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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 613 / 16.2.2016

Trouble im Deutschlandpark

Deutschland Die Bundesregierung planiert das Asylrecht und militarisiert die EU-Außengrenzen, doch die Dynamik der Migration kann sie nicht bremsen

Von Jan Ole Arps

»Durchgesetzt hat sich die Humanität.« Mit diesem Satz kommentierte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) die Einigung der Koalitionsparteien über das Asylpaket II. Welche Humanität sich da durchgesetzt hat? Für Asylsuchende mit »geringen Anerkennungschancen« werden Sonderlager und Schnellverfahren eingeführt, die mit einer Prüfung individueller Asylgründe nichts mehr zu tun haben; anschließend sollen sie innerhalb von drei Wochen abgeschoben werden können. Die Bundesregierung versucht den Eindruck zu erwecken, hiervon seien nicht viele Menschen betroffen, allerdings sollen auch Flüchtlinge ohne Pass in diese Gruppe fallen. Das sind Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende. Auch die Abschiebung kranker Menschen wird erleichtert. Asylsuchende mit »guten Anerkennungschancen« kommen zwar schneller in Integrationskurse, dafür wird ihnen aber Geld von den monatlichen Leistungen abgezogen, die ohnehin unter Hartz-IV-Niveau (laut Bundesverfassungsgericht das Existenzminimum für ein menschenwürdiges Leben in Deutschland) liegen. Außerdem - der Hauptstreitpunkt in der Koalition - wird der Familiennachzug bei »subsidiärem Schutz« (1) für zwei Jahre ausgesetzt. Mit der Konsequenz, dass sich immer mehr Familien mit Kindern auf eigene Faust auf den lebensgefährlichen Weg nach Europa machen werden.

Nicht Teil des Asylpakets, aber fest eingeplant ist, Marokko, Tunesien und Algerien zu »sicheren Herkunftsstaaten« zu erklären. Wenige Tage vor der Verabschiedung des Asylpakets II hat die Koalition außerdem das Ausweisungsrecht verschärft, so dass bei bestimmten Straftaten auch Flüchtlinge abgeschoben werden können, die unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen - ein Verstoß gegen ebendieses Abkommen.

Das Asylrecht wird beerdigt

Die Maßnahmen sind der vorläufige Höhepunkt einer Reihe von Gesetzesverschärfungen, die im vergangenen Jahr durch den Bundestag gepeitscht wurden und das, was vom deutschen Asylrecht noch übrig war, dem Erdboden gleichgemacht haben. Seit Oktober 2015 ist das Asylpaket I in Kraft, das die Unterbringung in Sammelunterkünften ausdehnt, die Residenzpflicht wieder einführt und Geld- durch Sachleistungen ersetzt - eine kostspielige Maßnahme, die allein der Entrechtung und Entmündigung der Betroffenen dient. Seither gelten Albanien, Kosovo und Montenegro als »sichere Herkunftsstaaten« (Ende 2014 waren bereits Serbien, Mazedonien und Bosnien zu solchen erklärt worden), inklusive Eilverfahren und Sonderlagern für Asylsuchende aus diesen Ländern. Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, können nun ohne Ankündigung abgeschoben werden. Die CSU feierte die Beschlüsse im Herbst als »schärfstes Asylrecht aller Zeiten in Deutschland«.

De facto hat die Koalition das individuelle Asylrecht abgeschafft, doch die Dynamik der Migration nach Europa ist weiterhin ungebrochen - trotz Abkommen mit der Türkei und neuen alten Schlagbäumen an den innereuropäischen Grenzen.

In der ersten Jahreshälfte hatte der Fokus der Grenzschutzarchitekt_innen noch auf der Route über das zentrale Mittelmeer gelegen. An der EU-Militärmission »Sophia« gegen Schleuser vor der libyschen Küste beteiligen sich inzwischen auch 950 Bundeswehrsoldat_innen. Auf dieser Route erreichen zwar immer noch zahlreiche Menschen die Europäische Union (gut 3.500 waren es im Januar), das wurde aber durch den Andrang vor allem syrischer und afghanischer Kriegsflüchtlinge über die Ägäis nach Europa und hier auf der »Balkanroute« in Richtung Norden völlig in den Schatten gestellt.

