Demokratie als Feindbild: die Hayek-Stiftung
Rechte Neoliberale Eliten streiten über Kooperationen mit der extremen Rechten
Von Jörg Kronauer
In der neoliberalen Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung ist der Machtkampf um die Frage entschieden, ob man sich einer Zusammenarbeit mit Ultrarechten prinzipiell verweigern soll. Rund 50 GegnerInnen einer solchen Kooperation haben die Elitenorganisation verlassen. Die Mehrheit billigt den Flirt mit Rechtsaußen.
Im Frühjahr 2015 platzte Karen Horn endgültig der Kragen. »Die rechte Flanke der Liberalen« - unter diesem Titel erschien am 17. Mai 2015 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ihre wütende Generalabrechnung mit einschlägigen aktuellen Trends im deutschen Liberalismus. In dessen Strukturen sei eine »reaktionäre Unterwanderung« festzustellen, klagte Horn und fragte, wo all die hässlichen Haltungen in liberalen Kreisen eigentlich herkämen: der »Brass auf Ausländer«, die »Sticheleien gegen Homosexuelle«, das »Gerede von der natürlichen Bestimmung der Frau«, überhaupt: »die Ausfälligkeiten gegenüber Gleichstellung, Inklusion und Integration«. »Wie am Stammtisch werden die Vorurteile gepflegt, dogmatisch zugespitzt und hasserfüllt herausposaunt«, schimpfte die Publizistin über ultrarechte Strömungen im neoliberalen Spektrum, dem die Hayek-Anhängerin sich immerhin persönlich zugehörig fühlt: »An üble Nachrede und Invektiven gegen Keynesianer und Sozialisten ist man gewöhnt, jetzt kommen noch Demokratie, Feminismus, Pluralität, Homosexualität und Atheismus als Feindbilder dazu.«
Elitenideologie
Horns Angriff auf »die rechte Flanke der Liberalen« löste einen Eklat im neoliberalen Milieu der Bundesrepublik aus. Die Autorin war, als sie im Mai 2015 ihren Artikel publizierte, Vorsitzende der Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft, die sich erklärtermaßen der »Förderung von Ideen« im Sinne ihres Namensgebers widmet. Hayek wiederum war einer der weltweit einflussreichsten Wirtschaftswissenschaftler des 20. Jahrhunderts und einer der führenden Köpfe des Neoliberalismus, dessen in den 1970er Jahren einsetzenden internationalen Siegeszug er bis zu seinem Tod 1992 mit Rat und Tat begleitete - von Augusto Pinochets Chile über Margaret Thatchers Großbritannien bis zu Ronald Reagans Vereinigten Staaten.
Einer seiner Ökonomenkollegen, Joseph Schumpeter, hat einmal geäußert, Hayeks Marktfetischismus sei zwar als Theorie originell, in der Praxis allerdings nur wohlhabenden Self-made-Gentlemen und Sklavenhaltern zu empfehlen. Die immer weiter auseinanderklaffende Wohlstandsschere in der immer stärker neoliberal geprägten Welt bestätigt diese Einschätzung; sie erklärt allerdings zugleich auch die anhaltend hohe Beliebtheit Hayeks und des Neoliberalismus unter den privilegierten Eliten des Westens.
Auch in Deutschland trifft man AnhängerInnen des Hayekschen Neoliberalismus vor allem inmitten des gesellschaftlichen Establishments. Karen Horn selbst ist ein typisches Beispiel hierfür. Die promovierte Ökonomin arbeitete von 1995 bis 2007 als Redakteurin für den renommierten Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, leitete dann von 2007 bis 2012 das Berliner Hauptstadtbüro des einflussreichen Instituts der deutschen Wirtschaft und ist heute neben ihrer Tätigkeit als Publizistin und Vortragsrednerin unter anderem als Chefredakteurin der Zeitschrift Perspektiven der Wirtschaftspolitik tätig, die vom traditionsreichen Verein für Socialpolitik publiziert wird, dem mit gut 4.000 Mitgliedern größten Ökonomenverband im deutschsprachigen Raum. Nebenbei ist Horn Mitglied der Mont Pèlerin Society, einer hoch elitären Vereinigung mit internationaler Mitgliedschaft, die Hayek 1947 gründete, um seinem Neoliberalismus weltweit zum Durchbruch zu verhelfen - mit Erfolg, wie man heute weiß. Die Mont Pèlerin Society zählt nicht nur acht Wirtschaftsnobelpreisträger zu ihren Mitgliedern, sondern auch Wirtschaftsbosse wie Charles Koch, einen der mächtigsten US-Industriellen, sowie eine Reihe einstiger Regierungschefs und Minister aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien und weiteren Ländern, darunter den früheren tschechischen Minister- und Staatspräsidenten Václav Klaus.
