Einschluss liberaler Freiheitsrechte zu haben ist, und dass der Geschichtsdeterminismus durch einen experimentellen Begriff von Geschichte ersetzt werden sollte. Vor allen Dingen prangert Honneth jeglichen »Wirtschaftsfundamentalismus« an und plädiert für die Aufnahme eines funktional differenzierten Gesellschaftsbegriffes.

Die letzte Forderung ist zentral; versteckt sich dahinter doch die These, dass wir uns von der Kritik der politischen Ökonomie und dem ihr zugrunde liegenden Begriff von gesellschaftlicher Totalität a la Marx verabschieden sollen, um die kritische Sozialtheorie für die normativ und funktional differenzierte liberale Gedankenwelt anschlussfähig zu machen. Damit wird dann, so Honneth, auch die ehemalige »Blindheit gegenüber der demokratischen Bedeutung der Grundrechte« aufgehoben. Der Sozialismus kann daher Honneth zufolge auch nur in einer »postmarxistischen Form« zu haben sein, in dem ein positiver Begriff des Marktes impliziert sei und der von »kapitalismusspezifischen Eigenschaften« zu reinigen sei.

Honneths Versuch ist begrüßenswert und die Lektüre sei jedem ans Herz gelegt. Aus meiner Sichtweise krankt sein Buch aber an folgenden Mängeln: Erstens fällt durch die Reduktion auf die normativen Dimensionen des Sozialismusbegriffes der Begriff des Kapitalismus unter den Tisch. Honneths Reduktion der Ökonomie auf Marktwirtschaft erlaubt es nicht mehr, das historisch Spezifische dieses Marktsystems zu analysieren, nämlich seine völlige Abhängigkeit vom Kapital. Letzterer Begriff wird bei Honneth leider überhaupt nicht mehr reflektiert. Paradox gesagt: Honneth will einen Kapitalismus ohne Kapitalismus. Zweitens verfehlt Honneth die von der marxistischen Tradition immer wieder herausgehobene Tatsache, dass »Ideen«, vor allen Dingen diejenigen, die sich in rechtlichen Strukturen ausdrücken, nur über ihre materiale Existenz verstanden werden können. Darunter fallen nicht nur ideologische Praktiken und staatliche Apparate, sondern auch gewaltbasierte Institutionen (Polizei und Militär) und real-geschichtliche Prozesse (Imperialismus und Kolonialismus). Diese werden aber von Honneth überhaupt nicht erwähnt. Da hilft dann auch der Hinweis auf eine demokratische »Lebensform« nicht viel weiter. Der Zusammenhang von Krieg und »freiheitlich-demokratischer« Grundordnung wird wohlweislich nicht angerissen.

In diesem Zusammenhang ist drittens anzumerken, dass Honneth Marxens Einsicht, dass sich eine postkapitalistische Gesellschaft nur durch ein substanziell gewandeltes Verhältnis zur Erde denken lässt, verfehlt. Viertens wird die kritische Leserschaft eine selbstreflexive Besinnung auf Honneths eigene politische Position vermissen, die man im Sinne von einer Theorie, die sich (noch) über die Praxis definiert, doch erwarten hätte können. Meines Erachtens müsste dies zu einer genaueren Einordnung von Honneth im sozialdemokratischen Lager führen.

Die fehlende politische Selbstreflexion kommt etwa sehr schön zum Ausdruck, wenn Honneth sich zustimmend auf Piketty und die Forderung nach einer heftigen Kapitalsteuer bezieht. Wenn man darüber genauer nachdenkt, muss man zu dem Schluss kommen, dass die Realisierung einer solchen Steuer im Angesichts der politischen Realität eine Zentralisierung des politischen Apparates und Vereinheitlichung des gesamten politischen Spektrums erfordern würde. Mit anderen Worten: Ein solch radikaler Schritt setzt schon ein gewandeltes ökonomisches System und eine wie auch immer zu definierende zentrale Partei voraus, die einen derartig radikalen Schritt in die Wirklichkeit umsetzen könnte. Das aber steht im Widerspruch zum sozial-demokratischen Wirklichkeitsgehalt von Honneths Darlegungen.

Honneths Überlegungen sind auf den deutschen und angloamerikanischen Raum beschränkt. Selbst wenn man nicht erwarten kann, dass in einer Schrift wie seiner das gesamte Spektrum sozialistischen Denkens eröffnet werden kann, so ist doch noch einmal darüber nachzudenken, ob es wirklich nur eine »ursprüngliche« Idee des Sozialismus gibt und ob diese sich nicht vielmehr aus den verschiedensten kulturellen, religiösen und nationalen Traditionen speist.

Christian Lotz ist Professor für Philosophie an der Michigan State University (USA).

Axel Honneth: Die Idee des Sozialismus - Versuch einer Aktualisierung. Suhrkamp, Berlin 2015. 168 Seiten, 22,95 EUR.