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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 616 / 24.5.2016

Linkes Lebenszeichen aus Peru

International Die progressive Präsidentschaftskandidatin verpasste die Stichwahl nur knapp

Von Gert Eisenbürger und Gaby Küppers

Während in mehreren Ländern Südamerikas in den 2000er Jahren Mitte-Links-Koalitionen an die Regierung kamen, blieb Peru kontinuierlich auf neoliberalem Kurs. Daran änderte auch der Ausgang der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 10. April nichts. Allerdings mischte Veronika Mendoza, die Kandidatin der linken Frente Amplio, das politische Spektrum auf und erreichte mit knapp 19 Prozent ein sensationelles Ergebnis.

Die Gegenwart Perus ist nicht ohne einen Rekurs auf den bewaffneten Konflikt zwischen der Guerilla Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) und dem peruanischen Militär in den 1980er und 1990er Jahren zu begreifen. Der Leuchtende Pfad vertrat einen extrem autoritären Kommunismus chinesischer und nordkoreanischer Prägung. Trotz anachronistisch anmutendem Weltbild und Propaganda konnte die Guerilla eine gewisse Unterstützung unter den rassistisch ausgegrenzten indigenen Jugendlichen und Studierenden des Andenhochlandes aufbauen. Mit der Logik des »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns« richtete sich ihr Kampf sowohl gegen das Militär und das weiße Establishment als auch gegen die Basisstrukturen linker bäuerlicher Vereinigungen. Wegen der extremen Grausamkeit vieler Aktionen der Senderistas galten sie weiten Teilen der Bevölkerung bald als terroristisch.

Das Militär antwortete auf ihre Angriffe mit Repression - nicht nur gegen die Guerilla, sondern auch gegen die indigene Zivilbevölkerung und die zivile Linke. Letztere stand doppelt unter Druck, sie wurde sowohl vom Leuchtenden Pfad als auch vom Militär angegriffen. Zudem diskreditierten die Übergriffe der Senderistas die Linke insgesamt, und sie verlor nach einer starken Mobilisierungskraft zu Beginn der 1980er Jahre kontinuierlich an Einfluss.

Die Fujimori-Diktatur: Krieg und Extraktivismus

Im Juli 1990 wurde der japanischstämmige Alberto Fujimori, ein bis dahin weithin unbekannter Hochschulrektor, zum Präsidenten gewählt. Im Wahlkampf hatte er sich als gemäßigter Technokrat präsentiert und war in der Stichwahl gegen den rechten Schriftsteller Mario Vargas Llosa auch von der Linken unterstützt worden. Allerdings entpuppte sich Fujimori nach seiner Wahl als keineswegs gemäßigt. Kernpunkte seiner Politik waren radikal neoliberale Wirtschaftsreformen und die Intensivierung des Krieges gegen den Leuchtenden Pfad ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Im April 1992 löste er das Parlaments auf und errichtete eine faktische Diktatur. Trotz der autoritären Maßnahmen konnte er sich zunächst auf eine relativ breite Zustimmung stützen. Die verschärfte Kriegsstrategie zeigte Erfolge. Spätestens mit der Verhaftung ihres Chefs Abimael Guzmán im September 1992 war der Leuchtende Pfad entscheidend geschwächt.

Die schweren Menschenrechtsverletzungen und die massenhaften Zwangssterilisationen von Frauen in den Konfliktzonen wurden von der städtischen Bevölkerung weitgehend ignoriert. Für indigene Kleinbäuer_innen, aus deren Reihen die weitaus meisten Opfer stammten, interessierte sich in den Städten und im Mittelstand ohnehin kaum jemand. Zudem gelang es der Regierung Fujimoris durch eine Währungsreform, die galoppierende Inflation zu stoppen und die Wirtschaft zu stabilisieren. Das Erfolgsrezept für diese Konsolidierung war ein neoliberaler Extraktivismus, der auf den Export von Primärgütern (Mineralien, Agrarprodukte) setzte und Arbeitsrechte weitgehend abbaute.

1995 wurde Fujimori unter Bedingungen des Ausnahmezustands wiedergewählt. Im April 2000 gewann er erneut die Präsidentschaftswahl, allerdings gab es dabei zahlreiche Unregelmäßigkeiten. Die Opposition und eine wachsende Volksbewegung forderten Neuwahlen. Fujimori geriet unter Druck, auch weil immer neue Korruptionsskandale in seiner Regierung ruchbar wurden. Schließlich erklärte er während eines Staatsbesuchs im November 2000 in Tokio seinen Rücktritt und blieb in Japan. 2005 wurde er aufgrund eines internationalen Haftbefehls während einer Chilereise festgenommen und später nach Peru ausgeliefert. Dort wurde er zwischen 2007 und 2009 in mehreren Verfahren, unter anderem wegen des Einsatz von Todesschwadronen und Korruption, zu über 30 Jahren Haft verurteilt.

Lange bevor sich breiter Widerstand gegen die autoritären und korrupten Herrschaftspraktiken Fujimoris formierte, hatte sich seine Frau Susana Higuchi gegen ihn gestellt. Sie bezeichnete ihn bereits 1994 als Tyrannen, kritisierte die grassierende Korruption und unterstützte die Opposition. Fujimori versuchte, sie für verrückt zu erklären. Er entzog ihr den Titel der »primera dama«, der First Lady, und übertrug ihn auf seine Tochter Keiko. Nach seiner Inhaftierung in Chile baute diese eine Bewegung auf, die eine Auslieferung ihres Vaters und einen Prozess in Peru verhindern wollte.

