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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 616 / 24.5.2016

Linke Helfer der Sexindustrie

Diskussion Die Position »Sexarbeit ist Arbeit« legitimiert sexuelle Ausbeutung und schadet prostituierten Frauen

Von Gunhild Mewes

»Sexarbeit ist Arbeit«, auf diese Gleichung haben derzeit viele linke und feministische Menschen ihr Verhältnis zur Prostitution gebracht. Ob Putzen oder Prostitution - im Kapitalismus könne es sowieso keine optimale Form des Gelderwerbs geben. Was fehle, sei die vollständige Anerkennung als Beruf, dies würde die Stigmatisierung der Betroffenen beenden. Die Stigmatisierung ist in der Tat ein Unrecht. Doch der Elefant im Raum, den bei dieser Argumentation niemand zu sehen scheint, ist die der Prostitution innewohnende Gewalt.

Prostitution ist nicht nur eine Sache des Gelderwerbs im Kapitalismus, sie spielt sich vor allem im Feld einer patriarchal bestimmten Sexualität ab. In der Regel erkaufen sich Männer sexuellen Zugriff auf Frauen. Prostitution kann daher angemessen nur als Phänomen der Geschlechterhierarchie analysiert werden. Weibliche Sexualität ist der Brennpunkt patriarchal-männlicher Machtansprüche. Diese haben verschiedene Ausdrucksformen gefunden, die alle auf die sexuelle Unterwerfung oder Unterordnung von Frauen hinauslaufen: sexuelle Gewalt, phalluszentrierte Sexnormen und eben Prostitution.

Prostitution und der »enthusiastische Konsens«

Feministinnen, die sich gegen sexuelle Gewalt einsetzen, sind sich normalerweise einig, dass eine echte Zustimmung zu Sex auf der Lust der Beteiligten beruht. Denn auch vielfältige Zwänge und Abhängigkeiten oder erdrückende Normen können ein formelles »Ja« bewirken. Die Ermutigung, nach dem eigenen und dem gemeinsamen Begehren zu handeln, wird als Konzept (»enthusiastischer Konsens«) der jahrtausendealten Unterdrückung weiblicher Sexualität entgegengesetzt. Darin ist der Anspruch enthalten, dass beim Sex die Grenzen aller gewahrt werden, dass niemand manipuliert oder zu etwas gedrängt wird.

In der Prostitution wird genau das Gegenteil praktiziert: Eine Person, die keinen Sex will, wird durch das Geld des Freiers dazu gebracht. Die prostituierte Person übt die sexuelle Aktivität ohne sexuelles Begehren aus. (1) Die Folgen sind von Überlebenden der Sexindustrie schon oft beschrieben worden: wie sich der Geist vom Körper abspaltet; wie die Tätigkeit nur durch den Gebrauch von Drogen aushaltbar wird; und wie sie nach dem Ausstieg aus der Prostitution mit den Folgen kämpfen. Laut der US-Psychologin und Feministin Melissa Farley leiden 68 Prozent der prostituierten Frauen an posttraumatischen Belastungsstörungen. (2) Die Reaktionen und Langzeitfolgen gleichen denen, die auch bei Betroffenen von sexueller Gewalt außerhalb der Prostitution auftreten. Viele Ausgestiegene bezeichnen Prostitution daher als bezahlte Vergewaltigung.

Feministinnen, die sich einerseits für enthusiastischen Konsens einsetzen, andererseits aber Prostitution als eine Arbeit wie jede andere verteidigen, müssen sich fragen lassen, warum sie den höheren ethischen Anspruch an Sex nur bei nicht prostituierten Frauen formulieren. Auf die Prostitution ist er nämlich per definitionem nicht anwendbar.

Noch deutlicher wird das Gewaltsame der Prostitution, wenn man die Strukturen betrachtet, aus denen sie hervorgeht. Prostitution ist ein Ausbeutungssystem, das auf den Effekten anderer Unterdrückungssysteme aufbaut, allen voran Kapitalismus, Patriarchat und rassistische Unterdrückung. Es sind vor allem die Menschen mit den geringsten Chancen, die in der Prostitution landen. Aktuell werden in Deutschland zum größten Teil Frauen aus Osteuropa, unter ihnen vorwiegend Angehörige diskriminierter Minderheiten, zum Beispiel Roma, prostituiert. Es handelt sich dabei um durch Armut erzwungene Prostitution.

Eine häufige Entgegnung darauf ist, dass nun mal im Kapitalismus alle zum Gelderwerb gezwungen seien. Mit diesem Vergleich wird jedoch erzwungener Sex mit erzwungener Arbeit gleichgesetzt und damit die sexuelle Gewalt, die das ist, verharmlost und normalisiert. Der Vergleich zeigt, welch untergründiger Sexismus die Debatte bestimmt, wenn das Recht auf sexuelle Unversehrtheit von Frauen mit einem Achselzucken abgetan werden kann.