Nun haben hektische Aktivitäten eingesetzt, um diese Route zu blockieren. Die Türkei erhält Milliarden von der EU, um Menschen an der Abfahrt zu hindern, während sie gleichzeitig im eigenen Land durch den Krieg in den kurdischen Gebieten »syrische Zustände« herstellt. Die NATO hat am 11. Februar auf Drängen Deutschlands, Griechenlands und der Türkei eine Anti-Schlepper-Mission in der Ägäis beschlossen. Schon in wenigen Tagen sollen mehrere Kriegsschiffe zwischen der griechischen und der türkischen Küste patroullieren und die EU-Grenzschutzagentur Frontex sowie die Türkei mit »hochwertigen« Informationen über Abfahrten und Schleppernetzwerke versorgen. Flüchtlinge, die nach Seerecht auch von den NATO-Schiffen gerettet werden müssen, sollen umgehend in die Türkei zurückgebracht werden, auch dann, wenn sie in griechischen Hoheitsgewässern aufgegriffen wurden. Die Türkei soll zum Flüchtlingslager vor den Toren Europas werden, die militärische Aufrüstung der Grenze schreitet weiter voran.

Europas äußere und innere Grenzen

Während Deutschland vor allem darauf hofft, die Migrationsrouten nach Europa zu blockieren, setzen andere Länder die Grenzen innerhalb Europas wieder in Kraft. Zahlreiche Staaten auf der »Balkanroute« haben ihre Grenzen geschlossen bzw. ermöglichen nur noch bestimmten Personengruppen (Syrer_innen, Afghan_innen und Iraker_innen) die Durchreise. Die Regierung Mazedoniens verstärkt ihren Grenzzaun zu Griechenland, sie lässt nur wenige Menschen ins Land. Die griechische Stadt Idomeni an der Grenze zu Mazedonien ist seit Monaten ein Brennpunkt der Migration auf dem Weg nach Norden. Hier hängen all jene fest, die nicht aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak stammen, und hoffen auf eine Gelegenheit zum Durchbruch. Demonstrationen und Hungerstreiks gibt es immer wieder, im Dezember räumte die Polizei die informellen Lager und transportierte Hunderte Menschen zurück nach Athen. Doch längst warten wieder Tausende nahe Idomeni auf die Einreise nach Mazedonien, Anfang Februar gab es erneut Demonstrationen und Protestaktionen der Geflüchteten. (2)

Österreich hat eine Obergrenze von 37.500 aufzunehmenden Menschen pro Jahr beschlossen und übt nun Druck auf Mazedonien aus, den Zug der Menschen nach Norden zu stoppen. Andere Länder haben neue Einwanderungsgesetze auf den Weg gebracht (Dänemark, Deutschland, Schweden), stets mit dem Ziel, Anerkennungschancen herabzusetzen, Abschiebungen zu erleichtern und auch im Landesinnern die Kontrolle über die Menschen, die sich ihr Recht auf Bewegungsfreiheit nicht ohne weiteres nehmen lassen, wieder zu erlangen.

