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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 616 / 24.5.2016

One Solution: Feminism!

Diskussion Im Kampf gegen die AfD müssen wir Antifaschismus und Feminismus gleichberechtigt zusammendenken

Von Anna Berg und Tanya Zorn

Volksfront gegen Rechts oder Klasse gegen Klasse - sowohl autonome als auch breite bürgerliche Bündnisse, Gruppen und Organisierungen vergessen eines im Kampf gegen die Alternative für Deutschland (AfD): die Zentralität nicht nur von Rassismus, sondern auch von Antifeminismus und wertkonservativer Mobilisierung. Das verhindert die Einbindung eines großen Potenzials von Feminist_innen in den antifaschistischen Kampf. Schuld ist das Patriarchat - und das sind wir alle.

»Angry white men« - eine Klasse für sich?

Einige von uns haben es schon immer gesagt: Binäre, einander ergänzende Geschlechterkonstruktionen und -identitäten sind ebenso grundlegend für das völkische Weltbild, wie Rassismus und Antisemitismus. Das ist nicht gleichbedeutend mit »die rechte Frau muss an den Herd«. Modernisierte Entwürfe eines völkischen Weltbilds haben durchaus Platz für politisch aktive und berufstätige Frauen oder gar für Differenzfeminismus (1) - eigentlich kein Wunder, denn das Aufrechterhalten der Differenz zwischen den Geschlechtern ist das entscheidende Moment. Damit hängt sowohl die Zentralität der heterosexuellen Kernfamilie für die gesamte Gesellschaft zusammen als auch Homo- und Transphobie oder der Fokus auf Mutterschaft. Daraus folgt aber auch die Ablehnung von Feminismus als einer politischen Bewegung, die Unruhe in die Differenz bringt: Feminismus benennt Privilegien, die sich aus der Differenz ergeben, er propagiert alternative Familien-, Reproduktions- und Lebenskonzepte. Antifeminismus war schon immer ein integraler Bestandteil rechter Ideologie und Bewegung. Auch wenn es über die Frage, ob und an welchen Stellen die AfD als »völkisch« zu bezeichnen ist, noch keine abschließende Antwort gibt - die Zentralität der binären Geschlechterordnung und der Kernfamilie ist da.

Die Antifa - und in weiten Teilen auch die Rechtsextremismusforschung - hat nie verstanden, wie wichtig Geschlechterideologien für die extreme Rechte sind. Einzelne feministische Forscher_innen und Antifagruppen haben sich an der Frage abgearbeitet, haben rechte Frauengruppen beobachtet, Kampagnen wie »Todesstrafe für Kinderschänder« thematisiert und kluge Analysen über die Bedeutung von real gelebten Widersprüchen für die rechte Ideologie erarbeitet (wie z.B. bei der offen lesbischen Neofaschistin Melanie Dittmer). Nichts davon ist Teil der Mainstream-Antifa-Analyse oder gar Praxis geworden. Die Weigerung einzusehen, wie wichtig Geschlechterfragen - neben Rassismus - für die rechte Ideologie und Praxis sind, geht einher mit der Unfähigkeit, feministische Praktiken ebenso wie Antirassismus in den politischen Alltag zu integrieren.

In Bezug auf die AfD fällt uns dieses Problem noch einmal verschärft auf die Füße. Mit der Spaltung der Partei und deren Aufschwung im Summer of Migration und der folgenden Gegenmobilisierung durch die Festung Europa wurden Rassismus und Abschottung zum zweiten wesentlichen Moment der AfD. Doch die Wichtigkeit von Geschlechterfragen hatte sie schon lange vorher erkannt. Der Kampf gegen »Genderismus« und »Frühsexualisierung«, die personellen und inhaltlichen Überschneidungen zur christlichen Rechten, zu sogenannten Lebensschützer_innen, »besorgten Eltern« und zur reaktionären Väterrechtsbewegung waren etabliert, bevor die AfD als Partei etabliert war.

Jetzt, da es erste Zahlen und Analysen zu Mitgliedern und Wähler_innen der AfD gibt, wird dieser Eindruck aus den Wahlprogrammen und Kampagnen soziologisch unterfüttert: Es sind die »angry white men«, die die AfD wählen. Und die sind eben keine eigene Klasse, sondern erst einmal hauptsächlich Männer. (Dass mit Frauke Petry und Beatrix von Storch zwei Frauen prominent den Antifeminismus der AfD vertreten, ist einer der Widersprüche, die das System eher tragfähiger machen, als es zu Fall zu bringen.)

