Wir werden zusammen leben
International Geflüchtete haben gemeinsam mit Aktivist_innen in der griechischen Hauptstadt ein leerstehendes Hotel besetzt
Von Lore Salamon
Seit September 2015 wurden in Athen leerstehende Büro- oder Wohnhäuser für Flüchtlinge besetzt, um diesen eine temporäre Unterkunft zu bieten - zuletzt im März eine leerstehende Schule. Im sicheren Szeneviertel Exarchia gelegen, waren und sind diese Häuser zwar geschützt vor Naziangriffen, befinden sich aber auch fernab der migrantisch geprägten Stadtgebiete.
Ende April haben nun Aktivist_innen und Geflüchtete ein leerstehendes Hotelgebäude im Norden der Athener Innenstadt besetzt. Ihr Ziel: eine komfortable und sichere Unterkunft für knapp 400 Geflüchtete zu schaffen. Doch dabei geht es um mehr als ein Dach über dem Kopf. Im Auge des Sturms der »Krisen«, welche Griechenland derzeit prägen (die Finanz- und die »Flüchtlingskrise«) wollen die Besetzer_innen zeigen, dass eine Unterbringung in Würde, ohne Platznot und in größtmöglicher Selbstbestimmung machbar ist, auch im Zentrum der Hauptstadt. Das Hotel City Plaza mit seinem gut erhaltenen Chic bietet hierfür fabelhafte Voraussetzungen. In den ersten Tagen herrschte neben allgemeinem Gewusel und der Erstellung von Putz- und Kochplänen auch deshalb eine gewisse Feierlichkeit unter den Besetzer_innen.
Neben der Lage in einem migrantisch geprägten Stadtteil, in dem gleichzeitig die Nazipartei Goldene Morgenröte traditionell sehr stark ist, ist auch die Vielfalt der an der Besetzung beteiligten Akteure etwas Besonderes: Die »Solidaritätsinitiative für ökonomische und politische Flüchtlinge«, welche die Besetzung begann, besteht aus sehr unterschiedlichen linken Gruppen. Das Spektrum reicht von den ehemaligen Angehörigen der SYRIZA-Jugend bis zu Anarchosyndikalist_innen.
Um die Besonderheiten einer Besetzung für Flüchtlinge im Athen dieser Tage nachzuvollziehen, ist ein Blick auf die Versorgungslandschaft in Griechenland vonnöten. Obdachlosigkeit und Perspektivlosigkeit prägen den Alltag Tausender Geflüchteter, die durch geschlossene Grenzen im Land feststecken. Die nun vom Staat errichteten Lager lindern die Not kaum - die Versorgung, die Unterbringung und Informationsverteilung sowie die Internetverbindungen sind so desaströs, dass viele Geflüchtete von den staatlichen Lagern nach kurzer Zeit in die Städte zurückkehren. Unklare Zuständigkeiten erschweren sowohl die Kommunikation als auch das Streben nach Verbesserung seitens lokaler Gruppen oder Nichtregierungsorganisationen.
Obwohl der griechische Staat die Unterbringungstrukturen stellen muss - teils ist die Armee beauftragt, teils die Kommunen - wurden die von der EU versprochenen 300 Millionen Euro für die Finanzierung der Flüchtlingsversorgung in Griechenland bisher nur zu einem Teilbetrag ausgezahlt wurden (83 Millionen Euro). Dieses Geld ging an große Hilfsorganisationen und den UNHCR, nicht jedoch an Griechenland. Da ist es kein Wunder, dass der UNHCR in einem neuen Werbeclip (»Greece - Save Haven«) für die Flüchtlingslager wirbt, an dessen Betrieb er maßgeblich beteiligt ist. Beworben werden die offiziellen Zeltstädte damit, dass es dort, im Gegensatz zu Idomeni, fließend warmes Wasser gäbe und der UNHCR kostenloses Internet zur Verfügung stellen würde - tatsächlich ist die Ermangelung jeglicher Internetanbindung jedoch einer der Hauptgründe für viele Flüchtende, diese Lager wieder zu verlassen. Aktivist_innen und Geflüchtete berichten aus den staatlichen Lagern von unsagbar schlechten Bedingungen, von Desinformation und Isolation, von Schlangen und Skorpionen in ihren Zelten.
Vor diesem Hintergrund ist die Besetzung des Athener Hotels auch von symbolischer Bedeutung: nicht nur gegen das Krisennarrativ knapper Ressourcen, sondern auch gegen das Bild passiver Flüchtlinge, die schon mit etwas warmen Wasser voller Freude in einem Zelt im Nirgendwo wohnen. Auch die leider oft eintretenden offenen Auseinandersetzungen entlang ethnischer Linien und Nationalitäten bleiben im Hotel aus. Gekocht, geputzt und eingekauft wird gemeinsam, und mithilfe griechischer und ausländischer Helfer_innen und Aktivist_innen wird ein laufender Hotelbetrieb gestemmt - inklusive Kinderbetreuung. Einige Aktivist_innen haben ebenfalls ein Zimmer im Hotel bezogen und sind dort rund um die Uhr beteiligt.
Die Unterbringung ist auf Dauer angelegt
Ob die Besetzung seitens der Stadt toleriert werden wird, muss sich noch zeigen. Die Hotelbesitzerin jedenfalls hat ihren Unmut geäußert und gab sogar der rechtspopulistischen Wochenzeitung Protothema ein Interview darüber. Diese nutzt die zur Zeit zunehmende Kriminalisierung der Solidaritätsbewegung und behauptete unter anderem, dass die Besetzer_innen pro Flüchtling und Nacht 20 Euro verlangen würden.
Überraschend solidarisch zeigten sich die ehemaligen Angestellten des Hotels, die wegen ausstehender Lohnforderungen mit der Besitzerin ohnehin im Rechtsstreit stehen. Nachdem sie zunächst besorgt über die Wertminderung des Inventars waren, durch dessen Verkauf sie einen Teil ihres fehlenden Lohns hätten einstreichen können, beschlossen sie nach einem Besuch des Hotels, das Projekt zu unterstützen.
Durch das funktionierende Megaprojekt und die gute Stimmung darin hat die Bewegung Aufwind bekommen - und in jedem Fall haben einige hundert Flüchtlinge eine sichere Bleibe gefunden. Ein weiterer besonderer Aspekt dieser Besetzung ist, dass von Beginn an die Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten auf Dauer angelegt wurde. Denn anders als in den Monaten vor den Grenzschließungen geht es im Rahmen solidarischer Interventionen nicht mehr nur um eine kurzzeitige Interimsunterkunft. Die Menschen werden Wochen, Monate oder Jahre in Griechenland bleiben müssen. Der Leitspruch der Besetzung, »Tha zisoume mazi« - »Wir werden zusammen leben« ist daher eine wichtige politische Aussage, weil er die aktuelle migrantische Realität in eine positive Botschaft fasst.
Lore Salamon beschäftigt sich mit der Migrations(abwehr)politik Europas aus flüchtlingssolidarischer Perspektive. Momentan lebt sie in Athen.
Unter moving-europe.org/25-04-2016-welcome-to-hotel-plaza-an-athens gibt es einen Spendenaufruf zur Unterstützung des besetzten Hotels City Plaza in Athen.
Spendenkonto:
Verein zur Förderung antirassistischer Arbeit in Sachsen-Anhalt n.e.V.
IBAN: DE76 8005 3762 1894 0553 02
BIC: NOLADE21HAL
Verwendungszweck: Hotel Plaza
Der Verein kann keine Spendenquittungen ausstellen.