Doch ob die EU die Situation an ihren Außengrenzen tatsächlich unter Kontrolle bekommen kann, scheint selbst mit noch so hochgerüsteten Abschottungsarmeen mehr als fraglich. Allein im Januar 2016 flüchteten 67.000 Menschen über den Seeweg nach Europa, der Großteil von der Türkei nach Griechenland. Zum Vergleich: Im Januar 2015 waren es 5.000, im Juni 2015, bei besten Wetterbedingungen, 55.000. Das galt damals, zu Beginn des »Sommers der Migration«, als nahezu unvorstellbare Rekordzahl. (3)

Ein Ende des Krieges in Syrien ist nicht in Sicht, die Zustände im Irak und in Afghanistan sind alles andere als friedlich, und mit der Offensive der türkischen Armee in den kurdischen Gebieten entsteht gerade eine weitere Region, in der ein Leben in körperlicher Unversehrtheit immer weniger möglich wird. Aber auch in den subsaharischen Ländern verschwinden Fluchtgründe nicht dadurch, dass die Bundesrepublik weitere Länder auf die Liste der sicheren Herkunftsländer setzt. (4) So lange sich an den blutigen Regional- und Stellvertreterkriegen in den Ländern des Nahen und Mittleren Osten und an den mörderischen Handelsbeziehungen zwischen der EU und vielen afrikanischen Ländern nichts ändert, wird die EU mit ihrer Gated-Community-Politik keinen Erfolg haben. Das einzige, was sie erreicht, ist die Zahl der Todesopfer in die Höhe zu treiben. Das tut sie mit großem Eifer und leider sehr erfolgreich: 2015 starben laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mindestens 3.771 Menschen bei dem Versuch, ihr Leben nach Europa zu retten, allein im Januar 2016 waren es 368 Menschen.

Angesichts dieser Lage ist es wenig ergiebig, sich über die plakative Forderung der AfD nach einem Schießbefehl an den deutschen Landesgrenzen zu echauffieren, mit der sich die Partei eineinhalb Wochen lang die Aufmerksamkeit aller Medien sicherte. In ebendiesem Zeitraum wurde das Asylpaket II verabschiedet und die NATO-Mission in der Ägäis auf den Weg gebracht; Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bereiste in Schutzweste und ausschließlich per Hubschrauber die »sicheren Landesteile« Afghanistans, um anschließend zu erklären, dorthin könne man problemlos abschieben; Angela Merkel reiste in die Türkei, um mit Ministerpräsident Ahmet Davutoglu die Konditionen im türkischen Türsteherjob für die EU zu besprechen und über die Bombardierungen und staatlichen Massaker in den kurdischen Landesteilen großzügig zu schweigen.

Deutschland - großes Durcheinander

Ob und wie die nun beschlossenen Maßnahmen »greifen«, wird sich zeigen. Derzeit ist die Bundesregierung mit mehreren Dynamiken konfrontiert, deren Folgen noch nicht abzuschätzen sind. Das sind einmal die Dynamik der Migration, die nebenbei ein für deutsche Verhältnisse ungewohntes Maß an humanitärem Engagement in der Bevölkerung mobilisiert hat; zweitens der faktische Bedarf der europäischen Ökonomien an jungen, günstigen, teilweise auch gut ausgebildeten Arbeitskräften; drittens der Rassismus und Abschottungswahn weiter Teile der deutschen Gesellschaft, die sich derart in ihrem umzäunten Deutschlandpark eingerichtet haben, dass sie sich ein Leben mit der Welt da draußen häufig nicht mal vorstellen mögen.

Dieses dumpfe nationale Ressentiment (das es nicht nur in Deutschland gibt, das sich hierzulande aufgrund einschlägiger historischer Erfahrungen aber besonders gewalttätig zeigt) steht durchaus im Konflikt mit den ökonomischen Interessen einflussreicher Branchen und Unternehmen, die sich schon lange dafür interessieren, wie sie neues Personal mobilisieren und halten können. »Die meisten Flüchtlinge sind gut ausgebildet und motiviert. Solche Leute suchen wir«, gab Daimler-Chef Dieter Zetsche im September zu Protokoll. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer und andere führende Vertreter_innen des Unternehmerlagers schlugen ähnliche Töne an.

