Das Problem mit dem Ruf nach Diversity in Hollywood
Kultur Was Politik und Kultur miteinander zu tun haben
Von Nina Scholz
Als Anfang März der erste Trailer des »Ghostbuster«-Remakes im Netz veröffentlicht wurde, fielen viele der Reaktionen anders als erwartet aus. Statt Begeisterung hagelte es wütende Tweets, Blogposts und Facebook-Kommentare von denen, die sich monatelang auf den Film gefreut hatten. Und es war nicht das erste Mal, dass das »Ghostbusters«-Remake Entrüstung hervorrief. Als vergangenen Sommer angekündigt wurde, dass Regisseur Feig den beliebten Geisterjäger-Klamauk »Ghostbusters« mit Frauen statt Männern in den Hauptrollen neu auflegen würde, reagierten besonders Männer in den Sozialen Netzwerken entrüstet. Doch für viele kinobegeisterte Frauen und andere, die sich durchaus auch Frauen in nicht klassischen Hauptrollen vorstellen können, war ab diesem Zeitpunkt die Vorfreude groß.
Paul Feig schien auch der Richtige zu sein, um so ein Projekt zu verwirklichen: Er hat mit der nur eine Staffel laufenden Serie »Freaks & Geeks« Mitte der Nullerjahre eine der besten Serien aller Zeiten gedreht. Feig ist aber vor allem in Hollywood mittlerweile der Mann, der es schafft, mit Filmen, in denen Frauen (ungewöhnliche) Hauptrollen spielen, bei Publikum und Kritiker_innen erfolgreich zu sein. Seine Komödie »Bridesmaids« war 2011 eine kleine Revolution im Hollywood-Mainstream. Vier Frauen spielen in der Comedy die Hauptrollen, um Männer und romantische Gefühle geht es maximal am Rande, dafür gibt es umso mehr derben Humor, und auch vor Fäkalwitzen wird nicht Halt gemacht. Bis »Bridesmaids« schien eine unumstößliche Regel in Hollywood zu gelten: (Heterosexuelle) Männer schauen »Bromance«-Filme, also jene Comedys, die Männerfreundschaften unter allen möglichen widrigen Umständen des modernen Lebens durchexerzieren, und (heterosexuelle) Frauen schauen »Romcoms«, also romantische, lustige Filme über die Suche nach Mister Right. Hauptrollen hatten unter anderem Kristen Wiig und Melissa McCarthy, die auch in »Ghostbusters« wieder dabei sind. Nach »Bridesmaids« drehte Feig mit Melissa McCarthy »Heat« und »Spy« zwei Action-Comedys, in denen er, mal besser, mal schlechter bewies, dass es auch für Frauen keine Humorgrenzen gibt.
#GhostbustersSoWhite?
Auch das »Ghostbusters«-Remake sieht im aktuellen, zweieinhalb-minütigen Trailer nach viel Spaß aus. Es gibt leuchtende Gespenster, Schleim, Actionszenen und viel zu lachen. Die vier Hauptrollen sind mit Frauen besetzt. Wo ist also das Problem mit dem neuen Trailer, der doch scheinbar alle Erwartungen erfüllt? Ganz am Rande des Geschehens, als vierte Geisterjägerin, ist neben ihren drei weißen Kolleginnen, Kristen Wiig, Melissa McCarthy und Kate McKinnon, Leslie Jones dabei. Jones ist schwarz, in allen Szenenbildern steht sie außen, am Rande, neben ihren drei weißen Kolleginnen, und sie ist als einzige keine Wissenschaftlerin, sondern arbeitet als Elektrikerin in der New Yorker U-Bahn. Jones steht in dem komplett weiblichen Ensemble also dort, wo Frauen in männlichen Besetzungen bisher maximal die Nebenrolle zugewiesen wurde. Kritiker_innen warfen dem Regisseur deshalb Rassismus vor.