Diese Ergebnisse hätten im Übrigen auch schon viel früher bekannt gewesen sein können, denn die Überschneidungen von Rechtspopulismus und Antifeminismus bestehen ungefähr genauso in allen anderen europäischen Ländern, in denen rechtspopulistische Parteien schon länger erfolgreich sind.

Antifeminismus ist neben Rassismus das grundlegende ideologische Moment für die AfD und auch ein zentraler Mobilisierungserfolg, ein Thema, das noch breiter anschlussfähig ist als Rassismus, vor allem auch in anderen gesellschaftlichen Gruppen. Der Unwille, eigene Privilegien abzugeben, ist bei Männern der akademischen Mittelschichten ebenso ausgeprägt wie bei den vielbeschworenen »Abgehängten«. Sie alle sehen gemeinsam die Vorteile in einem konservativen, nahezu antimodernen Familien- und Gesellschaftsbild: Wer ansonsten nichts ist, ist immerhin noch Mann, und wer Professor ist, dem gehen die Gleichstellungsbeauftragten ohnehin auf den Geist.

Obwohl es also gute Gründe gibt, Feminismus als eine zentrale Strategie gegen den rechten Erfolg zu etablieren, tun sich alle schwer damit. Zwar schreiben sämtliche Bündnis- und Aktionsaufrufe gegen die AfD auch immer irgendwo hin, dass das im Gegensatz zu uns eine antifeministische Partei sei, mit Weltbild der 1950er Jahre und so weiter. Aber folgt daraus auch eine Verankerung feministischer Praktiken? Wäre das Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus« auch als »Aufstehen gegen Antifeminismus« denkbar? Und »Nationalismus ist keine Alternative«, könnten die nicht auch »Heterosexismus ist keine Alternative« heißen? Bestimmt nicht.

Wir sehen vor allem zwei Gründe für die linke Unfähigkeit, die Zentralität von Antifeminismus als Angriffspunkt gegen die AfD zu sehen und umzusetzen. Erstens: Die Betroffenen von Rassismus sind weitestgehend andere als die von Antifeminismus - Antirassismus ist für die Mehrheit der weißen deutschen Antifa Stellvertreterpolitik. Von Antifeminismus sind auf die eine oder andere Art alle betroffen, die in diesem Land leben. Denn es geht beim wertkonservativen Rollback um die Beschneidung von Freiheiten für alle Geschlechter - wobei sich männliche, heterosexuelle Studis in den Großstädten ganz gut einreden können, dass sie das nie betreffen wird. Gleichzeitig werden feministische Themen in linken Strukturen und in der linksliberalen Zivilgesellschaft nach wie vor meist als lästiger Nebenwiderspruch behandelt und FrauenLesbenTransInter*(FLTI*)-Personen überlassen - hier ist Stellvertreterpolitik dann nicht mehr so interessant.

Stellvertreterpolitik und privilegierte Opfer

Zweitens wird Antifeminismus als weniger schlimm und gefährlich angesehen als Rassismus. Letzterer tötet, ganz klar, und funktioniert anders als Antifeminismus, dessen Gefahren weniger greifbar und weniger unmittelbar tödlich sind - zumindest in Deutschland (in anderen europäischen Ländern kann z.B. der fehlende Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen tödliche Folgen haben; Homo- und Transphobie fordern Todesopfer, genauso wie häusliche Gewalt, deren Opfer primär Frauen sind). Es geht um einen politischen Kampf gegen die Errungenschaften der feministischen Bewegung und darum zu verhindern, dass weitere Freiräume gegen den Wertkonservatismus auch der CDU/CSU und anderer erkämpft werden können - beispielsweise im Adoptionsrecht oder Sexualstrafrecht.

Wie weit der Weg ist, bis die AfD so viel parlamentarischen Einfluss gewinnt, dass sie konkret auf bestehende Gesetze bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen, reproduktiven Rechten oder Heteronormativität einwirken kann, bleibt fraglich. Aktuell liegt die Gefahr primär in Diskursverschiebungen (die auch die CDU/CSU weiter nach rechts rücken lassen), in der Nicht-Akzeptanz von erkämpften Freiheiten und Freiräumen, in verschärften Kämpfen um Ressourcen an Universitäten - und nicht zuletzt in der Schaffung eines Angstklimas für Feminist_innen in der virtuellen Welt.

Die prominentesten der Betroffenen von Antifeminismus sind damit »privilegierte Opfer«: Öffentlich auftretende Akademiker_innen und Medienschaffende, die andere Möglichkeiten haben als Geflüchtete, ihre Rechte und Anliegen zu vertreten und sich Schutz und Unterstützung zu organisieren. Aber: Verdienen sie deshalb weniger Solidarität? Und inwieweit ist eigentlich antifaschistische Praxis konkrete Solidarität mit den Opfern von Rassismus?

