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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 618 / 16.8.2016

Doppelstrategie gegen rechts

Diskussion Der Aufstieg der AfD ist ein Projekt der bürgerlichen Klassenherrschaft

Von Jörg Nowak

Sebastian Friedrich sprach sich in ak 615 gegen ein Bündnis linker Kräfte mit bürgerlichen Parteien und gegen eine Einheitsfront gegen die AfD aus. Stattdessen müsse ein linkes Bündnis gegen alle Varianten des Neoliberalismus agieren. Julia Meier diagnostizierte dagegen in ak 617 eine Faschismusgefahr und begründete damit, dass eine Einheitsfront gegen die AfD nötig sei, also ein breites Bündnis wie Aufstehen gegen Rassismus, an dem die SPD und die Grünen beteiligt sind.

Ich gehe davon aus, dass die AfD Teil einer faschistischen Bewegung ist und plädiere für beides: ein breites Bündnis gegen Rassismus - und ein Bündnis, das sich explizit gegen Ungleichheit, Sozialabbau und Ausbeutung richtet. Beide sollten aber sinnvollerweise getrennt voneinander agieren, da dies unterschiedliche Kampffronten sind.

Missverständlich ist die Verwendung des Begriffs Einheitsfront durch beide Autor_innen: Was die Autor_innen so nennen, ist keine Einheitsfront, sondern eine Volksfront. Zur Unterscheidung: Die Strategie der Einheitsfront wurde 1922 zum Teil recht erfolgreich auf Initiative Stuttgarter Metallarbeiter durch die KPD angewandt. Sie bestand darin, Forderungen, die die Interessen der ganzen Arbeiterklasse betreffen, durch die KPD aufzuwerfen. Dabei wurde die SPD in die Verlegenheit gebracht, diese öffentlich mitzutragen, um dann aber bei der Durchsetzung zu zögern. Das Ziel dieser Strategie war es, die halbherzige Politik der SPD zu demaskieren, Arbeiter_innen aus allen ideologischen Lagern zu mobilisieren und mehr Arbeiter_innen zur KPD hinüberzuziehen, was auch für eine Weile gelang. Die von Sebastian Friedrich anvisierte Strategie ähnelt daher der Strategie der Einheitsfront: der Einheit der Arbeiterklasse gegen den Reformismus.

Die Volksfrontstrategie dagegen ähnelt der von Julia Meier vorgeschlagenen Strategie eines möglichst breiten Bündnisses gegen den Faschismus. Die KPD hatte von 1928 bis 1936 diese Strategie nicht verfolgt, sondern in einer Offensivstrategie die Sozialdemokratie mit dem Schlagwort »Sozialfaschismus« als Hauptfeind markiert. Erst 1936, als deutlich wurde, dass das Regime des deutschen Faschismus sich dauerhaft etabliert hatte, schwenkte die KPD auf die defensive Volksfrontstrategie um.

Ich halte ein getrenntes Agieren, also sowohl ein linkes Bündnis gegen Neoliberalismus als auch ein bürgerliches Bündnis gegen Rassismus für sinnvoll. Warum? Beide Strategien verfolgen unterschiedliche Ziele und sprechen unterschiedliche Akteure an. Ziel eines linken Bündnisses ist es, die Diskussionsgrundlage zu verschieben und die Fragen nach Armut und Reichtum, Arbeit und Eigentum in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei geht es darum, verschiedene Organisationen und Gruppen ohne Beteiligung von Parteien zusammenzubringen, die eine klare Position gegen Ungleichheit und Ausbeutung beziehen. Diese Position kann zur Herausbildung eines neuen Lagers führen, das dann auch in die Parteien ausstrahlt, muss aber unabhängig von Parteien und deren Koalitionskalkül bleiben. Zu diesen Fragen gibt es klare linke Mehrheiten in der Bevölkerung, die aber im Parteiensystem nicht repräsentiert sind. Daher muss quer zu Parteien gearbeitet werden.

Ziel eines breiten Bündnisses gegen Rassismus ist es, die Spaltungen im konservativen Block zu stärken (dazu gehört die Isolation der AfD) und eine gesellschaftliche Stimmung und Organisation gegen rassistische Übergriffe zu stärken. Hierzu kann auch mit bürgerlichen Kräften und Parteien zusammengearbeitet werden und hierbei können die Willkommensinitiativen eingebunden werden. Das Ziel: die Stärkung von allgemeinen liberalen und humanistischen Werten.

Ein Blick auf die Veränderungen im Parteienspektrum verdeutlicht: Es ist strategisch wichtig, das konservative Lager in einem linken Bündnis ohne die Beteiligung von Parteien ideologisch und politisch anzugreifen. Die AfD spielt eine wichtige Rolle für die Isolation der verbliebenen linken Parteien.

