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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 618 / 16.8.2016

Jenseits von Gut und Böse

Diskussion Der Feminismus muss den Rahmen der gesellschaftlichen Debatte um Gewalt gegen Frauen sprengen

Sexuelle und physische Gewalt gegen Frauen nimmt in öffentlichen Debatten derzeit viel Raum ein. Auch die Diskussion über das Verhältnis der Linken zu Sexarbeit aus den letzten beiden ak-Ausgaben prägte die Frage nach dem Stellenwert der Gewalt. Tanya Serisier beschäftigt sich seit langem wissenschaftlich und aktivistisch mit den Politiken rund um sexuelle Gewalt und Sexualität. Ihr zufolge ist der Feminismus auf dem Terrain der Gewalt in eine Sackgasse geraten. In ihrem Artikel erklärt sie, was diese Entwicklung mit der sogenannten zweiten Welle der Frauenbewegung zu tun hat.

Von Tanya Serisier

geschlechtsspezifische Gewalt ist im letzten Jahrzehnt zu einem wesentlichen Thema radikaler und progressiver Politik geworden. Gewalt sitzt im Herzen vieler aktueller politischer Fragen: von Politiken des Konsens, Versuchen, community-basierte Antworten auf Partnerschaftsgewalt zu entwickeln, über Schutzraum-Politiken bis zu laufenden Debatten um den Charakter von Sexarbeit. (1) Konkrete Ereignisse sind oft der Anlass, die Frage der Gewalt an diesen Beispielen zu diskutieren. Abwesend sind dabei meist allgemeinere Fragen: Wie sollte geschlechtsspezifische Gewalt verstanden werden? Wie kann sie überwunden werden? Mit diesem Artikel beanspruche ich nicht, diese Fragen zu beantworten; ich behaupte aber, dass jede Antwort auf sie eine kritische Beschäftigung mit dem Erbe der zweiten Welle des Feminismus erfordert. (2)

Gegenwärtige Verständnisse von geschlechtsspezifischer Gewalt sind immer noch durch die Erkenntnisse und Begrenzungen der Politiken der zweiten Welle geprägt. Gewalt war eines ihrer bedeutsamsten Interventionsfelder: Aktivist_innen und Theoretiker_innen, insbesondere in den USA und in Großbritannien, entlarvten sexuelle und häusliche Gewalt als Probleme, die systematisch produziert wurden. Sie erkannten, mit welchen Mitteln diese Probleme gesellschaftlich und institutionell ignoriert wurden.

Feministische Analysen befanden, dass die Familie und die normative Heterosexualität keine sicheren Häfen oder Zufluchtsorte jenseits des öffentlichen Lebens waren, sondern Schauplätze geschlechtsspezifischer Machtverhältnisse, Unterdrückung und Gewalt. Die aufgedeckte systemische Gewalt und Unterdrückung im Herzen der persönlichen Beziehungen war einer der schwerwiegendsten Belege für die feministische Parole »Das Persönliche ist politisch«. Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt war nicht das Ergebnis individueller Handlungen, sondern Teil eines strukturellen Kontinuums: Die Gewalt zementierte die Rolle von Frauen in der Familie und der heterosexuellen Ökonomie und galt als Schlüsselelement dominanter Geschlechterrollen. Geschlechtsspezifische Gewalt zu beenden war somit Teil eines breiteren utopischen Projekts der Abschaffung geschlechtsspezifischer Unterdrückung. Ein Projekt, das viele feministische Aktivist_innen für machbar hielten.

Feministische Antworten sind in eine Sackgasse geraten

40 Jahre später jedoch scheinen die utopischen Visionen des radikaleren Teils der Frauenbewegung in weite Ferne gerückt zu sein. Geschlechtsspezifische Gewalt ist auch nach 40 Jahren feministischen Aktivismus weit verbreitet, und Betroffene sehen sich immer noch mit Stigmatisierung und Isolation konfrontiert. Die Gewalt wird fast durchgängig als ein zentrales politisches Problem anerkannt, Erklärungen und Lösungen sind aber immer noch schwer greifbar. In ihrem Buch »Up Against a Wall: Rape Reform and the Failure of Success« argumentiert Rose Corrigan, dass aktuelle feministische Antworten auf Gewalt den »Misserfolgen des Erfolgs« zum Opfer gefallen sind. Damit meint sie, dass die Sackgassen, in die der Feminismus geraten ist, teilweise das Resultat feministischer Bemühungen und ihrer Wirkung sind.