Eine gar nicht unähnliche Debatte hatte es erst ein paar Wochen zuvor gegeben. Kurz nachdem die Nominierungen für die Oscars 2016 bekannt wurden, trendete auf Twitter der Hashtag #OscarsSoWhite. Filme über schwarze Amerikaner_innen wie der »Rocky«-Nachfolger »Creed« oder das NWA-Biopic »Straight Outta Compton« waren zwar auf der Liste der Oscar-Kandidaten, aber die Nominierten selbst waren durch die Bank weiß. Besonders die Nominierung von Sylvester Stallone für seine Rolle in »Creed« statt des schwarzen Hauptdarstellers Michael B. Jordan rief Entrüstung hervor. Die Forderung, die hinter dieser Entrüstung steht, heißt Diversity. Diversity ist ein Konzept aus der US-Kultur, wird aber auch hierzulande mal als Diversity, mal eingedeutscht als Diversität immer populärer. Diversity gilt als strategisches Mittel gegen die Diskriminierungen, denen Minderheiten in der weißen, heteronormativen Gesellschaft ausgesetzt sind. Kurz gesprochen bedeutet eine gelungene Diversity, dass alle in der Gesellschaft vertretenen Herkunfts- und Altersgruppen, Hautfarben, Geschlechter und sexuellen Orientierungen, Behinderungen und Religionen auch in allen gesellschaftlichen Bereichen vertreten sind.
Für das Kino übersetzt bedeutet das: Geschichten sind mächtig, und je mehr Menschen sie erreichen und je öfter sie erzählt werden, desto mächtiger sind sie. Das bedeutet für Hollywoodfilme, dass sie viele unterschiedliche Geschichten von weißen Männern erzählen, die Narrationen über alle anderen sich aber in wenigen Klischees schnell erschöpfen. Hollywood-Blockbuster sind teure Investitionen. Da gehen die Produzent_innen lieber auf Nummer sicher.
Seit geraumer Zeit fordern aber andere im Namen der Diversity ein Mitspracherecht. Sie fordern, dass die im Kino erzählten Geschichten dem Querschnitt der Gesellschaft entsprechen. Sie fordern, dass als Identitäten repräsentiert werden. Wo es bisher nur männliche, weiße und heterosexuelle Superhelden gibt, sollen Frauen, Queers und Schwarze und viele mehr ihre Kräfte unter Beweis stellen dürfen. Die mehrheitlichen weißen Familien in der Comedy-Welt des Fernsehens sollen durch Familien mit anderen Hautfarben ersetzt werden. Statt nur schlanken Frauen, sollen alle Figuren im Fernsehen zu sehen sein. Die Idee dahinter ist, dass die Welt besser, bunter, verständnisvoller wird, wenn jeder eine Stimme erhält - und sei es nur durch eine_n Repräsentant_in im Kulturbetrieb.
Mit Diversity für ein anderes Kino
In Teilen der amerikanischen Medienindustrie hat man das verstanden und setzt mittlerweile auf Diversity, auch als Verkaufskonzept: Wenn der weiße, heterosexuelle Mann nur noch ein Vertreter eines kaufkräftigen Milieus ist, dann verspricht Diversity auch neue Absatzmärkte, neue Zielgruppen. Wenn erst genug Frauen Drehbücher schreiben, dann schauen auch mehr Frauen Filme.
Hier genau liegt das Problem mit Konzepten wie Diversity und Identitätspolitik, die als Rezepte zum Umgang mit gesellschaftlichen Problemen verkauft werden: Dahinter steht die Vorstellung einer Welt, in der sich Probleme erledigen, wenn man sie nur ein bisschen bunter macht. Niemand hat gefragt, ob es überhaupt wichtig ist, bei den Oscars dabei zu sein. Was sind denn die Oscars? Mal ganz ehrlich, warum sollte irgendjemand, der sich für ein widerständiges, vielfältiges Kino interessiert, darauf plädieren, bei den Oscars mitzumachen, deren einziger Nutzen darin besteht, sehr gut verdienenden Schauspieler_innen ein Abo auf noch mehr Filme zu verschaffen? Die Oscars taugen in einer ausdifferenzierten Kinowelt nicht mehr als Stimmungsbarometer als IMDb-Bewertungen (Internet Movie Database) und Kinocharts oder Festivalgewinne. Ein Academy Award sagt nichts über den Stand der Filmindustrie, über Debatten im Kino oder die Qualität der Filme aus. Und so verhält es sich auch mit der Forderung nach Teilhabe in den Medienkonzernen im Allgemeinen: Wenn ein moderner Medienkonzern seine Angestellten nach einem Diversity-Schlüssel einstellt, ist das begrüßenswert, es sagt aber noch nichts darüber aus, wie diese Menschen arbeiten müssen, welche Inhalte sie erstellen, welche Gehälter sie verdienen. Es sagt nur etwas darüber aus, ob Menschen an einer bestimmten Stelle des Systems diskriminiert werden oder nicht.