AfD verhindert rot-rot-grüne Perspektiven

Entstehung und Aufstieg der AfD speisen sich aus zwei parallel verlaufenden Prozessen: der schleichenden und schließlich akuten Krise der parteipolitischen Repräsentation der Arbeiterklasse und der Ausdifferenzierung des konservativen Lagers, zu dem inzwischen fünf Parteien gehören: die Grünen, die FDP, die CDU, die CSU und die AfD. Der Unterschied zwischen linkem und rechtem Parteienlager besteht damit darin, dass das linke Lager entscheidend geschwächt und das rechte gestärkt wird: Daher kann man beim konservativem Lager nicht von einem Zerfall sprechen, sondern eher von einer Flexibilisierung, die dessen Optionen und Handlungsmöglichkeiten vermehren. Das linke Lager wird dagegen parteipolitisch wesentlich geschwächt. Die erste Bewegung bestand seit den 1980er Jahren darin, die neue, postmaterialistische Linke durch die Grünen von dem Lager der Arbeiterklasse abzutrennen und schließlich einen großen Teil der progressiv gesinnten Wähler_innen auf bürgerliche Klassenpositionen zu überführen. Schließlich wurde das Progressive der Grünen mit dem Konservativen fusioniert. Damit wurde eine Allianz der progressiven Bourgeoisie mit proletarischen Klassenpositionen blockiert, Schwarz-Grün als Zukunftsmodell steht daher für eine Allianz der progressiven Bourgeoisie mit den bürgerlichen Klassenpositionen.

Das spätere Entstehen der Linkspartei schien das linke Parteienlager zunächst zu stärken, da es eine rechnerische Mehrheit von Grünen-Linkspartei-SPD gab, diese wird aber mit dem Absinken der SPD und dem wahrscheinlichen Neu- bzw. Wiedereintritt von AfD und FDP bei den nächsten Bundestagswahlen dahin sein. Es gelang der AfD, einen Teil der wertkonservativen Arbeiter_innen, die früher SPD, CDU/CSU oder Linkspartei wählten, ins bürgerlich-konservative Lager einzubinden. Damit sind rechnerisch rot-rot-grüne Ambitionen vorerst verbaut. Unter den vielen Funktionen, die die AfD hat, ist diese eine entscheidende.

Das Parteisystem ordnet sich neu

Das Erstarken faschistischer Bewegungen und Parteien, zu denen die AfD auch zu zählen ist, hat sich im Zuge der Flüchtlingskrise über ganz Europa hinweg vollzogen. Auch wenn in einzelnen Ländern faschistische Parteien bereits vor 2015 enorme Erfolge erzielten, ist in zahlreichen Ländern Europas die Zustimmung der Wähler_innen zu diesen Parteien ab Sommer 2015 sprunghaft angestiegen, wie sich an Umfrageergebnissen ablesen lässt. Auch die Krise etablierter Volksparteien ist ein gesamteuropäisches Phänomen, das die Sozialdemokratie stärker betrifft als die konservativen Parteien.

Nun ist aber die Frage, ob der Aufstieg faschistischer Parteien Resultat einer Legitimationskrise der bestehenden Parteien bzw. der bisherigen Eliten ist, oder ob umgekehrt der Aufstieg dieser Parteien Resultat der Umorientierung eines Teils der Eliten ist. Schließlich nützt der Aufstieg der AfD der parteipolitischen Rechten insgesamt: Er ebnet den Weg für Schwarz-Grün auf Bundesebene unter der Voraussetzung, dass die Grünen und die Unionsparteien noch etwas an Unterstützung hinzugewinnen und ihre jeweiligen dem Projekt entgegen arbeitenden Parteiflügel disziplinieren können. Damit wäre auf lange Sicht eine Mehrheit von reformistisch-neoliberalen Parteien der Arbeiterklasse blockiert. Insofern signalisiert die neue Konstellation in Deutschland keine organische Krise des Parteiensystems, wie sie im Ausgang von Weimar kulminierte, sondern eine Neuordnung des Parteiensystems. Diese fragmentiert zwar den bürgerlich-konservativen Pol, verbreitert ihn aber zugleich und ermöglicht ihm, Bevölkerungsteile zu integrieren, die früher auf dem proletarisch-fortschrittlichen Pol verankert waren.

Migration und neue Zusammensetzung der Klassen

Die sich neu abzeichnende Herrschaftskonstellation reflektiert verschärfte Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Arbeit - und den erfolgreichen Versuch, diese durch eine Einbindung von Arbeiter_innen in das nationale Projekt der AfD wieder einzudämmen. Trotz der Streikwelle im Jahr 2015 bei Bahnverkehr, Sozial- und Erziehungsdiensten, Pilot_innen, Lehrer_innen und der Post kam es nicht wirklich zu einer Aufbruchstimmung: Dies lag auch daran, dass die Streiks mit Ausnahme des Bahnverkehrs in Niederlagen endeten. Und es fehlte ein Moment der nachhaltigen Politisierung, da weder die Arbeiter_innen selbst, noch die außerparlamentarische Linke und erst recht nicht die Linkspartei in der Lage waren, den Streiks ein politisches Moment zu verleihen. Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, distanzierte sich auf dem Höhepunkt der Medienhetze gegen den Bahnstreik im November 2014 medienwirksam vom Streik, auch wenn er dies auf Druck seiner Parteikolleg_innen schließlich zurücknehmen musste.