Die politischen Antworten auf geschlechtsspezifische Gewalt können grob in zwei Hauptfelder getrennt werden: die Zentralität des Staates für die Versuche, die Gewalt zu verhindern oder darauf zu reagieren; und eine Politik der Empörung, die politische Unterstützung mobilisieren will. Diese Sackgassen sind nicht nur das Problem einiger Feministinnen der zweiten Welle. Vielmehr ist diese Art der Politik zur dominanten und oft selbstverständlichen Vorstellung geschlechtsspezifischer Gewalt geworden. Sie prägt auch den Rahmen des Nachdenkens über Lösungen. Es geht nicht darum, dieser Einzelperson oder jener Organisation die Schuld daran zu geben, sondern darum zu erkennen, dass sogar Radikale, die sich an dem vorgegebenen Rahmen abarbeiten, dies in einer politischen Umgebung tun, die sie selbst mit geprägt haben.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse des Feminismus der zweiten Welle zu geschlechtsspezifischer Gewalt bestand darin, dass diese kein Problem krimineller Psychopathen und somit keine Abweichung von der Norm oder Ausnahme von der Regel war, sondern strukturell bedingt. Feministische Analysen benannten die Komplizenschaft staatlicher und juristischer Institutionen, die diese Gewalt billigen oder ignorieren. Als Feminist_innen daher zu einer grundlegenden Erneuerung dieser Institutionen aufriefen, erkannten Aktivist_innen zur gleichen Zeit die Notwendigkeit, unmittelbare Maßnahmen zu ergreifen, um den Auswirkungen der Gewalt etwas entgegenzusetzen und die Selbstorganisierung von Frauen zu unterstützen. Diese Maßnahmen bestanden primär im Aufbau von Krisenzentren für Vergewaltigungsopfer und Frauenhäusern, außerdem in Bemühungen um Gesetzesreformen, die strafrechtliche Reaktionen verbessern und die juristische Verfolgung von Sexualstraftätern ermöglichen sollte.

Ab den frühen 1980er Jahren waren beide Bemühungen immer öfter erfolgreich. Forderungen nach Gesetzesreformen führten langsam zu rechtlichen Änderungen. Krisenzentren für Vergewaltigungsopfer und Frauenhäuser erhielten politische Legitimität und öffentliche Gelder.

Eine Bewegung professionalisiert sich

Neben diesen Erfolgen war aber auch ein Abebben der feministischen Bewegung festzustellen. Die eher praktischen und unmittelbaren Maßnahmen rückten ins Zentrum der feministischen Antworten auf Gewalt. In diesem Zeitraum wurde Gewalt gegen Frauen nicht nur zum feststehenden Begriff, sondern auch zu einer Abkürzung: VAW stand nun für violence against women. Institutionelle Räume entstanden, die es feministischen Expert_innen ermöglichten, eine Agenda rund um VAW zu schaffen. Ihre zentralen Elemente: Gesetzesreformen, Sozialhilfemaßnahmen und strafrechtliche Reaktionen.

Diese Entwicklungen bedeuteten einen politischen Erfolg und besaßen einen praktischen Nutzen. Doch nach und nach veränderte sich auch der Charakter der Frauenhäuser und Krisenzentren für Vergewaltigungsopfer. Sie wurden von kollektiven feministischen Projekten, die vor allem von und für Betroffene organisiert waren, zu staatlich finanzierten, professionellen Einrichtungen. Die Würdigung und Entlohnung des enormen Arbeitsaufwands der Aktivist_innen bedeuteten eine Anerkennung feministischer Forderungen, die den Staat in die Verantwortung nahmen. Allerdings änderten sich durch diese strukturelle Verschiebung auch die Beziehungen zwischen den in diesen Organisationen Arbeitenden und den Frauen, die sie in Anspruch nahmen. Sie wurden zunehmend als Klientinnen beschrieben, die professionelle Dienstleistungen nachfragten. Resultat der Professionalisierung war, dass die Mehrheit der Zentren und Schutzhäuser ihre Beteiligung an politischer Organisierung begrenzten und ein eher dienstleistungsorientiertes Modell annahmen.