Neoliberale Argumente des Pro-Sexarbeit-Lagers

Überdies zeigt sich in dieser Argumentation eine eigenartige Wendung: Üblicherweise klagen Linke den Kapitalismus und die Folgen seiner ausbeuterischen Zwänge an. In der Prostitutionsdebatte wird besagtes System jedoch plötzlich zur Verteidigung einer besonders zerstörerischen Einrichtung angeführt. Anstatt die schlimmsten Auswüchse des Systems sofort zu bekämpfen, reicht es hier bestenfalls noch für den Hinweis, dass der Kapitalismus insgesamt abgeschafft gehört. Bis es so weit ist, müssen sich die Leidtragenden mit den zerstörerischen Folgen der Prostitution abfinden.

Auch neoliberale Argumentationsmuster sind in diesem Zusammenhang häufig zu hören, etwa wenn der prostitutive Akt als freier und einvernehmlicher Tausch von Geld gegen Sex zwischen zwei Erwachsenen dargestellt wird. Eine solch individualisierende Betrachtung blendet strukturelle Gewalt aus. Ein weiteres Beispiel: die Forderung nach einer weitgehenden Liberalisierung, sprich Deregulierung der Sexindustrie. Wie auch sonst im Kapitalismus, kommt eine solche Deregulierung vor allem denen zugute, die ihren Umsatz auf dem Rücken anderer machen.

Im Jahr 2002 wurde die Prostitution in Deutschland bereits weitgehend liberalisiert. Die Folgen sind drastisch. Zuhälterei hat einen Aufschwung ohnegleichen erfahren. Deutschland gilt inzwischen als europäische Drehscheibe für Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Bordellbetreiber sind zu seriösen Geschäftsmännern geworden. Jürgen Rudloff, Inhaber mehrerer Großbordelle, plante im Jahr 2012 den Börsengang. Was daraus geworden ist, ist unklar. Klar ist hingegen, dass im vergangenen Jahr Mitarbeiter seines Bordells »Paradise« wegen Verdachts auf Menschenhandel festgenommen wurden. Mehr denn je sind prostituierte Frauen maßloser Gewalt ausgesetzt. 61 Morde an prostituierten Menschen zählt die Webseite www.sexindustry-kills.de seit 2002. Die Preise sind durch die erhöhte Konkurrenz stark gesunken; der Druck, kein Kondom zu benutzen, ist gestiegen.

Die beschriebenen Zustände sind der Bundesregierung seit mindestens 2007 bekannt, da in dem Jahr eine Evaluation feststellte, dass die angestrebten Ziele des Gesetzes - offiziell ging es um mehr Rechte und bessere Arbeitsbedingungen für prostituierte Frauen - nicht erreicht worden sind. Dass sich trotzdem lange nichts tat, könnte auch daran liegen, dass der Staat an der Prostitution in Form von Pauschalsteuern mitverdient. Erst seit die Debatte durch den von der Zeitschrift EMMA initiierten Appell gegen Prostitution Ende 2013 mit Wucht neu einsetzte, hat sich die Bundesregierung zu einer Reform entschlossen. Im Februar einigte sich die Koalition auf ein neues Gesetz. (Siehe Kasten) An den Verhältnissen wird es aber kaum etwas ändern, da es nicht an der Wurzel des Problems - der Nachfrage - ansetzt und mögliche Verbesserungen durch den Einfluss der Bordelllobby weichgespült wurden.

In dem Versuch, Prostitution als Arbeit wie jede andere zu etablieren, gehen alte patriarchale und neoliberale Machtverhältnisse eine Allianz ein. Während die verschärfte ökonomische Ungleichheit immer mehr marginalisierte Frauen und Jugendliche in die Prostitution treibt und Bordellbetreiber_innen mit sexueller Ausbeutung hohe Gewinne einfahren, servieren Sexarbeiterinnen (so die Selbstbezeichnung) in Talkshows die dazu passende Ideologie. Das Erstaunliche ist, dass auch linke Medien diese kritiklos schlucken und reproduzieren. Dabei liegen die Forderungen der angeblich selbstorganisierten Sexarbeiterinnenverbände wie BesD und BSD auf einer Linie mit denen des Bordellbetreiberverbands UEGD. (3) Zudem gehören jene Sexarbeiterinnen, die Prostitution als Arbeit bewerben, zu den Privilegiertesten der Branche. Sie sind weiß, deutsch, und häufig betreiben sie inzwischen selbst Bordelle. Damit repräsentieren sie nicht die Mehrheit. Die meisten prostituierten Frauen in Deutschland sind Migrantinnen, und die meisten wollen aussteigen.