Die Krisen in Afrika, im Nahen Osten und in Westasien sorgen für die Einwanderung von Hunderttausenden, die als preiswerte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen werden. Das sorgt auch bei bereits länger in Deutschland ansässigen Migrant_innen für Angst vor erhöhter Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Die Folgen der sozialen Dauerkrise außerhalb Europas wirken sich damit direkt auf die Bevölkerung in Deutschland aus - das Kapital produziert diese Krisen und ist zugleich dazu in der Lage, von diesen (jedenfalls kurz- und mittelfristig) zu profitieren: sei es durch den Verkauf von Hochtechnologie für Grenzsicherung an die EU durch Sicherheitskonzerne oder durch die Ausbeutung zunächst chancenloser Neuankömmlinge, die auf den europäischen Arbeitsmarkt drängen.

Mit dem Ziel, diese neue Situation zu kontrollieren, rückt ein Teil des Staatsapparates nach rechts und organisiert sich faschistisch: Die Nomenklatura der AfD hat einen sehr hohen Anteil an Staatsanwält_innen, Lehrer_innen und Angehörigen der Bundeswehr. Dabei ist es bezeichnend, dass der ideologische Stichwortgeber des Neofaschismus auf der Ebene der Massenideologie aus der SPD stammt und lange in einer Koalition mit der Linkspartei regierte: Thilo Sarrazin. Dieser steht markant für den Zerfall der Sozialdemokratie als demokratischer Integrationskraft, die Wertkonservatismus, Sozialstaat und liberale sowie multikulturelle Grundwerte zusammenbringen konnte. Mit dem Abschied vom Sozialstaat zerfiel das Gesamtgefüge, dessen Kontinuität die schleichende Krise der Sozialdemokratie lange überdecken konnte. Mit Sarrazins Bucherfolg im Jahr 2010 kündigte sich bereits der Übergang eines Teils der politischen Klasse und der Arbeiterklasse auf national-autoritäre Positionen an. Es geht also beim Aufstieg der AfD im Wesentlichen um eine Umgruppierung und Umorientierung innerhalb der alten Eliten, denen es gelingt, Zustimmung durch einen Teil der Arbeiterklasse zu gewinnen. Die neu-alten Eliten in der AfD entziehen der SPD und der Linkspartei und ebenso der Union erfolgreich Wähler_innen. Alle ideologischen Elemente, die die AfD bedient, hatten bereits vorher Vertreter_innen innerhalb dieser Parteien - und viele ihrer leitenden Funktionär_innen haben eine lange Geschichte innerhalb der Unionsparteien, der FDP oder der Grünen aufzuweisen. Für die verbliebenen Parteien auf dem linken Spektrum - SPD und Linkspartei - bedeutet diese Konstellation die Verdammung in die Opposition und die Isolierung.

Für die politische Dynamik sind bürgerliche Proteste gegen Rassismus und ein Vordringen der faschistischen Bewegung genauso wichtig wie ein linkes Bündnis gegen Ungleichheit und Ausbeutung. Sie spielen unterschiedliche Rollen. Nur mit einem bürgerlichen Bündnis kann der faschistischen Bewegung der Boden jedoch langfristig nicht entzogen werden. Es muss deutlich werden, dass es einen progressiven Pol in der Gesellschaft gibt, der sich gegen Rassismus engagiert, aber dort nicht halt macht und bessere Bedingungen für alle fordert. Je stärker es gelingt, dass Thema Armut/Reichtum und Arbeit/Kapital als vollkommen anderes Thema zu etablieren, desto erfolgloser wird die AfD sein mit ihren Kampagnen gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter, gegen bestimmte Religionen und gegen Einwanderung. Dabei geht es nicht darum, ehemalige AfD-Wähler_innen nach links zu ziehen, wie man dies jetzt missverstehen könnte, sondern darum, die allgemeinen Koordinaten, nach denen Konflikte gedeutet wurden, zu verschieben und den Anspruch auf Protest und Dissidenz mit linken, proletarischen Positionen zurückzugewinnen. Dies wird es auch den Grünen erschweren, die Option Schwarz-Grün auf Dauer zu etablieren. Dazu gehört natürlich auch, dass sich Konflikte entlang dieser Koordinaten entwickeln und dementsprechende Kämpfe unabhängig von möglichen Parteikoalitionen geführt werden.

Jörg Nowak ist Politikwissenschaftler und lebt in Berlin.