Da ich selbst in diesem Bereich gearbeitet habe, bin ich mir darüber bewusst, dass eine große Anzahl an Einzelpersonen auch weiterhin ein strukturelles Verständnis von geschlechtsspezifischer Gewalt besitzt und dafür kämpft, den politischen oder aktivistischen Charakter der Organisationen und des gesamten Bereichs zu erhalten. Sie tun dies aber innerhalb einer Struktur, die das Potenzial für einen solchen politischen Aktivismus und für Kritik stark begrenzt. Die Eingliederung in staatliche Strukturen und die Abhängigkeit von staatlichen Geldern begrenzt die Kritik des Staates als Teil des Systems, das die geschlechtsspezifische Gewalt ermöglicht und normalisiert. Eine professionelle Struktur, dominiert durch rechtliche und bereichspolitische Policymaßnahmen, ist schlecht gerüstet, um Gewalt als ein Problem der Normalität zu definieren: als Teil des normativen Rahmens von Zwangsheterosexualität und der patriarchalen Familie. Die professionelle Struktur soll Probleme der Abweichung lösen: »schlechte« Männer oder »ungesunde Beziehungen«. Die dominierenden feministische Antworten auf Gewalt veränderten sich. Aus einer politischen Bewegung für die Abschaffung systemischer Gewalt wurde eine, die sich darauf konzentriert, die Gewalt zu benennen, zu bewältigen und zu verwalten.

Gewalt wird zum Problem von »Kriminellen«

Ein zweiter Aspekt des Wandels war die Beziehung von feministischen Anti-Gewalt-Anwält_innen zum Strafrechtssystem. Obwohl es durchweg als ein System begriffen wird, das Gewalt gegen Frauen entschuldigt und manchmal sogar verschlimmert, bedeutete »Gewalt gegen Frauen ernst nehmen«, dass einzelne Täter häufiger angeklagt und verurteilt wurden.

Im Mainstreamdiskurs zu sagen, dass diese Gewalt inakzeptabel ist, wurde gleichbedeutend damit zu sagen, dass sie strafrechtlich verfolgt und verurteilt werden sollte. Gesetzliche Reformbestrebungen in den 1980er Jahren erwirkten, dass geschlechtsspezifische Gewalt als Verbrechen anerkannt wurde, zumindest unter bestimmten Umständen. Die Anerkennung als Verbrechen überschneidet sich mit dem Aufkommen eines Strafrechtspopulismus als politische Kraft und mit allgemein steigenden Inhaftierungsraten in Großbritannien und den USA. Kristin Bumiller legt in ihrem Buch »In an Abusive State« dar, dass geschlechtsspezifische Gewalt eine wichtige ideologische Rolle für öffentliche Forderungen nach und die Akzeptanz des »carceral turn« des Staates spielte. (3) Sie merkt an, dass die Gefängnisse seit den 1980er Jahren scheinbar voller Vergewaltiger und Missbrauchstäter sind, während tatsächlich in den Gefängnissen zunehmend nicht gewalttätige »low-level«-Täter sitzen.

Kriminalisierung hat hier eine Reihe von Effekten, insbesondere wenn sie als einzige Lösung gilt. Der Staat erscheint nicht mehr als mitschuldig an der Normalisierung und Entschuldigung systemischer geschlechtsspezifischer Gewalt; er wird zum Hauptbeschützer von Frauen erklärt. Der Staat kann für fehlende Effizienz kritisiert werden, aber Erfolg bleibt über steigende Raten von Anklagen und Verurteilungen definiert. Sobald geschlechtsspezifische Gewalt als etwas gilt, das von »Kriminellen« verübt wird, lokalisiert man das Problem in »kriminellen Bevölkerungsschichten«: arme Männer und Männer of color. Erfolgreiche Klagen wegen geschlechtsspezifischer Gewalt passen in überwältigendem Ausmaß zu gesellschaftlich anerkannten Kriminalitätsmustern. Geschlechtsspezifische Gewalt von »anständigen Männern«, insbesondere im familiären Kontext, fällt weiterhin aus diesem Rahmen.