Hilft Diversity gegen Diskriminierung?
Ähnlich schwierig ist es auch, wenn Diversity zu einer inhaltlichen Kategorie erhoben wird. Viele Jahre wendeten Feministinnen den Bechdel-Test auf Filme an, um herauszufinden, ob in einem Film mehr als eine Frau vorkommt, die Frau mit mindestens einer anderen Frau spricht - und zwar über etwas anderes als über einen Mann. Das Problem mit solchen Tests liegt auf der Hand. Sie sagen etwas über die Quantität, nicht über die Qualität aus. Im Fall von »Bridesmaids« trifft beides zu. Im Fall vom »Sucker Punch« von Regisseur Zack Snyder zum Beispiel sagen die Zahlen nicht viel aus: Hier spielen viele Frauen mit, sie reden auch miteinander, tatsächlich ist der Film aber ein durch und durch sexistisches Ärgernis. Statt starker Frauen gibt es sexuelle Abziehbilder männlich-pubertierender Fantasien, die Röcke sind kurz, die Haare lang, die Gehirne klein. Oder ein positives Beispiel: Ein Jahr vor »Bridesmaids«, nämlich 2010, übernahm Angelina Jolie die Rolle der Actionheldin Salt, die eigentlich für Tom Cruise vorgesehen war. Der Actionfilm ist von jeher eine Männerdomäne. Frauen kommen hier maximal am Rande des Geschehens und in Nebenrollen vor. Eine Heldin findet man selten, öfter dafür die Damsel in Distress. Und Evelyn Salt ist eine großartige Actionheldin, die aber im Film kein nennenswertes Wort mit einer anderen Frau wechselt.
Der Ruf nach Diversity ist aber auch der nach Identifikation. Das ist zunächst mal nichts Falsches. Kunst und Kultur profitieren von vielfältigen Erzählungen und Figuren. Doch Identifikation kann nicht nur mit Figuren und Erzählungen stattfinden, die sich innerhalb meiner eigenen identitätspolitischen Kategorie bewegen. Ich bin eine Frau, also muss mich in einem Film eine Frau repräsentieren? Eine Migrantin kann nur von einer Migrantin repräsentiert werden und ein schwarzer Mann nur von einem schwarzen Mann? Gerade Filme können die Möglichkeit eröffnen, sich mit Figuren zu identifizieren, die anders sind als ich selber. Darf ich als feministische Frau Lust auf Filme haben, in den Männer mit zu großen Bizepsen alles niederballern? Natürlich! Alles andere wäre ja furchtbar. Filme sind auch Energie, Stimmung, dreckige Witze und böse Gedanken. Und wäre es nicht ein zu Ende gedachtes Konzept von Diversity, wenn ich mir vom Kino erstens wünsche, dass es die Welt nicht nur so bunt wie möglich, sondern auch so brutal und herzzerreißend abbildet, wie sie ist? Oder so wunderschön, wie sie sein könnte?
Und der Ghostbusters-Film? Heißt das, dass die Kritiker_innen falsch lagen? Nein, das heißt es nicht. Kritik an eindimensionalen Figuren ist durchaus angebracht, vor allem, wenn das Eindimensionale an Hautfarbe, Klasse und Geschlecht geknüpft ist. Von einem zweieinhalb Minuten langen Trailer auf einen Film zu schließen, ist aber vielleicht trotzdem etwas verfrüht. Davor hat auch Leslie Jones selber gewarnt, die auf Twitter ihre Fans bat, sich den Film erst einmal anzuschauen, bevor sie ihr Urteil fällen. Außerdem teilte sie eine Nachricht, die sie von einer Frau bekommen hatte, die wirklich als Elektrikerin in der New Yorker U-Bahn arbeitet. Die Frau hat sich gefreut, dass sie sich mal in einem Film wiederfindet. Hier fühlt sich jemand als Angehörige ihrer Klasse vertreten. Und diese Dimension kommt in der Identitätspolitik der Diversity-Apologet_innen leider sowieso nicht vor.
Nina Scholz ist Teil des Hate Magazins.
Hate Magazin
Das Hate Magazin widmet sich seit 2008 Fragen zum Thema Relevanz und Stil. -> hate-mag.com