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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 615 / 19.4.2016

Aufgeblättert

Tabakarbeiterinnen

Die Tabakwerke im Salzburgerischen Hallein waren nicht typisch für Fabriken vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Mehrheitlich verdienten die dort angestellten Frauen mehr als Männer in anderen Betrieben der Region. Damit übernahmen sie die Versorgung ihrer Familien und waren nicht die üblichen »Zuverdienerinnen«. Viele organisierten sich gewerkschaftlich und sozialdemokratisch, sie waren bekannt für ihr Selbstbewusstsein und kämpften gegen Übergriffe der (männlichen) Vorarbeiter, für höhere Löhne und bessere Sozialleistungen. Die Neuauflage des 1988 erstmals erschienenen Buches von Ingrid Bauer ist nicht nur wegen der Beschreibung des Widerstandes der Frauen interessant, sondern auch weil eine »Arbeitergeschichte« erzählt wird, die über die Fabrik hinaus geht. Der Alltag der Frauen (und wenigen Männer) wird von ihrer Kindheit bis hin zur Schließung der Tabakproduktion beschrieben: das Wohnen, die Arbeit im Haushalt, das Weggeben der Kinder und die eigene Kindheit - entfernt von der leiblichen Familie etc. Nicht zuletzt wird sichtbar, dass die Frauen doppelte Arbeit leisteten, weil sich die Männer bis auf Ausnahmen nicht an der Hausarbeit beteiligten. Die Autorin erzählt nicht nur eine widerständige Regionalgeschichte der Arbeit innerhalb und außerhalb der Fabrik. Sie macht auch Lebens- und Geschlechterverhältnisse sichtbar, die in der üblichen Geschichtsschreibung der Arbeiterbewegung selten vorkommen.

Robert Foltin

Ingrid Bauer: »Tschikweiber haums uns g'nennt ...« Die Zigarrenfabriksarbeiterinnen von Hallein. Die Buchmacherei, Berlin 2015. 326 Seiten, 20 EUR.

Migrantische Arbeit

Vermehrt betonen Linke den ökonomischen Hintergrund, vor dem sich die »Flüchtlingsdebatte« abspielt. Nicht immer ist das sinnvoll, wie die jüngsten Einlassungen von Sahra Wagenknecht zu dem Thema zeigen. Nicht nur ihr sei das aktuelle Heft der Zeitschrift für marxistische Erneuerung empfohlen. Die Bandbreite der neun Beiträge zum Schwerpunkt »Kapitalismus und Migration« ist beachtlich: Es geht um Fluchtursachen, die jüngsten Asylrechtverschärfungen, die Arbeit der Gewerkschaften, Globalisierung und Neoliberalismus. Der bereits 2009 erschienene und jetzt erstmals in deutscher Fassung vorliegende Beitrag von Jane Hardy zeigt zudem anhand der Beispiele USA und Großbritannien fundiert den Einfluss von Migration auf den Arbeitsmarkt auf: ein Zusammenhang, der keineswegs nur aus Perspektive der Kapitalseite betrachtet werden sollte. Zwar spiele migrantische Arbeit sowohl als »industrielle Reservearmee« eine Rolle als auch als Mittel, um die Ausbeutungsrate zu erhöhen. Doch Hardy richtet sich gegen einen rein objektivierenden Blick: Migrantische Arbeiter_innen fänden sich bei Streiks, Gewerkschaftsgründungen und politischer Aktivität häufig in der ersten Reihe. Außerhalb des Schwerpunkts fällt besonders der Beitrag von Karin Fischer und Rudy Weissenbacher positiv auf, die präzise die wichtigsten Ansätze des Theorems vom ungleichen Tausch rekonstruieren. Es bleibt zu hoffen, dass die lesenswerte Ausgabe Eingang in aktuelle linke Debatten in Deutschland findet.

Sebastian Friedrich

Z - Zeitschrift marxistische Erneuerung Nr. 105, März 2016: Kapitalismus und Migration. Dezember 2015: Griechenland, EU und die Linke. 226 Seiten, 10 EUR.