Die Ironie dieser Verschiebungen besteht darin, dass Kriminalisierung keine Lösung darstellt - sogar dann nicht, wenn sie an ihren eigenen Zielen gemessen wird. Es ist ein offenes Geheimnis, dass hohe Inhaftierungsraten Kriminalität nicht reduzieren und auch nicht für mehr Sicherheit sorgen. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass geschlechtsspezifische Gewalt maßgeblich abnehmen würde, sollte die Zahl der Anklagen und Verurteilungen steigen. Tatsächlich gibt es allen Grund, das Gegenteil anzunehmen.

Gewalt ist keine moralische Frage

Ein zweites zentrales Vermächtnis feministischer Politik sind die kulturellen Politiken rund um geschlechtsspezifische Gewalt. Auch hier fällt es schwer, politischen Misserfolg von Erfolg zu trennen. Feministinnen der zweiten Welle wollten der sozialen Akzeptanz der Gewalt Empörung entgegensetzen. Dafür zogen sie Statistiken und persönliche Geschichten heran und setzten Opfererfahrungen strategisch ein. Diese Strategien waren extrem erfolgreich darin, Aufmerksamkeit auf geschlechtsspezifische Gewalt zu lenken - und auf das Schweigen, das sie umgibt. Allerdings sind diese Strategien auch mit bedeutsamen Begrenzungen verbunden.

Geschlechtsspezifische Gewalt als moralische statt als politische Frage zu rahmen bedeutet auch, auf einen falschen Universalismus zu setzen. Die Botschaft, dass physische und sexuelle Gewalt gegen Frauen schlecht ist, dass Überlebende Mitgefühl verdienen und Täter bestraft werden sollten, passt gut zum vorherrschenden Verständnis von Richtig und Falsch. Der gegenwärtige politische Konsens rund um diese Art von Gewalt und ihre Inakzeptabilität zeigt das deutlich: Während die Überzeugung, dass Gewalt gegen Frauen falsch ist, über alle politischen Unterschiede hinweg geteilt wird, werden dennoch viele konkrete Gewalterfahrungen geleugnet und bezweifelt. Punktuelle Entrüstung über geschlechtsspezifische Gewalt setzte nicht erst mit dem Feminismus der zweiten Welle ein. Die Entrüstung stärkt und beruht häufig auf einer sexuellen Ökonomie, die rassistische und klassenspezifische Hierarchien beinhaltet. So stellt sich Entrüstung selten angesichts von Gewalt gegen Frauen of color ein, obwohl Empörung in diesen Fällen sogar das Bild fortschreibt, das arme Männer aus ethnischen Minderheiten als sexuelle Raubtiere zeichnet.

Punktuelle Empörung isoliert unser Gewaltverständnis von umfassenderen Analysen von Ausbeutung und Unterdrückung. Das zeigt sich in gegenwärtigen Debatten um Sexarbeit und ihre Rahmung als eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt durch Abolitionist_innen. Das Problem mit dieser Rahmung besteht darin, dass es Gewalt als das Andere der Arbeit, das ihr Entgegensetzte versteht. Auch diejenigen, die diesen Gegensatz umdrehen und behaupten, dass Sexarbeit Arbeit und daher keine Gewalt sei, akzeptieren diese Annahme. Beide Positionen ignorieren die Verbindungen zwischen geschlechtsspezifischer Gewalt, der Feminisierung von Armut und Arbeitsausbeutung. Im globalen Maßstab zeichnet sich ein hoher Anteil von Frauenarbeit wie Fabrikarbeit in Exporthandelszonen oder häusliche Dienstleistungen dadurch aus, dass in dieser Arbeit Ausbeutung und Gewalt, auch sexuelle Gewalt, untrennbar verbunden sind.

In einer Zeit, in der geschlechtsspezifische Gewalt erneut Gegenstand des politischen Interesses geworden ist, müssen wir unseren politischen Horizont über das Eindämmen und Ablehnen der Gewalt und das Vertrauen auf moralische Empörung hinweg ausdehnen.

Das politische Terrain muss verändert werden

Es ist besonders wichtig, danach zu fragen, wie es dazu gekommen ist, dass diese Ansätze unseren Sinn für politische Alternativen und Möglichkeiten dominieren. Es ist möglich, direkte Appelle an das Strafrechtssystem zurückzuweisen, und dennoch auf geschlechtsspezifische Gewalt so zu reagieren, dass Einzelpersonen zur Verantwortung gezogen und ausgeschlossen werden. Solche Maßnahmen sind notwendig. Sie besitzen aber keine darüber hinausgehenden Effekte auf geschlechtsspezifische Gewalt als solche.

