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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 615 / 19.4.2016

Auf der Suche nach dem »linken Populismus«

International Wie links ist Italiens Fünf-Sterne-Bewegung?

Von Jens Renner

Reißerische Schlagzeilen sind in ak selten. Im September 2012 gab es eine: »Wir brauchen einen linken Populismus« stand auf dem Titel von ak 575. Der Satz war ein Zitat der neu gewählten Vorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping. Er sollte neugierig machen, wurde allerdings in dem folgenden Interview mit Kipping und ihrem Co-Vorsitzenden Bernd Riexinger nicht weiter erläutert. Zweieinhalb Jahre später rätseln wir immer noch. Gibt es linken Populismus? Kann es ihn überhaupt geben? Wie könnte er aussehen?

Wer diese Frage nicht theoretisch, sondern empirisch angehen will, könnte bei der in Italien beheimateten Fünf-Sterne-Bewegung fündig werden. Die Agitation des MoVimento Cinque Stelle (M5S) wirkt zumindest auf den ersten Blick »irgendwie links«, nicht revolutionär, sondern radikaldemokratisch, ökologisch und vor allem furchtlos gegenüber den Herrschenden; »populistisch« ist sie, weil sie vorzugsweise mit Stereotypen gegen »die da oben« hantiert. Aber nur denkfaule Leitartikler bringen es fertig, den M5S-Lautsprecher Beppe Grillo in denselben Sack zu stecken wie Donald Trump und Frauke Petry und dann kräftig draufzuschlagen auf die drei großmäuligen »Kämpfer gegen das System«. (Kurt Kister, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, am 6.2. 2016)

Eine politische Analyse von M5S müsste damit beginnen, zwischen der Bewegung und ihrem Anführer zu differenzieren. Natürlich ist Grillo weit mehr als »der erste unter Gleichen«. Sein Blog ist und bleibt die schärfste Waffe von M5S, je schriller seine Kommentare, desto größer die öffentliche Aufregung. Die Stadt Rom drohe von »Mäusen, Müll und Illegalen (clandestini) überflutet« zu werden, schrieb er im Juni 2015. Das war nicht sein erster rassistischer Ausbruch im Stile der Lega Nord. Die zweite Reihe von M5S reagiert in solchen Fällen meist mit Beschwichtigungen: war nicht so gemeint! Dabei sind Grillos Provokationen in der Regel wohlkalkuliert. Rechte Milieus sind eine wichtige Zielgruppe: So beklagte er in seiner diesjährigen Neujahrsbotschaft, dass Italien seine »Identität« verliere - eine Wohltat für die Ohren von Nationalist_innen.

Reformpolitik im Geiste des Neoliberalismus

Im Programm steht nichts dergleichen, aber welchen Stellenwert haben schon Parteiprogramme? Das von M5S umfasst ganze 15 luftig bedruckte Seiten zu sieben Politikfeldern: Staat und Bürger, Energie, Information, Wirtschaft, Verkehr, Gesundheit, Bildung. Manche Forderung erinnert an die bundesdeutschen Grünen in ihren Anfangsjahren oder an die Piratenpartei: Da geht es - im Namen demokratischer Kontrolle und Transparenz - um die Beschränkung der Parlamentsmandate auf zwei Legislaturperioden, die Reduzierung der Diäten und das Verbot von Nebentätigkeiten für Abgeordnete, Online-Abstimmungen, Referenden ohne Quorum. Eher hausbacken wirkt die Energiepolitik: Die CO2-Emissionen sollen reduziert, erneuerbare Energien, Wärmedämmung und Kraft-Wärme-Kopplung gefördert werden. Der Rest ist ein Sammelsurium mehr oder weniger überzeugender Forderungen: Ein kostenloser Internetzugang für alle wäre sicherlich ebenso zu begrüßen wie mehr Fahrradverkehr, aber Englischunterricht als Pflichtfach schon im Kindergarten? Oder die schrittweise Ersetzung von Büchern durch digitale Medien an den Schulen?

Im Abschnitt Wirtschaft ist das Programm, vorsichtig formuliert, widersprüchlich. Die Gehälter von Managern börsennotierter Unternehmen sollen begrenzt, der Aktienhandel soll reglementiert werden. Die Macht »faktischer Monopole« will M5S einschränken - durch die Privatisierung staatlicher Großunternehmen (darunter Telecom Italia, die Energieriesen ENI und ENEL, Eisen- und Autobahnen).

Die sozialen Folgen einer solchen Reformpolitik im Geiste des Neoliberalismus interessieren die Fünf Sterne offensichtlich nicht. Keine Antwort findet man auf die Frage, was mit den vielen »Überflüssigen« passieren soll, die nach einer Entbürokratisierung der staatlichen Verwaltung »freigesetzt« würden. Das Grundeinkommen, das M5S ebenfalls fordert, würde die Entlassenen nicht vor der Verarmung schützen. Denn über dessen Höhe schweigt das Programm sich aus; mündlich hat Grillo allen Ernstes die deutsche Hartz-IV-Regelung als Modell genannt. Unklar ist auch, ob es wirklich allen zustehen soll. Als »reddito di cittadinanza«, so der italienische Begriff, könnte es, wörtlich genommen, auch an die Staatsbürgerschaft (»cittadinanza«) gekoppelt sein - was angesichts Grillos nationaler Rhetorik naheliegt. Die durchzieht auch seine Kritik an der EU und deren Bevormundung. Was nach einem Austritt Italiens aus der Eurozone geschehen soll, lässt M5S ebenfalls offen. Die »ehrlichen Leute« des italienischen Volkes werden es schon richten - wenn sie erst mal die »Kaste« der korrupten Berufspolitiker_innen davongejagt haben.

