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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 617 / 21.6.2016

Kampf dem Musterbeispiel

Integrat-O-Mat Bei der Hierarchisierung von Migrantengruppen sind auch Migrant_innen verstrickt

Von Sara Madjlessi-Roudi

»Ach, Ihr Vater ist Iraner. Das ist aber interessant. Aus dem Iran kommen ja so viele politische Intellektuelle und Akademiker«. Solche Sätze konnte ich mir in meinem bisherigen Leben nicht nur einmal anhören. Sie begegneten mir regelmäßig: in der Schule, auf der Arbeit, selbst im Bekanntenkreis. Da war es ganz selbstverständlich, dass ich als Halbiranerin Abi machte und danach studierte - seltsam nur, dass es dann doch nicht ganz bis zum Mathematikstudium reichte und ich an einer Fachhochschule landete. Na ja, ich war ja auch nur Halbiranerin.

Dass Iraner_innen scheinbar zur zivilisatorischen Sperrspitze der nützlichen Migrant_innen gehören, ist Konsens. Bewiesen durch ein Potpourri an Musterbeispielen der Integration und Statistiken wird regelmäßig in Medien und Politik festgestellt, dass spätestens mit der Iranischen Revolution im Jahre 1979 zahlreiche Akademiker_innen nach Deutschland kamen. Als nach der Grünen Revolution vor sieben Jahren viele Menschen aus der Islamischen Republik flüchteten, wurde erneut das iranische Humankapital gepriesen, das sie angeblich im Überfluss mitbrachten.

Diese interessante Annahme, dass die gesamte iranische Community in Deutschland scheinbar aus gut integrierten Ärzten, Professoren und emanzipierten Frauen besteht, ist jedoch nicht nur unter linksliberalen Biodeutschen Usus, sondern auch unter Teilen der Iraner_innen selbst. Regelmäßig wurde ich auf die jahrtausendealte Hochkultur verwiesen. Ich wuchs in dem Wissen auf, dass Persien schon hoch entwickelt war als die Deutschen noch in den Bäumen hingen. Einige Iraner_innen schienen mir ein großes Bedürfnis nach Abgrenzung von anderen Migrantengruppen zu verspüren. Am wenigsten gemeinsam hatte man mit Migrant_innen aus Regionen, die islamisch geprägt waren: Türk_innen und Araber_innen. Das war zufällig bereits ein ziemlich großer Teil der Migrant_innen in Deutschland.

Assimilation schafft Hierarchien

Eine Hierarchisierung von Migrantengruppen nehmen sowohl biodeutsche Milieus als auch Teile der iranischen Community vor. Es handelt sich aber nur um eines von vielen Beispielen für migrantische Abgrenzungsbedürfnisse. Und es ist nur im Zusammenhang mit dem massiven Assimilationsdruck zu verstehen, dem Migrant_innen permanent ausgesetzt sind. Wer sich nicht gnadenlos anpasst und sich selbst »nützlich macht«, der ist mit starkem Rassismus konfrontiert. Wer produktiv »seinen Beitrag« zur Gesellschaft leistet und einem Idealbild deutscher Leitkultur hinterherhechelt - der hat vermeintlich beste Chancen. Mit dem Kampf um knappe Ressourcen wie Arbeitsplätze oder Wohnraum steigt die Tendenz zur Abgrenzung gegenüber anderen Migrantengruppen. Dies hat vor allem den Zweck, die eigene Position zu erhöhen.

Spaltungen unter Migrant_innen entstehen jedoch nicht im luftleeren Raum. Im Fall der Iraner_innen in Deutschland wirken weitere Faktoren, die diese Spaltungen verstärken. Zum einen ist der Drang, sich insbesondere von türkischen Migrant_innen abzugrenzen, eine Klassenfrage. Viele Migrant_innen aus dem Iran kommen aus einem bürgerlich-akademischen Milieu, das sich auch im Iran sehr klar von Arbeiter_innen distanziert, die vielen als letzte Bastion der Mullahs gelten. Der Gedanke, hier mit dem »anatolischen Bauer« in einen Topf geworfen zu werden, empört manche daher. Schließlich kam man bereits im Iran aus besseren Verhältnissen.

Ähnliche Vorurteile bestehen auch gegenüber »dem Araber«: Dieser ist nicht nur ungebildet, sondern vor allem islamischer Fundamentalist. So begegneten mir im Iran Menschen, die Araber_innen die Schuld an der aktuellen politischen Lage im Iran gaben, indem sie auf die islamische Eroberungspolitik durch die Araber_innen um das Jahr 630 verwiesen. Derzeit ist es im Iran in Mode, die eigenen islamischen Vornamen gegen altpersische Namen einzutauschen. Dadurch weist man auf die eigene Verbundenheit zur vorislamischen persischen Kultur hin und grenzt sich gleichzeitig vom Regime sowie arabischer Einflussnahme auf iranische Kultur ab. Eine Verbundenheit zu Europa erscheint hingegen oft selbstverständlich. Bereits in jungen Jahren erfuhr ich von der Bezugnahme Goethes auf den persischen Stardichter Hafiz. Auch die Zugehörigkeit des Persischen zur Gruppe der indogermanischen Sprachen war Beleg für die Nähe des Irans zu Europa.

Die Spaltungen dürfen nicht ignoriert werden

Der grundlegende Widerspruch verläuft zwar zwischen Angehörigen der Dominanzgesellschaft und ihren Minderheiten. Um einen effektiven Antirassismus zu organisieren, müssen aber auch weitere Widersprüche auf den Tisch, in denen sich viele durch Rassismus Unterdrückte zwangsläufig bewegen. Denn die realen Spaltungen zu ignorieren bedeutet auch, keine Strategien zu ihrer Beseitigung zu entwerfen.

Migrant_innen sind auf unterschiedliche Weise von Rassismus betroffen. Die Hierarchisierung von Migrantengruppen ist aufgrund verschiedener Faktoren erfolgreich und hat die Macht, das Selbstbild zu beeinflussen. Der Kampf um Ressourcen verschärft den Druck, sich von denen abzugrenzen, die in der Hierarchie weiter unten stehen. Einen gemeinsamen migrantischen Widerstand zu organisieren ist dennoch möglich. Dem Zwang zur Integration und dem Kampf um Wohnungen, Jobs und Anerkennung sind nämlich alle unterworfen.

Sara Madjlessi-Roudi schrieb in ak 612 über rassistische Stereotype in der Berichterstattung zu den Übergriffen in Köln.