»Fiskalische Belastung«
Der exklusiv-elitären Mont Pèlerin Society gehört auch Gerd Habermann an. Der promovierte Ökonom wirkte von 1978 bis 1982 als Grundsatzreferent beim CDU-Wirtschaftsrat, bevor er 1983 zur Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU) wechselte. Der vom Mittelstand geprägte Verband heißt heute Die Familienunternehmer und vertritt an die 5.000 Mitglieder, deren Unternehmen einen Jahresumsatz von mindestens einer Million Euro haben. Ihre wirtschaftlichen Interessen drängten Verbandsfunktionär Habermann Ende der 1990er Jahre dazu, eine Art deutsches Pendant zur Mont Pèlerin Society zu gründen, um dem Neoliberalismus in der Bundesrepublik zu neuen Durchbrüchen zu verhelfen. 1998 rief er mit einer Reihe von Mitstreitern die Hayek-Gesellschaft ins Leben, 2002 dann die Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung für eine freie Gesellschaft. Habermann hat bis heute die Zügel fest in der Hand: Er ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung, die - nebenbei - nicht mit der Freiburger Friedrich August von Hayek-Stiftung verwechselt werden darf, und er gibt in der Hayek-Gesellschaft (offiziell als »Sekretär«) den Ton an. In der elitären Hayek-Gesellschaft waren lange um die 300 einflussreiche Personen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Publizistik organisiert - im Juli reduzierte sich ihre exklusive Mitgliedschaft nach heftigen internen Auseinandersetzungen ein wenig.
Eskaliert ist der Streit nach der Veröffentlichung von Horns Attacke gegen ultrarechte Strömungen im deutschen Neoliberalismus, die wohlbegründet war. Mitglieder der Hayek-Gesellschaft hatten schon vor Jahren ihre Fühler weit nach rechtsaußen ausgestreckt. Manche - wie Gerd Habermann, der Soziologe Erich Weede und einige andere - schrieben zuweilen in der Jungen Freiheit. Eine größere Anzahl an Stiftungsmitgliedern diskutierte rege auf den Seiten von eigentümlich frei, dem vom Stiftungskollegen André F. Lichtschlag in Grevenbroich publizierten Monatsmagazin, zu dessen Redaktionsbeirat Habermann und Weede zählen. In dem Blatt darf seit einiger Zeit - und das ist kein Ausrutscher - Martin Lichtmesz, dessen Positionen man schon lange aus jungkonservativen Medien wie der Zeitschrift Sezession kennt, eine regelmäßige Kolumne füllen.
Weshalb aber interessieren sich Personen aus dem neoliberalen Establishment für die äußerste deutsche Rechte? Einen Eindruck bekommen konnte man etwa beim jüngsten Jahrestreffen der Hayek-Gesellschaft Ende Juni 2015, bei dem es um den ökonomischen Nutzen der Migration in die Bundesrepublik ging. »Die Zuwanderung, die wir gehabt haben, war insgesamt eine fiskalische Belastung«, urteilte ein Referent. Der Mann - es war Weede - zählt zu denjenigen Hayekianern, die auf der Suche nach politischen Optionen zur Umsetzung seiner ökonomischen Überzeugungen den rechten Rand in den Blick genommen haben.
Mit Sarrazin verbrüdert
Ein anderes Motiv für Teile der ökonomischen Eliten, sich rechtsaußen umzutun, ist seit einigen Jahren die Eurorettungspolitik der Bundesregierung, die besonders beim Mittelstand auf verärgerten Widerstand trifft. Mitglieder der Hayek-Gesellschaft nahmen deshalb regen Anteil, als im Februar 2013 der neoliberale Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke die Alternative für Deutschland (AfD) gründete. Lucke hatte seit 2010 auf diversen Wegen versucht, politisch gegen die Eurorettungspolitik zu intervenieren; nach einer Vielzahl gescheiterter Bemühungen setzte er schließlich auf die Gründung einer neuen Partei. Die AfD sollte politisch fest in seiner Hand bleiben, das notwendige Stimmvieh aber mit Hilfe geschickter Agitation vor allem im rechten Sumpf aufgreifen.
