Hillbilly-Nationalismus gegen den Klassenfeind
Geschichte Ende der 1960er Jahre organisierten sich in Chicago die Young Patriots
Von Gabriel Kuhn
»White Power to white revolutionaries« hallt es durch den Saal. Am Podium stehen junge Männer, die Südstaatenflaggen auf ihren Jacken tragen und sich Young Patriots nennen. Ein rassistisches Treffen in Mississippi? Nein, eine Konferenz der United Front Against Fascism in Oakland 1969. Neben den Young Patriots stehen Black Panthers.
Das Zuhause der Young Patriots ist der Chicagoer Stadtteil Uptown, nach den Worten des Black Panthers Bob Lee »einer der schlimmsten Slums, den man sich vorstellen kann«. Die Bewohner_innen Uptowns sind zum größten Teil Arbeitsmigrant_innen, die aus den Appalachen stammen, einer vor allem für Bergbau und ländliche Armut bekannten Region, die sich über mehrere Südstaaten erstreckt. Uptown, auch Hillbilly Harlem genannt, ist eine städtische Kopie des dortigen Lebens: Honky-Tonk-Bars, Billardsaloons, Barbecues und Country-Musik. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 50 Prozent. 1958 warnt die Zeitschrift Harper's Magazine in einem Artikel: »Das größte Integrationsproblem der Stadt hat nichts mit Schwarzen zu tun, sondern mit einer Armee weißer Migranten aus dem Süden, die in der Regel aufgeblasen, arm und primitiv sind - und schnell zum Messer greifen.« Die Polizei drangsaliert die Bevölkerung, die Stadtregierung kümmert sich nicht und die Methoden der Immobilienspekulanten sind alles andere als zimperlich: Immer wieder sterben Menschen in Bränden, die zur Vertreibung von Mieter_innen angelegt werden.
1968 gründen Jugendliche in Uptown unter dem Eindruck der Black Panthers und der in Chicago ebenfalls starken puertoricanischen Young Lords die Young Patriots Organization. Patriots, weil »das für uns Menschen waren, die für ihre Community kämpfen«, wie Hy Thurman, ein Patriot der ersten Stunde, erklärt. Dem damaligen Trend der US-amerikanischen Linken entsprechend, legen sich die Patriots einen eigenen rebellischen Nationalismus zurecht. Sie betrachten die Appalachen als Kolonie und die besitzlosen Weißen des Südens als sekundäre Opfer der Sklaverei. Tatsächlich hatten die Plantagenbesitzer genauso wie die Industriellen der Nordstaaten für den sprichwörtlichen White Trash immer nur Verachtung übrig. Diese Klassen waren die Feinde der Patriots. Das Versäumnis, sich nicht früher mit den primären Opfern der Sklavengesellschaft, den Schwarzen, verbündet zu haben, sollte jetzt nachgeholt werden. Die Südstaatenflagge bot sich als provokantes Symbol für diesen »Hillbilly-Nationalismus« an. Dass sie die studentische Linke verunsicherte, war nur recht. Um keine falschen Deutungsmöglichkeiten aufkommen zu lassen, trug man neben ihr Bilder von Huey Newton, dem inhaftierten Vorsitzenden der Panthers.
Bob Lee spielte eine wichtige Rolle für die Entstehung der ursprünglichen Rainbow Coalition in Chicago (die nicht mit Jesse Jacksons Präsidentschaftskampagne 1984 zu verwechseln ist). Er bemühte sich um die Kontakte zu den Young Patriots: »Ich musste in den Billardsaloons abhängen und auf ihren Sofas pennen. Dann lud ich sie in mein Viertel ein. So begann die Zusammenarbeit. Ganz behutsam.« Sowohl der später von der Polizei ermordete Vorsitzende der Chicagoer Black Panthers, Fred Hampton, als auch José Cha-Cha Jiménez von den Young Lords begrüßten die Initiative. Das taten jedoch nicht alle Panthers und Lords. Einige verließen die Organisationen. Für Lee war dies ein notwendiger Teil politischer Entwicklung. Die Rainbow Coalition war für ihn ein »Codewort für Klassenkampf«.