Deshalb das Nordische Modell

Für ein realistischeres Bild der Prostitution sollte man den kritischen Stimmen der Aussteigerinnen zuhören. (4) Diese fordern das Nordische Modell, das 1999 in Schweden eingeführt wurde. Seine Hauptbestandteile sind Entkriminalisierung der prostituierten Frauen, wo das noch nicht der Fall ist, und gute Ausstiegsprogramme. Kriminalisiert werden Freier und Dritte, die von der Prostitution profitieren.

Über das Nordische Modell sind viele Mythen im Umlauf. Einer davon ist, dass es die prostituierten Menschen kriminalisiere. Das ist eindeutig falsch. Weiterhin wird behauptet, auf die Art würde sich die Prostitution in den Untergrund verlagern und dadurch gefährlicher werden. In Schweden wurde aber ein Rückgang schwerer Gewalttaten festgestellt, eine Folge davon, dass Freier sich generell besser vorsehen müssen. Schließlich ist zu hören, dass das Nordische Modell den Menschen in der Prostitution ihre Lebensgrundlage entziehe. Da das Modell jedoch faktisch die Konkurrenz vermindert, da viele, die aus der Prostitution rauswollen, das auch können, und viel weniger Menschen überhaupt erst hineingetrieben werden, ist das Gegenteil der Fall. (5)

Grundsätzlich geht es bei diesem Modell darum, die Schädlichkeit der Institution Prostitution gesellschaftlich zu erkennen und an der Quelle dafür, der Nachfrage, anzusetzen. Freier beteiligen sich an der Schädigung einer anderen Person, und sie halten eine frauenfeindliche Institution am Leben. Dafür sollten sie zur Verantwortung gezogen werden. Auch wenn in Deutschland die aktuelle Gesetzesänderung nichts am Status quo ändern wird: Das Umdenken hat bereits eingesetzt.

Gunhild Mewes engagiert sich in der Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt (http://ifgbsg.org) und bei Abolition 2014 (http://abolition2014.blogspot.de). In ak 613 schrieb sie über die Täterfreundlichkeit des deutschen Sexualstrafrechts.

Anmerkungen:

1) Der Ausdruck »prostituierte Person« für die Menschen, die sich aktuell in der Prostitution befinden, drückt aus, dass der prostitutive Akt fast immer aus einer Notlage heraus entsteht, die der Freier ausnutzt. Menschen, die aus der Prostitution aussteigen, bezeichnen sich häufig als Überlebende.

2) Melissa Farley: Prostitution and Trafficking in Nine countries: An Update on Violence and Posttraumatic Stress Disorder, www.prostitutionresearch.com/pdf/Prostitutionin9Countries.pdf.

3) Siehe Ann-Katrin Müller: Aus der Deckung, Spiegel 14/2015, www.spiegel.de/spiegel/print/d-132909484.html.

4) Ein aktuelles Beispiel ist Huschke Maus Offener Brief an die Linksjugend 'solid: kritischeperspektive.com/kp/2016-16-die-linke-freude-an-der-prostitution.

5) Siehe abolition2014.blogspot.de/2014/06/prostituiertenlohn-in-schweden-am.html. Auf der Seite abolition2014.blogspot.de finden sich viele weitere Artikel zur Sicherheit im Nordischen Modell.

Das Prostitutionsgesetz

Im März einigte sich die Koalition auf ein neues Prostitutionsgesetz, das allerdings noch durch Bundestag und Bundesrat muss. In Kraft treten soll es 2017. Bordelle werden künftig genehmigungspflichtig, das soll kriminelle und ausbeuterische Arbeitsbedingungen reduzieren. Bestimmte Praktiken (Flatrate, Gang Bang) sollen untersagt werden, auch eine - kaum zu überprüfende - Kondompflicht sieht das Gesetz vor. Freier von Zwangsprostituierten sollen bestraft werden. Umstritten sind vor allem die Anmeldepflicht für Prostituierte und die verpflichtende Gesundheitsberatung. Die Kritik von Sexarbeit-Verbänden an der Anmeldepflicht richtet sich gegen das Outing von Sexarbeiterinnen, befürchtete Gängelung und gegen die Gefahr der Entdeckung für Illegalisierte. Prostitutionsgegner_innen (wie die EMMA) kritisieren, das Gesetz würde die vielen unfreiwillig in der Prostitution tätigen Frauen in der Praxis überhaupt nicht schützen und sei Makulatur.