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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 614 / 15.3.2016

Mit geschärftem Blick

Kultur Nnedi Okorafor ist eine der produktivsten zeitgenössischen Autor_innen in den Welten der »speculative fiction«

Von Charlott Schönwetter

Wenn ich versuche, anderen zu beschreiben, warum ich mich so gern mit Literatur beschäftige, falle ich meistens auf das folgende Argument zurück: Literatur sehe ich als Spielfeld, als Ort, an dem das Denkbare ausgelotet werden kann. Wie könn(t)en wir leben? Was könnte in einem bestimmten Szenario passieren? Was wäre wünschenswert? Was macht Angst? Wie stehen wir zueinander?

Das Ausloten dieser Grenzen des Vorstellbaren wird sicher am deutlichsten in Werken, die im Englischen unter den schönen Begriff »speculative fiction« gefasst werden können. Unter diesen Sammelbegriff fallen unter anderem so unterschiedliche Genres wie SciFi, Fantasie, Horror und Alternativweltgeschichte. Gemein ist ihnen, dass sie Elemente aufgreifen, die entfernt von unserer Wirklichkeit scheinen: Magie, Vampire oder Aliens.

Was diese Genres Fruchtbares produzieren können, lässt sich am besten mit einem Blick auf feministische und/oder antirassistische Autor_innen erahnen, die nicht nur die Grenzen und das Mögliche menschlicher Beziehungen und Gesellschaften ausloten, sondern nebenbei auch noch Genre-Tropen sezieren und aufbrechen. Einige Anthologien haben in den letzten Jahren den Einstieg für Genre-(Wieder)-Entdecker_innen vereinfacht. Zu nennen wären beispielsweise »Afrosf: Science Fiction by African Writers«, herausgegeben von Ivor W. Hartmann, aus dem Jahr 2013 und »Sisters of the Revolution: A Feminist Speculative Fiction Anthology«, herausgegeben von Ann und Jeff VanderMeer, sowie »Octavia's Brood: Science Fiction Stories from Social Justice Movements«, herausgegeben von Walidah Imarisha und adrienne maree brown, beide aus dem Jahr 2015.

In zwei der drei Anthologien ist Nnedi Okorafor vertreten, eine der produktivsten zeitgenössischen Autor_innen in den Welten der »speculative fiction«, die seit 2005 über zehn Bücher veröffentlicht hat. Ein Blick in einige Werke ihres beeindruckenden OEuvres verdeutlicht, wie in diesen Genres soziale und politische Themen verhandelt werden können - und dabei auch noch Leser_innen bestens unterhalten werden.

In ihrem 2010 erschienen dystopischen Roman »Who Fears Death«, zeichnet Okorafor einen post-apokalyptischen afrikanischen Schauplatz, der Anspielungen auf den Sudan, aber beispielsweise durch die Namengebung auch auf Nigeria aufweist. Wir folgen der Protagonistin Onyesonwu, die aufgrund ihrer Herkunft sozial geächtet wird, aber in ihrer Jugend feststellt, dass sie über magische Kräfte verfügt. Okorafor gelingt es in dieser Geschichte, die teils brutal, teils humorvoll, immer aber mitreißend ist, Themen aufzugreifen wie FGM (Female Genital Mutilation), Rassismus, Umweltzerstörung und sexualisierte Gewalt, die als Mechanismus des Krieges gezielt eingesetzt wird. Und sie stellt diesen durchaus empowernde Momente gegenüber. So handelt der Roman am Ende genauso von Freundschaften, weiblicher Solidarität und Widerstand.

Ein Jahr darauf veröffentlichte Okorafor das Jugendbuch »Akata Witch«. Dieses dreht sich um die zwölfjährige Sunny, die in den USA geboren wurde, aber seit drei Jahren bereits wieder mit ihrer Familie in Nigeria lebt. Am liebsten würde sie den ganzen Tag mit ihren Brüdern Fußball spielen, doch da sie Albinismus hat, kann sie dieser Leidenschaft draußen nur nach Sonnenuntergang frönen. Als sie dann eines Tages eine dystopische Szene im Licht einer Kerze sieht, ist dies nur das erste Zeichen dafür, dass sich für Sunny bald eine magische Welt eröffnen wird. »Akata Witch« ist vielleicht so etwas wie ein nigerianischer Harry Potter - mit einem wesentlich geschärfteren Blick für Diskriminierungserfahrungen. Okorafor zeigt Machtgefälle in der magischen und nicht-magischen Welt auf und deren Verknüpfungen. Dabei stellt sie auch die Frage, was würde ein Schwarzer Junge in den USA angesichts von Polizeigewalt machen, wenn er zaubern könnte.

In andere Gefilde wagt Okorafor sich mit »Lagoon« aus dem Jahr 2014. In diesem Roman, der sich der klassischen SciFi-Trope »Alieninvasion« widmet, wird eben diese Trope auseinandergenommen. Wie bereits Olivia Butler vor ihr, nimmt Okorafor das Bild des Aliens, welches häufig einsteht für »das Andere« und durch sexistische sowie rassistische Vorstellungen charakterisiert wird, und unterläuft diese Darstellungen. Aliens sind in »Lagoon« weder immanent gut noch schlecht, sie sind im Wandel. Und als sie in der Bucht vor Lagos, Nigeria, landen, treffen sie auch nicht zunächst auf Menschen, sondern auf einen Schwertfisch. Doch sind es dann an Land eine Meeresbiologin, ein Rapper und ein Soldat, die die Botschafterin der Aliens zum nigerianischen Präsidenten bringen sollen. Um sie herum bricht in Lagos das Chaos aus, denn so eine »Alieninvasion« geht nicht spurlos an den Menschen, von Internet-Scammern bis zu Mitgliedern einer LGBT-Gruppe, vorbei. Okorafor gelingt es anhand dieses Szenarios, unterschiedlichste Ängste und Hoffnungen auszuleuchten.

Auch wenn »speculative fiction« prinzipiell ein riesiges Potenzial hat, wird doch auch diese Literatur in unserer durch Sexismus, Rassismus und andere Diskriminierungsverhältnisse strukturierten Welt produziert und diskutiert. Im Jahr 2011 bemerkte Nnedi Okorafor in einem Blogbeitrag, dass sie sehr zwiegespaltene Gefühle hat hinsichtlich der Statue, die sie für den Gewinn des World Fantasy Award erhalten hatte, da diese das Konterfei des Autors H.P. Lovecraft trägt. Ein Autor, der bekannt ist für seine Sci-Werke - und seinen tiefgehenden Rassismus und Antisemitismus. Der Backlash gegen Okorafor war beachtlich, wie zu erwarten, wenn an den Büsten weißer Männer gerüttelt und gesägt wird. Doch zumindest diese Episode hat ein Happy End: Bei der letztjährigen Preisverleihung wurde verkündet, dass es das letzte Jahr mit der H.P.-Lovecraft-Statue sei.

Charlott Schönwetter ist Autorin der Mädchenmannschaft und arbeitet sonst an ihrer Doktorarbeit an der Schnittstelle von afrikanischen Literaturen und Gender Studies.

Die Mädchenmannschaft

ist ein feministisches Gruppenblog und kommentiert kritisch Tagesgeschehen, gibt Einblicke in Bewegungsgeschichte, debattiert feministische Ideen und bespricht manchmal auch nur die besten Bücher und Serien. -> maedchenmannschaft.net