Die rechte Hegemonie vor den Wahlen

Eben jene Keiko Fujimori gewann am 10. April mit 39,2 Prozent der Stimmen die erste Runde der Präsidentschaftswahlen. Sie hatte bereits 2011 kandidiert und war in der Stichwahl knapp dem jetzigen Amtsinhaber Ollanta Humala unterlegen. In diesem Jahr ist ihr Gegenkandidat im zweiten Wahlgang der bürgerlich-konservative Altpolitiker Pedro Pablo Kuczynski, dessen jüdische Eltern 1936 auf der Flucht vor den Nazis aus Berlin nach Peru kamen. Kuczynski erreichte in der ersten Runde 21 Prozent.

Dass zwei Rechte in die Stichwahl am 5. Juni kommen würden, war erwartet worden. Im Januar lagen in den Prognosen fünf Kandidat_innen vorne, deren Programme sich nur graduell unterschieden. Die von Alberto Fujimori durchgesetzte, auf Agrar- und Rohstoffexporte setzende Wirtschaftspolitik wurde auch von seinen Nachfolgern fortgesetzt. Aufgrund der hohen Weltmarktpreise für Primärgüter wuchs die Wirtschaft Perus beständig, auch wenn die Bevölkerung höchst ungleich davon profitierte.

Das Ende des Rohstoffbooms stellt das bisherige Modell für die Neoliberalen nicht in Frage. Sie fordern sogar dessen Intensivierung und betonen, dass Peru wegen seines niedrigeren Lohnniveaus und der günstigen Wasser- und Energiepreise in der Krise Konkurrenzvorteile gegenüber Nachbarländern wie Chile und Argentinien hätte. Diese gelte es auszubauen.

Lediglich Verónika Mendoza, die Kandidatin der Frente Amplio (Breite Front), kritisierte das ökonomische Modell und trat für eine Beschränkung umweltzerstörerischer Bergbauprojekte, die Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und der auf den lokalen Markt ausgerichteten Betriebe sowie bessere Bedingungen im informellen Sektor ein, forderte also eine Stärkung der Wirtschaftssektoren, in denen die meisten Peruaner_innen arbeiten. Die Frente Amplio war erst 2015 als Zusammenschluss sozialer Bewegungen, ökosozialistischer Strömungen und traditioneller Linken entstanden.

Anfang des Jahres lag Mendoza in den Prognosen bei zwei bis drei Prozent. Optimist_innen hofften, sie könne fünf Prozent erreichen und der Linken seit längerem wieder zu einer eigenständigen parlamentarischen Präsenz verhelfen. Obwohl sie kaum Geld für ihre Kampagne zur Verfügung hatte, gelang es ihr, viele Unzufriedene zu mobilisieren und ihnen zu vermitteln, dass die Linke ein zukunftsträchtiges Programm hat. Und so legte sie in den Umfragen Woche für Woche zu, wurde plötzlich zweistellig notiert und rückte in der Endphase des Wahlkampfes gar an Pedro Pablo Kuczynski heran.

Mendoza war chancenlos

Die 36-Jährige brillierte in Fernsehdebatten, wo sie mehr zu bieten hatte als die Worthülsen ihrer Kontrahent_innen. Wie die Aufschlüsselung der Wahlergebnisse zeigt, konnte sie vor allem die indigenen Wähler_innen in den südlichen Andenregionen gewinnen. Hier, wo die ärmsten Bevölkerungsgruppen leben und die Menschen am meisten unter der Repression der Fujimori-Diktatur zu leiden hatten, lag sie in sieben Provinzen klar vor Fujimori und Kuczynski.

Dass sie am Ende mit 18,8 Prozent die Stichwahl knapp verfehlte, dürfte zum einen daran gelegen haben, dass es zwei linke Kandidaturen gab. Gregoro Santos von der maoistischen Partido Communista Patria Roja schnitt mit vier Prozent ebenfalls überraschend stark ab. Zum anderen wollten viele Peruaner_innen Keiko Fujimori unbedingt verhindern. Die ehemalige »primera dama« polarisiert das Land. Während ein Teil der Bevölkerung die Herrschaft Alberto Fujimoris wegen der erreichten Stabilisierung überwiegend positiv beurteilt und deshalb Keiko unterstützt, sieht ihn ein anderer Teil als brutalen Diktator und fürchtet die Tochter als seine Sachwalterin. Sie hat sich zwar im Wahlkampf - anders als 2011 - etwas von ihrem Vater abgesetzt. Dennoch besteht ihr Umfeld überwiegend aus Leuten, die schon Alberto Fujimori zu Diensten waren. So haben manche taktisch gewählt, weil eine Linke im neoliberalen Peru keine Chance hätte, im zweiten Wahlgang über 50 Prozent der Stimmen zu holen. Das traut man eher Kuczynski zu.

Programmatisch unterscheidet er sich kaum von Keiko Fujimori, aber man hofft, dass er wenigstens die bürgerlichen Freiheiten halbwegs respektiert. Die Frente Amplio hat es klugerweise abgelehnt, mit ihm eine Allianz einzugehen. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Kongress, wo Fujimoris Partei Fuerza Popular die absolute Mehrheit hat und Kuczynskis Wahlverein hinter der Frente Amplio nur drittstärkste Kraft ist, muss er im Falle seiner Wahl ohnehin mit den Fujimoristas kooperieren.

Die Linke wird versuchen, ihren Wahlerfolg und ihre starke parlamentarische Präsenz zu nutzen, um kampagnenfähig zu werden, sich organisatorisch zu konsolidieren und den öffentlichen Diskurs stärker zu beeinflussen. Wenn dies gelingt, könnte sie mittelfristig zu einer Machtalternative in Peru werden.

Gert Eisenbürger und Gaby Küppers sind Mitglieder der Redaktion von ila - Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika (www.ila-web.de).