Zusammenarbeit mit Black Panthers und Young Lords
Die Ursprünge der Young Patriots lagen in einer 1964 von den Students for a Democratic Society, dem amerikanischen SDS, gegründeten Kampagne mit dem Namen Jobs or Income Now (JOIN). JOIN wollte der Notwendigkeit der Arbeitsplatzbeschaffung mit der Forderung nach einem Grundeinkommen Nachdruck verleihen. Die Kampagne setzte wichtige Akzente in der Chicagoer Sozialpolitik, doch im Laufe der Jahre kam es zunehmend zu Spannungen zwischen den Student_innen und den Bewohner_innen Uptowns. Lokale Gangs zwangen die Student_innen schließlich zum Rückzug und JOIN teilte sich in zwei Gruppen: Rising Up Angry, die mit einer gleichnamigen Zeitung versuchte, das »weiße Lumpenproletariat« Chicagos zu politisieren, und die Young Patriots, die sich auf Stadtteilarbeit in Uptown konzentrierten. Die Patriots übernahmen dabei nicht nur das Erscheinungsbild der Panthers (schwarze Jacken, Baskenmützen, Sonnenbrillen), sondern mit leichten Modifikationen auch deren 10-Punkte Programm (Selbstverwaltung, Antikapitalismus und internationale Solidarität). Auch die tägliche Arbeit orientierte sich an jener der Panthers: Polikliniken wurden eingerichtet, Spekulant_innen vertrieben, Kinder bekamen Frühstück und die Polizei Saures.
Im Rahmen der Rainbow Coalition unterstützten die Black Panthers und Young Lords die Projekte der Patriots. Die Patriots wiederum vertrieben die Black Panther Newspaper. Gemeinsam ging man zu Stadtratssitzungen und rief zu Protesten gegen den Vietnamkrieg auf. In einer Anekdote, die Hy Thurman erzählt, wird die Zusammenarbeit anschaulich: »Lange Zeit machte sich die Chicagoer Polizei einen Spaß daraus, Jugendlichen ihr Geld wegzunehmen und sie in den ärmsten Vierteln der Stadt auszusetzen: weiße Jugendliche in schwarzen Vierteln und schwarze Jugendliche in Uptown. In der Rainbow Coalition stellten wir sicher, dass ihnen nichts zustieß: Wir begleiteten sie bis zur nächsten Bahnstation und kauften ihnen ein Ticket für die Nachhausefahrt.«
In dem Dokumentarfilm American Revolution II sehen wir Bob Lee bei seinen ersten Kontaktaufnahmen mit etwas eingeschüchtert wirkenden Bewohner_innen Uptowns (»Soll ich die Baskenmütze runternehmen?«). Lee erklärt, dass Armut und Polizeigewalt als geteilte Erfahrung ausreichen würden, um sich gemeinsam organisieren zu können. Ein Jugendlicher Uptowns bestätigt die von den Panthers ausgehende Faszination: »Schwarze Kids können sich Bilder von Huey Newton ansehen und sich sagen: Wenn ich groß bin, werde ich auch ein Panther! Was für Vorbilder haben wir?«
American Revolution II erinnert auch daran, dass die Arbeit der Patriots alles andere als ungefährlich war. So spricht der erst vor kurzem nach Chicago gekommene John Howard den Satz: »Wenn die Panthers auf meiner Seite sind, bin ich auf ihrer Seite.« Als er ein Jahr später seine Familie in Georgia besucht, wird er erkannt und am nächsten Morgen mit durchgeschnittener Kehle aufgefunden. Auch der Patriot Raymond Tackett wird ermordet, als er versucht, in Kentucky eine Poliklinik aufzubauen.