Schon in den vergangenen Jahren hat die deutsche Wirtschaft von der innereuropäischen Migration im Zuge der EU-Osterweiterung, dann der Eurokrise profitiert. Auf dem Bau, in der Landwirtschaft und in den schmutzigeren Branchen der verarbeitenden Industrie sind es längst vor allem osteuropäische Beschäftigte, die die schlecht bezahlten Knochenjobs machen. In den höher qualifizierten Jobs und in der Gastronomie findet man Italiener_innen, Griech_innen, Montenegriner_innen. Nun sehen Unternehmen wie Daimler eine neue Chance, an leistungsbereite und rechtlich schlechter gestellte Arbeitskräfte zu kommen, für deren Beschäftigung sie im Idealfall auch noch staatliche Zuschüsse erhalten. Dennoch sind die Interessen dieser Akteure ein Hauptgrund dafür, dass Medien wie die Bild-Zeitung und Teile der CDU noch nicht auf AfD-Kurs eingeschwenkt sind.

Andererseits sind auch die Initiativen der Menschen, die sich auf den Weg nach Europa gemacht haben, ein eigener Faktor. Sie bringen Erwartungen an ein Leben für sich und ihre Kinder mit, diese Kraft ist nicht zu unterschätzen. An mehreren Orten haben sie bereits gegen unhaltbare Zustände protestiert, etwa vor dem Lageso (»Deutschlands schlechtester Behörde«, so die Süddeutsche Zeitung) oder im Massenlager am Tempelhofer Feld in Berlin. Wie sich das Zusammenleben in den Städten und Kommunen durch ihre Interessen verändern wird, ist ebenfalls offen. Zumindest hat es bereits jetzt massenhafte Begegnungen zwischen neu Angekommenen und eingesessener Bevölkerung gegeben, und diese Beziehungen sind durchaus von Dauer, auch wenn sie noch lange nicht gleichberechtigt sein können. Zumindest ist in den letzten Wochen denkbar geworden, dass sich auch manche der Freiwilligeninitiativen politisieren werden, jetzt wo die Menschen, mit denen sie zu tun haben, nicht mehr nur das Allernötigste brauchen, sondern sich langsam ein Leben aufbauen und um ihre Rechte kämpfen.

Eine Frage, die in den nächsten Monaten ebenfalls an Bedeutung gewinnen wird, ist die der Abschiebung abgelehnter Asylsuchender. Die Bundesregierung arbeitet mit Hochdruck daran, ihre Abschiebekapazitäten zu erhöhen. In einem Schreiben vom 5. Februar forderte Innenminister de Maizière die Länder auf, mit der Anmeldung ausreisepflichtiger Afghan_innen für Abschiebeflüge »unverzüglich« zu beginnen. Schwer vorstellbar, dass das ganz ohne Widerstand ablaufen wird.

Im September schrieben Marc Speer und Bernd Kasparek, die Migration habe das europäische Grenzregime ins Wanken gebracht. (ak 608) Derzeit werkeln die Mitgliedstaaten der Europäischen Union an der Restauration dieses kollabierten Systems, an der Rückkehr zu einem Status Quo, von dem noch völlig unklar ist, ob er selbst unter Einsatz massiver Gewalt wieder zu erreichen ist.

Anmerkungen:

1) »Subsidiären Schutz« erhalten jene, die nicht nach der Genfer Flüchtlingskonvention als Flüchtlinge anerkannt werden und auch kein individuelles Asyl bekommen, aber denen in ihrer Heimat dennoch Verfolgung, Folter oder Ähnliches droht. Sie bekommen zunächst eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr, die verlängert werden kann.

2) Die Website bordermonitoring.eu berichtet regelmäßig aus Idomeni, seit Anfang Februar täglich, neben der Website auch auf Twitter: twitter.com/movingeurope

3) Die Zahlen sind von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Genf.

4) Als nächster Kandidat ist schon Mali im Gespräch. Im November plante das Bundesverteidigungsministerium noch, 650 Soldat_innen nach Mali zu schicken, um den umkämpften Norden des Landes zu »stabilisieren«.