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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 614 / 15.3.2016

Kampf um Hegemonie

Gender Wieso der Anti-Genderismus ein Indiz queer-feministischer Erfolge ist

Von Antke Engel

Dass sich die Anti-Genderist_innen formieren und einige von ihnen in den vergangenen Jahren keine Mühen gescheut haben, komplizierte poststrukturalistische und gendertheoretische Texte zu lesen, kann in gewisser Hinsicht durchaus als Erfolg der queerfeministischen Bewegungen verstanden werden. Offensichtlich gelten letztere mittlerweile als ernstzunehmende Kraft und als Bedrohung der patriarchal-heteronormativen Ordnung mit ihren abendländischen Überlegenheitsfantasien. Die Vision der Anerkennung sexueller Vielfalt und nicht-hierarchischer Formen von Differenz ist in aller Munde, auch wenn sie nicht überall auf Begeisterung stößt. Zu radikal ist die Idee, dass Differenz als soziale Ungleichheit bekämpft wird, während zugleich Differenz als zu respektierende Besonderheit jedes einzelnen Lebewesens gestärkt wird. So jedenfalls ließe sich die politische Perspektive queerfeministischer Ansätze auf den Punkt bringen, die sich intersektional gegen sämtliche Gewalt- und Herrschaftsformationen wehren. Wenn angesichts dessen die Abwehrreaktionen der Anti-Genderist_innen von den liberalen Medien so interpretiert werden, als sei ein »Kulturkampf um sexuelle Vielfalt« entbrannt, greift dies zu kurz. Denn auf dem Spiel stehen nicht ausschließlich geschlechtliche und sexuelle Ungleichheitsverhältnisse, sondern dominanzgesellschaftliche Überlegenheitsvorstellungen und ein entsprechendes Streben um Vorherrschaft generell: sei es z.B. der Alltagsrassismus, der im Reklamieren eines weißen, christlich-abendländischen Zivilisationsvorsprungs besteht, sei es der neoliberal durchgesetzte Zwang zu selbst verantwortetem Erfolg und ungebrochener, fortwährender psychosozialer und körperlicher Funktionsfähigkeit.

Dennoch ist es interessant, den Fokus auf »sexuelle Vielfalt« aufrechtzuerhalten und zu fragen, inwiefern zum jetzigen historischen Zeitpunkt in Europa ausgerechnet mit Sexualität Politik gemacht wird. So werden in der jüngst entbrannten Debatte um sexualisierte Gewalt beinahe ausschließlich Gewalt gegen Frauen thematisiert (als gäbe es keine trans- und homophobe sexuelle Gewalt) und rassistische Täterprofile entworfen. In diesen Debatten geht es keineswegs darum, gesellschaftlichen Raum zu eröffnen, der es allen Menschen erlaubt, sexuell selbstbestimmt zu leben. Viel häufiger wird Sexualität zur Durchsetzung von Machtinteressen eingesetzt. Diese Formulierung bezieht sich keineswegs ausschließlich auf diejenigen, die sexuelle Gewalt ausüben, sondern auch auf diejenigen, die symbolische Gewalt zum Einsatz bringen, um nicht normgerechte Sexualität zu skandalisieren oder sexuelles Fehlverhalten entlang moralischer Normen zu unterstellen. Letztere haben jahrhundertelang dazu gedient, geschlechtliche, sexuelle und rassisierte Hierarchien durchzusetzen.

Hier schließt sich der Kreis zu den Anti-Genderist_innen, die einem Geschlechter- und Menschenbild verpflichtet sind, das Ungleichheitsverhältnisse naturalisiert und sie auf diese Weise fortzusetzen trachtet. Dennoch ist es vielversprechend, dass sie sich hierbei rhetorischer und kultureller Formen bedienen, die gerade in ihrer Polemik durchaus geeignet sind, die Argumente ihrer Gegner_innen zu verbreiten und ihre eigenen Befürchtungen offenkundig zur Schau stellen. Bestes Beispiel dafür ist ein kurzer Trickfilm über die Gefahren des Sexualkundeunterrichts, erstellt für den Verein Starke Mütter. In dramatischer Zuspitzung zeigt der Film Eltern, die ihr Kind vor schulischer Manipulation schützen wollten, durch die Staatsgewalt mit Handschellen an die Gitterstäbe einer stilisierten Knastzelle gekettet - und inszeniert damit eine perfekte SM-Fantasie. Davon ausgehend, dass auch die Kinder der »Besorgten Eltern« dieses amüsante Video zu Aufklärungszwecken anschauen dürfen, kann die queerfeministische Bewegung durchaus froh sein, dass hier so pointiert für die befürchtete »Frühsexualisierung« der Kinder gesorgt wird.

Es ist ein Kampf um Hegemonie entbrannt: Eine breitere Öffentlichkeit macht sich Gedanken über geschlechtliche, sexuelle und soziale Ungleichheitsverhältnisse. Allerdings ist es durchaus bedeutsam und wichtig zu benennen, dass und von welcher Seite dieser Kampf mit Mitteln symbolischer und normativer Gewalt geführt wird. So gilt es zu fragen, ob das Spektrum der Diffamierungen, Drohungen und Diskriminierungen von Seiten der Anti-Genderist_innen wirklich auf der gleichen Ebene anzusiedeln ist wie die »ideologische Manipulation«, die diese der Gender-Theorie vorwerfen. Denn wenn eine Ideologie, eine politische Lehrmeinung und Veränderungsvorstellung vonseiten der Gender- und Queer Studies vertreten wird, so ist dies, wie oben dargelegt, eine Ideologie, die in übergreifendem Sinne auf soziale und sexuelle Gerechtigkeit setzt.

Den gesellschaftlichen Wert solcher Auseinandersetzung, die ohne Angst vor Diffamierung, Diskriminierung und Gewalt zu führen wären, erfasse ich mit dem Begriff der »umstrittenen Heterogenität«. Vertreter_innen der Gender-, Queer- und postkolonialen Theorie sowie kritische Migrations-, Rassismus- und Befähigungsforscher_innen (critical disability studies) sind ebenso wie die entsprechenden politischen Bewegungen gefragt, Vorschläge zu machen, um die politischen Debatten mit ihren Begriffen und Zielvorstellungen zu inspirieren. Hierbei ist es ganz besonders wichtig, aufmerksam zu sein, dass denjenigen, die aus sozialen Norm-Biografien herausfallen und/oder nicht als politische Subjekte anerkannt sind, Artikulations- und Gestaltungschancen zukommen; insbesondere auch dann, wenn sie durch ihre Äußerungen oder Lebenspraxen dominante Werte und Institutionen in Frage stellen.

Antke Engel leitet das Institut für Queer Theory in Berlin. Die ungekürzte Fassung des Textes erschien in an.schläge 2/2016.

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