Dass zumindest bei der Ermordung Tacketts die Polizei der Mittäterschaft verdächtigt wurde, verweist auf einen der Hauptgründe für das Ende der Patriots: Wie die Black Panthers und die Young Lords wurden sie von der ständig zunehmenden Repression aufgerieben. Für Bob Lee besteht kein Zweifel daran, dass dies eine Konsequenz der Zusammenarbeit zwischen den Gruppen war: »Zu wirklich starker Repression kam es erst, als die Panthers Allianzen bildeten. In dem Moment, in dem die Partei nicht mehr einfach anti-weiß war, sondern begann, richtige Politik zu betreiben, wurde sie zur Bedrohung.«
Ansätze für Stadtteilarbeit
Die Young Patriots waren lange in Vergessenheit geraten. Erst mit dem 2011 erschienenen Buch Hillbilly Nationalists, Urban Race Rebels and Black Power: Community Organizing in Radical Times änderte sich dies. Neben den Young Patriots und Rising Up Angry werden in dem Buch weitere verwandte Organisationen porträtiert: die Patriot Party, eine Art nationale Nachfolgeorganisation der Young Patriots; die October 4th Organization, die sich in den Arbeitervierteln Philadelphias gegen Ausbeutung und Polizeigewalt stark machte; und White Lightning, die den Kampf gegen die Drogen in der Bronx nicht den Sicherheitsbehörden und staatlichen Institutionen überlassen wollte.
Hillbilly Nationalists leistete auch einen Beitrag zur Wiederbelebung der Young Patriots. Hy Thurman hat mit dem Ziel, »Ressourcen zur Stadtteilarbeit zur Verfügung zu stellen«, die Organisation neu gegründet. Denn: »Stadtteilarbeit ist heute genauso wichtig, wie sie es damals war.« Chuck Armsbury, der in der Patriot Party in Eugene, Oregon, aktiv war und dafür mehrere Jahre im Gefängnis verbrachte, teilt diese Ansicht. Als ich ihn in einem entlegenen Teil des Bundesstaats Washington am Telefon erreiche, erklärt er mir: »Wenn ich aus dem Fenster blicke, dann sehe ich Trailer Parks und Drogenhändler, aber keinen einzigen Arzt. An einer Poliklinik würde hier enormer Bedarf bestehen.«
Sich heute über die Young Patriots lustig zu machen, ist einfach. Leser_innen der ak müssen auf die problematischen Aspekte ihres abenteuerlichen Nationalismus nicht hingewiesen werden. Doch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Geschichte einen besonders wunden Punkt der radikalen Linken in der Metropole trifft, nämlich die seit Jahrzehnten anhaltende Entfremdung von der Arbeiterklasse. Dies ist gerade in Zeiten von Bedeutung, in denen Arbeiter_innen gerne ein Mitschuld an den rechtsextremen Tendenzen gegeben wird, die die Metropole plagen. Doch wenn linke Aktivist_innen unentwegt das Bild des stumpfsinnigen und rassistischen Prolls bemühen, wird dies irgendwann zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Werden Menschen kollektiv ins rechte Eck gerückt, können sich irgendwann auch diejenigen nicht mehr daraus befreien, die das eigentlich gerne täten. Dafür trägt auch die Linke Verantwortung.
Peggy Terry, die in Oklahoma als Tochter von Wanderarbeiter_innen geboren wurde, später eine tragende Rolle in JOIN spielte und 1968 die Vizekandidatin in der Präsidentschaftskampagne des Black Panthers Eldridge Cleaver war, schrieb Anfang der 1970er Jahre einen Text mit dem schlichten Titel »Organizing Poor Whites in Uptown, Chicago, Illinois«. Dort heißt es unter anderem: »Es hängt von uns ab, eine Organisation aufzubauen, die zu, für und über Menschen in einer Sprache spricht, die sie verstehen und mit der sie etwas anfangen können. Wenn es jemals zu der Massenbasis kommen soll, die nötig ist, um unsere Lebensbedingungen zu verändern, gibt es keine andere Möglichkeit.« Diese Worte haben an Aktualität nichts verloren.
Gabriel Kuhn lebte mehrere Jahre in den USA und schreibt bei Gelegenheit über die US-amerikanische Linke.