Das Feld geschlechtsspezifischer Gewalt politisch zurückzuerobern, erfordert, den existierenden Rahmen in Frage zu stellen, insbesondere den Fokus auf Kriminalisierung als Lösung. Dabei müssen wir unser Verständnis von geschlechtsspezifischer Gewalt um die Strukturen von Gewalt erweitern, auf die sich das US-amerikanische Kollektiv Incite! bezieht: ökonomische Ausbeutung, rassistische und koloniale Gewalt und staatliche Gewalt. Geschlechtsspezifische Gewalt ist nicht entsetzlich, weil sie einzigartig ist, sondern gerade deshalb, weil sie mit anderen Formen struktureller Gewalt verbunden ist. Unsere Energie und Zeit sollten wir nicht moralischen Konzepten von Gut und Böse widmen, sondern der Analyse sowie der Veränderung des politischen Terrains, auf dem Gewalt stattfindet.

Tanya Serisier lehrt Kriminologie am Londoner Birkbeck College. Sie ist kritisch-feministische Wissenschaftlerin und gelegentlich auch Aktivistin.

Die Langfassung dieses Texts erschien am 9.11.2015 in bamn - an unofficial magazine of plan C (www.weareplanc.org/bamn). Übersetzung und Kürzung: Hannah Schultes

Anmerkungen:

1) Befürworter_innen von Konsenspolitiken machen die Idee stark, dass einvernehmliche sexuelle Handlungen die Zustimmung der Beteiligten erfordern. Siehe auch den Artikel von Gunhild Mewes in ak 616 - und die Replik von Jenny Künkel in ak 617.

2) Unter der zweiten Welle der Frauenbewegung wird meist die starke feministische Mobilisierung ab den 1960er in den USA und in vielen anderen Ländern des Westens verstanden. Sie wird unter anderem mit zivilem Ungehorsam, der Organisierung in Frauengruppen und der Thematisierung von Sexualität, geschlechtsspezifischer Gewalt und Abtreibung in Verbindung gebracht.

3) Damit ist die Wende hin zu mehr Gefängnissen sowie steigende Inhaftierungs- und Verurteilungsraten in den USA und Europa gemeint.

Sexuelle Gewalt und Rassismus

Das Anliegen, sexuelle und physische Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, schwingt derzeit in vielen öffentlichen Debatten mit. Als Thema mobilisiert es allerdings auch politische Interessen, die mit dem Kampf gegen diese Gewalt nichts zu tun haben. Nach den Übergriffen von Köln galt sexuelle Gewalt vielen Medien und Politiker_innen als Problem von Männern aus dem »nordafrikanisch-arabischen Raum«. Auf der Gesetzesebene forcierten Union und SPD diese rassistische Verknüpfung weiter im Zuge der Reform des Sexualstrafrechts nach dem feministischen Grundsatz »Nein heißt Nein«. Die Istanbul Konvention fordert die Staaten auf, sexuelle Handlungen, die ohne Einverständnis erfolgen, unter Strafe zu stellen und nicht mehr von dem Einsatz von Gewalt oder Drohung abhängig zu machen. Deutschland hat die Konvention zwar 2011 unterzeichnet, aber bisher nicht ratifiziert. Feministische Organisationen fordern die Strafrechtsverschärfung daher schon lange. Am 7. Juli 2016 beschloss der Bundestag einstimmig Gesetzesänderungen im Sinne von »Nein heißt Nein« - inklusive seiner »Implementierung« im Ausweisungsrecht. Die Koalitionsfraktionen hatten am 4. Juli 2016 einen diesbezüglichen Änderungsantrag vorgelegt. Eine Verurteilung wegen sexueller Handlungen gegen den erkennbaren Willen ist nun ein eigenständiger Ausweisungsgrund, unabhängig von der Höhe der Strafe. Zusätzlich ist ein weiterer Straftatbestand eingeführt worden, der an die Geschehnisse in der Silvesternacht anknüpft und sexuelle Handlungen aus einer Gruppe heraus unter Strafe stellt. Bereits wer Teil einer solchen Gruppe ist, kann nun bestraft werden.