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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 617 / 21.6.2016

Die AfD bekämpfen, bevor es zu spät ist

Diskussion Eine Replik auf einen Beitrag von Sebastian Friedrich in ak 615

Von Julia Meier

Als im vergangenen Sommer viele Menschen streikten und ankommende Flüchtlinge unterstützten, bestand die Hoffnung, die AfD würde so schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen war. Bekanntlich kam es anders. Insofern ist es zu begrüßen, dass auch in ak über linke Strategien gegen die neue rechte Partei diskutiert wird. Den Anfang machte Sebastian Friedrich in ak 613. Er warnte vor zu breiten Bündnissen gegen die AfD. Linke drohten darin vom neoliberalen Machtblock absorbiert zu werden.

Die Entwicklung der AfD ist nicht zu verstehen, ohne die rechten Straßenmobilisierungen der vergangenen Jahre sowie die Brüche und Widersprüche im Umgang der Regierung Merkel mit der Entwicklung, die sie »Flüchtlingskrise« nannte, zu berücksichtigen. Eine ernsthafte Einheitsfront ist notwendig, um den neofaschistischen Flügel der AfD zu isolieren, bevor er zu stark wird.

Die AfD aufgrund ihres Programms als besonders reaktionäre, neoliberale Partei einzuordnen, wie es Friedrich tut, greift zu kurz. Es gibt keinen eigentlichen Kern der AfD, sondern divergierende Gruppierungen. Die Differenzen, die zur Abspaltung der Partei von ihrem Gründer Bernd Lucke geführt haben, sind immer noch da. »Der Flügel« um den thüringischen AfD-Chef Björn Höcke und den sachsen-anhaltischen Vorsitzenden André Poggenburg sucht die Nähe zu PEGIDA und will die Partei weiter nach rechts drängen. Die verbliebenen Neoliberalen um den Bundesvize Jörg Meuthen lehnen Höckes Vision einer »national-sozialen Kraft« ab. Mit der Europaabgeordneten Beatrix von Storch teilt der »Flügel« zwar die streng reaktionäre Gesellschaftspolitik, wirtschaftspolitisch steht von Storch aber auf der Seite Meuthens.

Keine faschistische Partei - aber eine faschistische Gefahr

Diese Widersprüche spiegeln sich in der Wählerschaft wider. Einerseits finden sich dort viele klassische rechte Wähler_innen, von der CDU enttäuschte neoliberale Konservative und chauvinistische Teile des Kleinbürgertums. Bei den Landtagswahlen vom Frühjahr konnte die AfD auch in ehemaligen SPD-Hochburgen gewinnen. Es gelang der AfD also, bei einer Wählerschaft zu punkten, die sich eine wie auch immer geartete Form von sozialem Ausgleich wünscht, aber eben auch durch Rassismus ansprechbar ist.

Die divergierenden Gruppierungen werden zusammengehalten vom gemeinsamen Erfolg, dem Selbstbewusstsein einer Protestpartei und durch Rassismus gegen Flüchtlinge und Muslime. Die dauerhaften rechten Straßenmobilisierungen um PEGIDA und Hogesa stärken derweil dem rechten Flügel um Höcke, Poggenburg und den ehemaligen hessischen CDUler und heutigen brandenburgischen AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland den Rücken.

Die AfD ist keine faschistische Partei, doch der Flügel um Höcke, Gauland und Poggenburg kann durchaus als neofaschistisch bezeichnet werden. Für diese Einschätzung ist nicht das Programm der AfD entscheidend, sondern ihre Strategie.

Denn das Programm ist ein wildes Sammelsurium von wirtschaftlich neoliberalen, gesellschaftlich antiliberalen, ultrakonservativen und völkisch-rassistischen Forderungen. Die Strategie des rechten Flügels zielt auf den Kampf um die Straße - mit militantem Anti-Establishment-Gestus und völkischer Orientierung. Alexander Gauland zeigt Verständnis dafür, dass Nazis eine Maikundgebung des DGB in Zwickau sprengten, und erklärte nach den Landtagswahlen im Frühjahr, dass sich die AfD nicht an einer Regierung beteiligen würde, da sie radikal »gegen das System« sei. Höcke, Poggenburg und Gauland werben zudem schon länger für eine Zusammenarbeit der AfD mit PEGIDA. Der Magdeburger Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider sprach auf einer PEGIDA-Demonstration in Dresden. Höcke lud auf einer seiner AfD-Demonstrationen in Erfurt Sigfried Däbritz als Redner ein, einen der Wortführer von PEGIDA. Neuerdings nutzt Höcke die Demonstrationen, um gegen den Bau einer Moschee zu agitieren. Der Freiburger AfD-Politiker und Burschenschafter Dubravko Mandic, einer der vehementesten Anhänger Höckes, bringt das Selbstverständnis des rechten Flügels auf den Punkt: »Von der NPD unterschieden wir uns vornehmlich durch unser bürgerliches Unterstützerumfeld, nicht so sehr durch Inhalte.«