Die grobschlächtige Freund-Feind-Einteilung, Gewaltfantasien gegen »die da oben« inbegriffen, spricht Millionen Menschen an. Sie richtet sich aber häufiger gegen Symbole - etwa die berüchtigten blauen Dienstfahrzeuge der politischen Prominenz - als gegen die Profiteure des Bestehenden. Denn zu denen gehören auch die Multimillionäre Grillo und Casaleggio. Sie selbst seien Teil der verhassten »Kaste«, findet das Kollektiv Wu Ming (die fünf Autor_innen der linken Bestsellerromane »Q« und »54«), und die Absage an die Kategorien links und rechts sei ein Trick, den in Italien auch die parteilosen Technokrat_innen gern anwendeten, um ihre rechte Politik als »alternativlos« durchzusetzen.

Dass dennoch massenhaft Basisaktivist_innen und Linke M5S unterstützen oder zumindest wählen, erklärt Wu Ming mit dem Scheitern der Linken und der »Kaperung« der sozialen Bewegungen durch M5S. Beispielhaft zeigt sich das an den Protesten gegen den Ausbau einer die Umwelt zerstörenden Trasse für den Hochgeschwindigkeitszug (Treno ad Alta Velocità - TAV) durch das Susatal im Piemont. Für die teilweise militante und starker Repression ausgesetzte NoTAV-Bewegung sind Grillos Leute Bündnispartner - die allerdings auch eigene Ziele verfolgen. So war die Beteiligung sämtlicher M5S-Parlamentarier_innen an einer Demo im Susatal ein starkes Signal der Unterstützung, aber auch eine Publicity-Aktion in eigener Sache. Ähnlich tritt M5S, und namentlich Grillo, auch den anderen Bewegungen gegenüber: als Verbündeter, aber auch als selbsternannter Wortführer. In der öffentlichen Wahrnehmung erscheinen dann diverse Basisaktionen - wie mehrere aktuell laufende ökologische und bildungspolitische Referendumskampagnen - als Werk der Fünf Sterne.

Dass auch Linke sich der Partei zuwenden, hat allerdings auch mit den - auf den ersten Blick - beachtlichen Möglichkeiten zur Mitentscheidung zu tun. Kandidat_innen werden per Mitgliederentscheid im Internet nominiert - und nicht, wie bei herkömmlichen Parteien, von Parteitagsdelegierten nominiert. Ganz »basisdemokratisch« können sie allerdings auch wieder gekippt oder gar ausgeschlossen werden. Häufig passierte das auf Intervention der beiden Bosse. Grillos und Casaleggios autoritäre Herrschaft führte dazu, dass ein erheblicher Teil der gewählten Parlamentarier_innen die M5S-Fraktion schnell wieder verließ.

»Realpolitische« Wende?

Der grundlegende Widerspruch in der Parteistruktur - formale Basisdemokratie bei gleichzeitiger Fixierung auf einen »charismatischen Leader« und dessen Kompagnon - dürfte sich nur durch eine innerparteiliche Revolution beheben lassen. Dafür spricht erst einmal nichts. Im Gegenteil: Schon Ende 2015 hat Grillo angekündigt, sich in die zweite Reihe zurückzuziehen. Ein Nachfolger von seinen Gnaden steht schon bereit: der 29jährige Luigi Di Maio, Vizepräsident der Abgeordnetenkammer, kein Brüller wie Grillo, sondern ein höflicher Mensch, der Kontakte zu anderen Parteien pflegt und in Umfragen zum zweitbeliebtesten Politiker Italiens hinter Premier Matteo Renzi avancierte. Die Mainstreammedien spekulieren ganz offen, dass mit dem neuen Star M5S »pragmatischer« werden könnte. Soll heißen: dass die Partei sich nicht länger politischen Bündnissen verweigert, sondern zum Mitregieren in einer Koalition bereitfindet. Auszuschließen ist das nicht - wie diverse andere anfangs »fundamentaloppositionelle« Kräfte schon gezeigt haben.

Wäre noch die Ausgangsfrage nach dem »linken Populismus« zu klären. Bei der Fünf-Sterne-Bewegung findet man ihn eher nicht.

Die Fünf-Sterne-Bewegung,

der MoVimento Cinque Stelle (M5S), wurde 2009 von dem ehemaligen TV-Entertainer Giuseppe (»Beppe«) Grillo (geboren 1948) und dem IT-Unternehmer Gianroberto Casaleggio (geboren 1954, am 12. April 2016 verstorben) gegründet. Die Fünf Sterne stehen für Umwelt, Wasser, Entwicklung, Internet und Verkehr. Außenwirkung entfaltet sie vor allem über Grillos Blog (beppegrillo.it) und seine Auftritte in Theatern, auf öffentlichen Plätzen und in Stadien. Der hohe Unterhaltungswert dieser Events lockt mitunter Zehntausende an. Den Durchbruch erlebten die Fünf Sterne bei den Parlamentswahlen 2013, als sie mit 25,5 Prozent der Stimmen stärkste Partei wurden, knapp vor dem Partito Democratico/PD (25,4 Prozent). Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 fiel M5S auf 21,1 Prozent (PD: 40,8 Prozent). In aktuellen Umfragen liegen die Fünf Sterne bei 25 Prozent und sind damit zweitstärkste Partei - mit deutlichem Abstand nach oben (PD 33 Prozent) und unten (Lega Nord 14 Prozent, Forza Italia 12 Prozent).