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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 618 / 16.8.2016

Der Aufbruch hat begonnen

Aktion Nach der Aktionskonferenz organisiert sich die österreichische Linke neu

Von Barbara Stefan

»Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten« - unter diesem Slogan formiert sich in Österreich eine neue Bewegung: Aufbruch! (ak 616) Sie wendet sich gegen sinkende Reallöhne, steigende Mieten, zunehmende Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeitsbedingungen, Zwei-Klassen-Medizin - die wachsende Ungleichheit. Statt hierauf Antworten zu suchen, wetteifern Parteien und Medien um die rassistischsten Parolen der Ausgrenzung. Während statistisch gesehen Kriminalitätsrate und terroristische Anschläge zurückgehen, vermitteln sie das Gefühl, wir würden mitten in einem gefährlichen Kampfgebiet leben: Nur durch Errichtung einer Hochsicherheitszone könne »unser« Wohlstand gerettet werden, so die Botschaft.

Bestätigt durch die rassistische und autoritäre Politik der Herrschenden, decken sich Teile der Bevölkerung mit Waffen ein, greifen Geflüchtete und Migrant_innen an und organisieren sich in neofaschistischen Gruppen wie den Identitären. Die Menschen bei Aufbruch stellen sich diesen Entwicklungen entgegen. Sie wollen die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen. Die erste Aktionskonferenz Anfang Juni, an der sich mehr als 1.000 Menschen beteiligten, zeigt, dass die Organisator_innen einen Nerv getroffen haben. Seit der Konferenz organisieren sich etwa 700 Menschen in thematischen und regionalen Gruppen. Dort erarbeiten sie Positionen zu Reichtum, Wohnen, Arbeit, Mobilität und Gesundheit, leisten Aufklärungs- und Mobilisierungsarbeit.

Plurale Mitgliedschaft

Die Aktivist_innen kommen aus unterschiedlichen Bereichen der Linken. Mit dabei sind Mitglieder von Gewerkschaften, Arbeiterkammer, NGOs, sozialen Bewegungen; organisierte Migrant_innen, antifaschistische und linksautonome Gruppen, Menschen aus Parteien wie etwa dem linken Flügel der Grünen und der SPÖ, der KPÖ. Die Mehrheit der Aktiven gehörte bisher keiner politischen Gruppe an. Offenbar gelingt es Aufbruch, aus den engen Kreisen der organisierten Linken auszubrechen.

Damit treffen in den Gruppen aber auch viele unterschiedliche Positionen aufeinander. In der Diskussion sind Arbeitszeitverkürzung, Vollbeschäftigung, bedingungsloses Grundeinkommen und Modelle, die über all diese Vorschläge hinausgehen. Ähnlich verhält es sich bei anderen Themen, wo diverse und auch konträre Positionen nebeneinander stehen.

Im Raum steht auch die Frage eines linken Wahlprojekts, mit der man sich im kommenden Jahr auseinandersetzen will. Dann wird zu klären sein, ob dies eine sinnvolle Strategie gegen eine sich verschärfende neoliberale und rechtskonservative Politik und zur Durchsetzung der eigenen Forderungen ist. Selbst wenn sich Aufbruch zu einem späteren Zeitpunkt entscheidet, bei Wahlen anzutreten, ist ihr Erfolg von einer breiten Bewegung abhängig.

In den nächsten Monaten wird es nun darum gehen, alternative und inklusive Positionen zur rechten Politik der Ausgrenzung zu erarbeiten. Dafür muss Aufbruch mit verschiedenen Menschen ins Gespräch kommen und sich inhaltlich weiterentwickeln. Den rechten und rassistischen Argumenten einer politischen Elite - wir könnten uns als Gesellschaft »die Geflüchteten«, die Pensionen oder die Mindestsicherung nicht mehr leisten - hält Aufbruch den Slogan entgegen: »Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten«.

Es ist nicht nur ein Gebot sozialer Verantwortung und Mitmenschlichkeit, sondern auch aus ökonomischer Perspektive klar, dass die Gesellschaft es sich locker leisten kann, Menschen in Not, Armut und im Alter zu unterstützen. Dafür müssen aber Vermögen angegriffen werden, die sich durch rechtlich festgelegte Mechanismen der Umverteilung in Form von Konsum, Finanz-, Budget-, Steuer- und Sozialpolitik in den Händen weniger konzentriert haben. Erbschafts- und Reichensteuer auf hohe Vermögen sind die ersten notwendigen Schritte. Langfristig muss es aber auch darum gehen, eine sozial gerechte, ökologisch nachhaltige Produktions- und Lebensweise einzuführen, die den Kapitalismus ablöst.

Zwei Drittel weiße Männer

Die größte Herausforderung, vor der Aufbruch momentan steht, ist es, die Realität der Gesellschaft abzubilden. Die Tatsache, dass die Aktivist_innen sich derzeit zu etwa zwei Dritteln aus Männern zusammensetzen und nur zu einem verschwindend geringen Anteil aus migrantischen Kontexten kommen, muss auch als Aufruf gelesen werden, Interessen von Frauen und Migrant_innen stärker ins Zentrum zu rücken. Denn, wie Rubia Salgado auf der Aufbruch-Aktionskonferenz feststellte: Es ist klar, dass es kein gutes Leben geben kann, solange Frauen mit Kopftuch auf der Straße bespuckt werden; solange Menschen, die ein besseres Leben suchen, im Mittelmeer ertrinken; solange Menschen in Lagern zusammengepfercht werden und solange Menschen egal aufgrund welcher Kriterien - ob Hautfarbe, Kultur oder sexueller Orientierung - ausgegrenzt und diskriminiert werden.

Die Herausforderungen des täglichen Lebens - und dazu gehören Diskriminierung, Rassismus und Sexismus - müssen adäquate Beachtung finden und dürfen anderen »allgemeinen« Themen nicht untergeordnet werden. Sie müssen in allen Treffen und Arbeitsgruppen zentral mitgedacht werden, sind sie doch konstituierendes Element der aktuellen Politik und Gesellschaft. Erst eine solche inhaltliche Öffnung wird mehr Frauen und Migrant_innen zu Aufbruch bringen und damit plurale feministische und antirassistische Kapitalismuskritik ermöglichen - und viele weitere Akteur_innen motivieren, sich für das neue plurale linke Projekt zu engagieren.

Barbara Stefan arbeitet am Institut für Politikwissenschaft in Wien. Seit 2011 ist sie bei attac aktiv und seit April 2016 bei Aufbruch, aufbruch.or.at.