Bundeskanzlerin Merkel hatte sich im Sommer 2015 auf eine begrenzte Öffnung der Grenzen eingelassen und die Chance gesehen, billige Arbeitskräfte ins Land zu holen. Kurz darauf begann eine systematische Kampagne aus Teilen der Regierung selbst - vorangetrieben vom CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer, aber auch und insbesondere von Finanzminister Wolfgang Schäuble und Innenminister Thomas de Maizière. Im Oktober 2015 schlug de Maizière vor, Flüchtlinge in zentralen Lagern an der Grenze zu internieren. Die Regierung diskutierte, den Mindestlohn auszusetzen. Im November und Dezember bestimmten Berichte über »kriminelle Ausländer« und »Wirtschaftsflüchtlinge« die Schlagzeilen und nach den Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris dominierte eine auf Vermutungen und rassistischen Vorurteilen gestützte Berichterstattung - wieder befeuert durch Schäuble und de Maizière.

Merkel bekam also parteiintern Druck von rechts. Ebenso uneinig sind sich die Herrschenden über alle großen Themen der vergangenen Jahre. Ein einheitlicher neoliberaler politischer Machtblock existiert nicht.

Auch der Bruch zwischen Transatlantiker_innen und denjenigen, die eine verstärkte Zusammenarbeit mit der russischen herrschenden Klasse suchen, geht quer durch die Parteien. Sowohl in der SPD als auch in den Unionsparteien sind beide Ansichten gut vertreten. Im Umgang mit der Eurokrise setzte sich zwar die Fraktion um Finananzminister Schäuble durch, und das »Problem Griechenland« wurde mit einem autoritär-chauvinisitischen Auftritt des deutschen Imperialismus auf dem Parkett der EU-Finanzpolitik »gelöst«, im Hintergrund jedoch liefen auch innerhalb der Koalition die Debatten um längerfristige Perspektiven.

Uns steht die herrschende Klasse bei der sozialen Frage als Block mit gemeinsamen Interessen gegenüber. Trotzdem ist es notwendig, sich ihrer inneren Widersprüche bewusst zu sein. Einerseits können sie Ansatzpunkt für erfolgreiche Kämpfe von links sein, andererseits verschärft die Dynamik einer in sich uneinigen herrschenden Klasse die Gefahr, dass ein Teil dieser herrschenden Klasse reaktionäre Krisenlösungen - und damit die AfD - unterstützt.

»BDI und BILD haben keinen Bock auf AfD«, schreibt Friedrich. Die herrschende Klasse mag momentan kein Interesse an einer Machtübernahme der AfD, oder gar der Gruppe um Höcke und Gauland, haben. Aber: Teile der herrschenden Klasse haben durchaus ein Interesse an der Verbreitung von Rassismus, um eine linke Antwort auf die Eurokrise, die wachsende soziale Ungleichheit und die Frage der Flüchtenden der Kriege in Syrien und anderswo zurückzudrängen.

Nicht erst kurz vor der Machtübernahme gefährlich

Rassist_innen sind nicht erst gefährlich, wenn sie kurz vor der Machübernahme stehen. Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, Moscheen und Synagogen, Gewalt gegen Flüchtlinge, Muslime und Juden, Linke und Andersdenkende sind für die Betroffenen eine alltägliche Bedrohung. Die gesellschaftliche Dynamik, die von AfD-Politiker_innen in jeder Talkshow und einer sensationsheischenden Berichterstattung über angebliche Terrorist_innen und einzelne Straftaten von Geflüchteten ausgelöst wird, bedeutet eine Normalisierung von Rassismus. Rassismus gegen Flüchtlinge und antimuslimischer Rassismus drohen zu gesellschaftlich akzeptablen Ansichten zu werden.