Prominente Mitglieder der Hayek-Gesellschaft, die Lucke bei dem Experiment unterstützten, waren etwa Gerd Habermann und der Mannheimer Wirtschaftsprofessor Roland Vaubel; sie stellten ihre Namen für den Wissenschaftlichen Beirat der AfD zur Verfügung. Vaubel gehört übrigens bis heute auch dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums an. Mitglied der Hayek-Gesellschaft war auch Ex-BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel, der für die AfD ins Europaparlament gewählt wurde, mittlerweile aber wie Lucke den Versuch mit dem rechten Sumpf für gescheitert erklärt hat und mit lautem Getöse aus der AfD ausgetreten ist. Die Liste mit der AfD sympathisierender Hayekianer ließe sich deutlich verlängern.
Einigen im neoliberalen Teil des Establishments ist das alles nun doch zuviel geworden, und so hat Karen Horn im Mai zur Attacke geblasen. Da wetterten Neoliberale gemeinsam mit der AfD gegen »Multikultiumerziehung« und verbrüderten sich sogar »mit einem Thilo Sarrazin«, schrieb sie, dessen krassen Rassismus angreifend, den das einstige Vorstandsmitglied der Bundesbank stets auch damit begründet hatte, Migranten brächten in vielen Fällen ökonomisch eben keinen Nutzen. Prompt erfolgte der Gegenschlag gegen Horn. Die damals noch amtierende Vorsitzende der Hayek-Gesellschaft versuche wohl, ihrer Organisation »ein einseitiges und verengtes Liberalismusverständnis aufzuzwingen«, behaupteten 26 Mitglieder, darunter neben Vaubel und Weede etwa der Ex-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler (FDP), in einem Offenen Brief und verlangten ihren Rücktritt. Die anschließende Schlammschlacht kann man unter anderem in der Jungen Freiheit und in eigentümlich frei nachlesen. Sie endete damit, dass Horn zurücktrat und gemeinsam mit rund 50 weiteren Personen - darunter ihr früherer Chef beim Institut der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sowie Hans-Olaf Henkel - die Hayek-Gesellschaft verließ.
Wer mit wem?
Und nun? Die Hayek-Gesellschaft hat ein halbes Hundert Neoliberale verloren, dafür inzwischen aber rund 30 neue Mitglieder gewonnen, etwa Roland Tichy, den ehemaligen Chefredakteur der WirtschaftsWoche und heutigen Vorstandsvorsitzenden der liberalen Ludwig-Erhard-Stiftung. Sie ist weiterhin fest im neoliberalen Teil des deutschen Establishments verankert; der gesellschaftliche Einfluss ihrer Mitglieder, die sich die Option eines Flirts mit der äußersten Rechten nicht nehmen lassen wollen, reicht weit.
In der Geschichte der Bundesrepublik hatte das Establishment über die Jahrzehnte in den entscheidenden Fragen stets einen Konsens gefunden, der sich in den etablierten Parteien verwirklichte und den rechten Rand mied. Dass dies nicht mehr durchgängig der Fall ist, zeigt, dass das alte bundesdeutsche Modell nicht mehr reibungslos funktioniert. In Organisationen wie der Hayek-Gesellschaft kann man beobachten, wie Experimente mit ultrarechten Milieus in Teilen des Establishments auf wütenden Protest stoßen - aber auch, wie sie weitergeführt werden. Als Mitte November 2015 eigentümlich frei seine zweite große Jahreskonferenz zum Thema »Linke, Rechte, Libertäre, Reaktionäre - wer mit, wer gegen wen?« auf Usedom durchführte, da diskutierten auch Mitglieder der Hayek-Gesellschaft, etwa Erich Weede, mit. Die neoliberalen Eliten haben ihre politischen Optionen in neue Gefilde ausgedehnt.
Jörg Kronauer lebt in Köln und arbeitet als Sozialwissenschaftler und freier Journalist. Sein Artikel erschien zuerst in Lotta Nr. 61/Winter 2016.
Lotta
ist eine antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen. Sie erscheint seit 1999 vierteljährlich und wird von einem ehrenamtlichen Kollektiv produziert. Die Themen sind nicht auf die drei Bundesländer beschränkt, in den Schwerpunkten sowie Rubriken wie Gesellschaft, Geschichte, Antirassismus und Braunzone wirft sie einen Blick über den Tellerrand. -> www.lotta-magazin.de