Doch was fordern wir ein? Erstens: Antifaschismus und Feminismus gleichberechtigt zusammenzudenken. Was könnten Praktiken sein, die beides verbinden - und sich nicht darin erschöpfen, bei der nächsten Demo oder Blockade die paar FLTI*-Personen in die ersten Reihen zu stellen? Wie können unsere Organisationen, Entscheidungsabläufe, Machtstrukturen so gestaltet werden, dass Feminismus nicht nur als strategisches »Wir sind so anders als die Nazis«-Display genutzt wird und nicht die ganze Arbeit dafür bei den FLTI*-Personen liegen bleibt? Die Antworten darauf werden seit Jahrzehnten diskutiert, nicht aber umgesetzt. Es muss Orte geben, an denen feministische Themen nicht erst mühsam durchgekämpft und mit Bedeutung versehen werden müssen.

Zweitens: Es braucht eine profeministische, solidarische, progressive Männerbewegung. Einer der zentralen argumentativen Erfolge der Antifeminist_innen bei der und um die AfD ist es, dass der Feminismus nicht zu echter Gleichberechtigung geführt, sondern den Kampf zwischen den Geschlechtern aufgeheizt habe, nunmehr Männer und Jungen benachteilige und insgesamt zu weit gegangen sei. Dagegen müssen sich Männer mit den Zielen der feministischen Bewegung solidarisch zeigen und deren Versprechen mit einlösen helfen, ALLE Geschlechter zu befreien.

Gegen die Kampagne der Jungen AfD »Ich brauche keinen Feminismus, weil ...« muss es eine Antwort linker Männer geben, warum sie Feminismus wollen und brauchen. Denn das Patriarchat gibt ihnen zwar Privilegien, aber um einen hohen Preis. Non-angry men of all colours, die ihr eure Privilegien abwerft wie einen zu eng gewordenen Mantel und mit uns zusammen für Geschlechtergerechtigkeit kämpft, wo seid ihr? Noch am Überlegen, warum Schwangerschaftsabbruch auch ein Thema für euch sein könnte? Oder doch ganz froh, beim gender pay gap auf der richtigen Seite zu stehen?

Drittens: Die Zentralität des Themas Antifeminismus zeigt sich derzeit nicht nur, wenn wir uns die AfD anschauen, sondern auch bei unseren eigenen Veranstaltungen. Es gibt ein riesiges Potenzial an Menschen, die sich als feministisch verstehen und die um dieses Thema herum angesprochen werden können. Wenn wir feministische Themen in den Mittelpunkt unserer Mobilisierungen rücken, können wir weit über das übliche Antifaspektrum hinaus Menschen gegen die AfD aktivieren bzw. bestehende Kämpfe zusammenbringen. Die Aktionen gegen den 1.000-Kreuze-Marsch in Berlin im letzten September waren ein hervorragendes Beispiel. Hier gab es thematisch und praktisch den queerintegrativen Charakter, der der Antifa seit Jahrzehnten fehlt. Ebenso wie die antirassistische und feministische Demo im März dieses Jahres in Köln, wo gemeinsam der rassistischen Argumentation der Rechtspopulist_innen und Antifeminist_innen etwas entgegengesetzt werden konnte. Genau davon braucht es mehr - von der praktischen und theoretischen Verknüpfung antirassistischer und feministischer Kämpfe.

Viertens: radikale und öffentlich gemachte Solidarität mit den Betroffenen von Antifeminismus. Das sollte eigentlich einfach sein: An den Unis, in den sozialen Medien, im öffentlichen Raum sind Menschen von antifeministischen Angriffen betroffen. Lasst uns diese Angriffe nicht schweigend hinnehmen, und lasst uns keine Hierarchie aufmachen zwischen den Opfern rassistischer Gewalt und denen von Antifeminismus. Die AfD kann zwei Gedanken gleichzeitig im Kopf behalten und strategisch verfolgen - das sollten wir auch schaffen.

Anna Berg und Tanya Zorn sind in der Antifa-AG der Interventionistischen Linken Berlin (IL) organisiert.

Anmerkung:

1) Differenzfeminismus nimmt die biologische und soziale Verschiedenheit der Geschlechter an, ohne sie kritisch zu hinterfragen, fordert jedoch eine Aufwertung des weiblichen Geschlechts bzw. der weiblichen Kultur.