Nach dem russischen Revolutionären Leo Trotzki basierte die Gefahr, die von der damaligen NSDAP ausging, auf ihrem Charakter als Partei einer unabhängigen Bewegung des Kleinbürgertums. Die Machtergreifung konnte zwar ohne die Unterstützung des Kapitals nicht gelingen, vorher jedoch war die Unabhängigkeit eher eine Stärke als eine Schwäche der Nazis.

Dass die AfD momentan nicht auf die Unterstützung nennenswerter Kapitalfraktionen zählen kann, darf kein Vorwand sein, sie nicht mit allen Mitteln zu bekämpfen. Zu groß ist die Gefahr, dass eine stärkere, radikalisierte AfD dem Kapital tatsächlich einmal als Option erscheint, die gesellschaftliche Linke zu bekämpfen. Solange dies nicht der Fall ist, ist es leichter sie zu schlagen - und dem Rassismus eine gesellschaftliche Verbreitung wieder zu entziehen.

Das Ziel eines erfolgreichen Kampfes gegen die AfD muss sein, den harten Kern des faschistischen Flügels von ihrer von diffusen Ängsten und rassistischen Vorurteilen geprägten Anhängerschaft zu isolieren. Ein erstes Etappenziel wäre es, den Einzug der AfD in den Bundestag 2017 zu verhindern, um der rassistischen Dynamik einen Dämpfer zu verpassen.

Friedrich nennt als Beispiel für ein aus seiner Sicht zu breites Bündnis Aufstehen gegen Rassismus, das im März dieses Jahres an die Öffentlichkeit gegangen ist. Das Bündnis ist ein Versuch, eine Einheitsfront gegen die AfD in Stellung zu bringen. Im Gegensatz zu einem vom DGB in Baden-Württemberg im Vorfeld der Landtagswahl gegründeten Bündnis wurden CDU, FDP und Arbeitgeberverbände bewusst nicht einbezogen. An Aufstehen gegen Rassismus beteiligen sich LINKE, SPD und Grüne, Gewerkschaften und Akteure der radikalen Linken. Insbesondere die Beteiligung der Gewerkschaften ist entscheidend, damit das Bündnis die gesellschaftliche Durchschlagskraft erreicht, die notwendig ist, um die AfD in die Defensive zu drängen und den faschistischen Flügel zu isolieren. Ein Bündnis ohne die SPD wird die Gewerkschaften schwerlich mitnehmen.

Selbstverständlich bedeutet ein Bündnis unter Beteiligung von SPD und Grünen nicht, diese nicht zu kritisieren oder den Neoliberalismus nicht zu bekämpfen. Die Taktik der Einheitsfront, wie sie von der KPD Anfang der 1920er Jahre entwickelt wurde, bedeutete nie, einfach nur mit Reformist_innen zusammenzuarbeiten. Einheitsfront bedeutet auch, die gemeinsame Aktion zu nutzen, um Anhänger_innen von SPD und Grünen davon zu überzeugen, dass linke Parteien, radikale Linke, Revolutionär_innen, die besseren Ideen, die bessere Strategie und die effektiveren Methoden haben, das gemeinsame Ziel zu erreichen. Das Bündnis Aufstehen gegen Rassismus kann dann geeignet sein, Brüche unter den Herrschenden zu vertiefen: wenn die Kräfte links der Sozialdemokratie darin mit dem Selbstbewusstsein arbeiten, mit klaren Analysen und mit aktivistischen und entschlossenen Aktionen andere für die eigene Perspektive gewinnen zu können.

Der Kampf gegen den Rassismus und der Kampf gegen den Neoliberalismus sind zwei Teile des Klassenkampfes, allerdings setzen die Kämpfe an unterschiedlichen Fronten und in unterschiedlichen Bündniskonstellationen an. Die Gefahr, dass es dem neofaschistischen Flügel der AfD gelingt, eine rassistische Massenbewegung aufzubauen, die zur Bedrohung für alle wird, die nicht in sein völkisches Weltbild passen, ist real. Angesichts dessen den Kampf gegen den Neoliberalismus zur Vorbedingung des gemeinsamen Kampfes gegen Rassismus zu machen, wird der Lage nicht gerecht.

Julia Meier lebt in Freiburg, ist aktiv bei der LINKEN und Unterstützerin des Netzwerks Marx 21. Sie engagiert sich bei »Aufstehen gegen Rassismus«.