Scheiße und Geld
Kultur Was im Leben der Reichen anders gelaufen sein muss
Von Stephanie Bremerich
Wenn man bei uns zu Hause als Kind etwas Verbotenes, Dummes und Bestrafungswürdiges angestellt hatte, pflegte unser Onkel zu sagen, man habe »nur Scheiße im Kopf«. Das war durchaus nicht nur negativ gemeint, leicht zu erkennen daran, dass der Onkel es mit einem anerkennenden Lächeln sagte. Laut Eigenaussage hatte er als Kind »mit Abstand die meiste Scheiße im Kopf« gehabt. (Verwandte bestätigen es, nicht immer lächelnd.)
Neben verschiedenen anderen Erwerbszweigen ist der Onkel heute in der Security-Branche tätig, sichert Fußballspiele, schützt Prominente und fährt diese in gepanzerten Limousinen durch die Gegend. Glaubt man seinen zahlreichen Anekdoten, hat er es dabei auffällig oft mit Menschen zu tun, die richtig viel Scheiße im Kopf haben.
Die Menschen, auf die der Onkel aufpasst, sind - manchmal zu ihrer eigenen Überraschung - sehr, sehr reich. Schon allein deshalb sind seine Geschichten spektakulär, denn in der Regel kennt man solche Leute ja gar nicht persönlich (es gibt ja auch nicht so viele von denen). Reiche. Irgendetwas in ihrem Leben ist anders gelaufen. Im Unterschied zur Mehrheit der Nichtreichen haben sie die Scheiße in ihren Köpfen zu Geld gemacht. Nicht umsonst erinnert manches, was der Onkel zu berichten weiß, an die Possen Till Eulenspiegels, der ja die meiste Zeit Ähnliches versucht (etwa, indem er gefrorene Fäkalien verkauft und auch sonst »bescheißt«, wie es im Text immer wieder heißt).
Wir stoßen hier auf den Stoff zahlloser Schwänke, Märchen und Sprichwörter: den geheimnisvollen Nexus von Scheiße und Geld. Schon im altbabylonischen Mythos wird Gold als »Kot der Hölle« bezeichnet, und noch in Thomas Manns Joseph-Romanen (1933-1943) ist von der »Wohlstandsverheißung« und »Vorschrift« die Rede, »nach der man die Unterwelt nicht anders verließ als mit Schätzen beladen, die dort so reichlich neben dem Kote ausgebreitet lagen«.
Dass die Verbindung von Scheiße und Geld nicht nur ins Reich der Fiktionen und Metaphern gehöre, hat Sigmund Freud zu belegen versucht. In seiner immer noch kurzweiligen Abhandlung »Charakter und Analerotik«, die übrigens im Jahr des Bankencrashs ihr 100-jähriges Jubiläum feierte, führt Freud eine übertriebene Fixierung auf Geld zurück auf eine nicht verarbeitete, infantile Faszination am eigenen Kot. Die pathologische Folge dieser Verschiebung vom »Kotinteresse« zum »Geldinteresse« nennt Freud einen »Geldkomplex«:
»Aus der Kleinkindergeschichte dieser Personen erfährt man leicht, daß sie verhältnismäßig lange dazu gebraucht haben, bis sie der infantilen incontinentia alvi Herr geworden sind, und daß sie vereinzeltes Mißglücken dieser Funktion noch in späteren Kinderjahren zu beklagen hatten. Sie scheinen zu jenen Säuglingen gehört zu haben, die sich weigern, den Darm zu entleeren, wenn sie auf den Topf gesetzt werden, weil sie aus der Defäkation einen Lustnebengewinn beziehen; denn sie geben an, daß es ihnen noch in etwas späteren Jahren Vergnügen bereitet hat, den Stuhl zurückzuhalten, und erinnern (...) allerlei unziemliche Beschäftigungen mit dem zutage geförderten Kote.« (Sigmund Freud: Charakter und Analerotik, 1908).
Zugegeben: Nicht jeder, der als Kind gern mit dem eigenen Aa gespielt hat, wird später automatisch zum Millionär oder, wie im Märchen, zum sprichwörtlichen Goldesel und Dukatenscheißer (Tischlein deck dich). Umgekehrt lässt sich allerdings durchaus behaupten, dass unfassbarer Reichtum eine ziemlich beschissene Angelegenheit sein kann und dass unfassbar Reiche nicht selten Dreck am Stecken haben. Da passiert Scheiße im globalen, kapitalen Stil, die zwar auch verboten, dumm und bestrafungswürdig ist, aber selbst vom Onkel - dem Obskuren eigentlich nicht abgeneigt - als nicht mehr ganz so lustig befunden wird.
Pecunia non olet. Geld stinkt nicht, soll schon Vespasian gesagt haben. Damit das so ist und weil das Geschäft mit dem großen Geld oft ein schmutziges ist, muss das Geld allerdings erst gewaschen werden. Dies geschieht meist diskret und vom Großteil der Menschheit unbemerkt. Falls es aber doch einmal herauskommt (Panama-Papers!) ist die Kacke sozusagen am Dampfen. Dann schließt sich der Kreis, und so mancher Reiche steckt da, wo er hingehört: knietief in der Scheiße.
Stephanie Bremerich ist Redakteurin bei kritisch-lesen.de und Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Leipzig. Sie promoviert zum Thema »Armut in der Literatur«.