Rum oder Gemüse?

Das neue nahua script »Rum oder Gemüse?« des Informationsbüros Nicaragua bereitet die Ergebnisse einer agrarpolitischen Rundreise durch Kuba und Nicaragua auf. Eine vielfältige Gruppe informierte sich im Januar 2015 über aktuelle Prozesse in der Nahrungsmittelproduktion in beiden Ländern. In ihren Gesprächen mit Vertreter_innen von Kooperativen, staatlichen Akteur_innen, Aktivist_innen und Kleinbäuer_innen beschäftigten sie vor allem emanzipatorische Konzepte der Ernährungssouveränität sowie Fragen nach staatlichen Strategien zur Verbesserung der Ernährungssituation der Bevölkerung. Den Autor_innen gelingt es, das schon im Titel anklingende Spannungsverhältnis zwischen kleinbäuerlicher Landwirtschaft und der Notwendigkeit, über Agrarexporte Devisen zu beschaffen, anschaulich darzustellen. Die Besonderheit der Beiträge liegt sowohl in einer Einordnung in (post-)koloniale Kontexte, wie auch in der Analyse der Landkonflikte und -reformen im Zuge der revolutionären Kämpfe in den zwei Ländern. Der Anspruch der Gruppe, nicht für die Menschen in Nicaragua und Kuba zu sprechen, sondern ihnen »eine Stimme zu geben«, findet sich gelungen in allen Beiträgen wieder. Es ist daher konsequent, dass die Autor_innen am Ende den Bogen zu sich selbst schlagen und fragen: Wie können wir hier solidarisch handeln und wie können auch bei uns Alternativen zu industrieller Landwirtschaft weiter verfolgt werden?

Katharina Kampe

Informationsbüro Nicaragua (Hg.): Rum oder Gemüse? Landwirtschaft in Kuba und Nicaragua zwischen Ernährungssouveränität, Kooperativen und Weltmarkt. nahua script 16, Wuppertal 2015. 152 Seiten, 8 EUR plus Versandkosten

Theodor Bergmann

Er ist vermutlich der letzte lebende Zeitzeuge der kommunistischen Bewegung der Weimarer Republik: 1927, im Alter von elf Jahren, trat Theodor Bergmann dem Jungspartakusbund bei. Nun feierte er kürzlich seinen 100. Geburtstag. Aus diesem Grund hat der VSA-Verlag seine Autobiografie »Im Jahrhundert der Katastrophen« neu aufgelegt. Bergmann, siebtes von acht Kindern eines Berliner Rabbiners, beschreibt, wie er durch seine älteren Brüder zur Politik kam. Sie beeinflussten auch seine ablehnende Haltung gegenüber der »Stalinisierung« der Kommunistischen Partei Deutschlands. Im Lauf der 1920er Jahre wuchs deren Abhängigkeit von Moskau, die Partei wurde immer dogmatischer, ihre innerparteiliche Demokratie starb. Bergmann wurde daher das, was er bis heute bleiben sollte: ein kritischer Kommunist. Im Jahr 1929 schloss er sich der oppositionellen KPO an. 1933 musste Bergmann Berlin verlassen. Er lebte nun im Exil in Palästina, in der Tschechoslowakei und in Schweden. 1946 kam er zurück nach Deutschland, machte bald Karriere als Wissenschaftler und wurde schließlich Professor für international vergleichende Agrarpolitik. Doch niemals verabschiedete er sich von der Politik. Nach dem Krieg sammelte er die verstreuten Genoss_innen in der KPO-Nachfolgeorganisation Gruppe Arbeiterpolitik, später kämpfte er gegen den Radikalenerlass. Bis heute hat er nicht die Hoffnung verloren, dass der »sozialistischen Bewegung wieder die Zukunft« gehört.

Marcel Bois

Theodor Bergmann: Im Jahrhundert der Katastrophen. Autobiografie eines kritischen Kommunisten. VSA-Verlag, Hamburg 2016. 304 Seiten, 22,80 EUR.