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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 618 / 16.8.2016

Kein Sommer der Anarchie

International Was ist aus den »rebellischen Städten« in Spanien geworden?

Vom Malaboca Kollektiv

Über ein Jahr nachdem munizipalistische Wahlbündnisse die Rathäuser zahlreicher Städte Spaniens übernommen haben, sind kaum Erfolge sichtbar. Stattdessen deuten sich Tendenzen der Anpassung an die Anforderungen institutioneller Machtpolitik und wachsende Konflikte mit der eigenen Basis in den sozialen Bewegungen an. Vom angekündigten neuen Politikstil ist zumindest auf den ersten Blick wenig zu erkennen. Grund genug, genauer hinzuschauen.

In ak 617 schilderte Naemi Gerloff die aktuelle Auseinandersetzung zwischen der Stadtregierung und den Straßenhändler_innen in Barcelona. Bürgermeisterin Ada Colau, selbst ehemalige Aktivistin der Plattform gegen Zwangsräumungen (PAH), habe durch ihr Verhalten »nicht nur das Vertrauen von Straßenhändler_innen, sondern auch das vieler Anhänger_innen der sozialen Bewegungen in der Stadt verloren«, so das Fazit von Gerloff. Wir richten nun den Blick auf die spanische Hauptstadt und das dort regierende Wahlbündnis Ahora Madrid. Damit schließen wir an Teil 1 dieses Artikels (erschienen in ak 616) an, in dem wir den kommunalistischen Ansatz von Murray Bookchin vorgestellt haben.

Kommunalismus zwischen Schein und Sein

Der Einzug der munizipalistischen Wahlbündnisse in die Rathäuser Spaniens im Mai 2015 kam für viele Beobachter_innen überraschend. Ihr Erfolg gründet in offenen Bürgerplattformen, sogenannten confluencias populares. Nachdem die erste dieser Plattformen Mitte 2014 unter dem Namen »Guanyem« (Katalanisch für »Wir gewinnen«) in Barcelona entstanden war, verbreiteten sie sich unter dem Namen »Ganemos« (Spanisch für »Wir gewinnen«) rasch in ganz Spanien. An ihnen beteiligten sich in erster Linie die nach den Platzbesetzungen im Jahr 2011 erstarkten sozialen Bewegungen und selbstorganisierten Projekte. Vom Einzug in kommunale Institutionen erhofften sie sich eine Stärkung ihrer Position sowie zusätzliche Ressourcen und eine Demokratisierung kommunaler Entscheidungen.

Neben konkreten Forderungen nach sozialen Reformen, wie dem universellen Zugang zu Wohnen, Bildung und dem Gesundheitswesen oder dem Stopp von Zwangsräumungen, setzt Guanyem - anders als Podemos - nicht auf Repräsentation, sondern auf Basisdemokratie. Ziel ist eine grundsätzliche Demokratisierung der Politik. Im Manifest von Guanyem heißt es dazu: »Wir wollen eine echte ... Demokratie, die unsere Vertreter_innen dazu zwingt, gehorchend zu regieren. Eine Demokratie, in der Gemeinderatsmitglieder jedes Bezirks dezentral und direkt gewählt werden, mit sozialen Budgetkontrollen und zivilgesellschaftlichen Initiativen und bindenden Abstimmungen, die zu geteilter und legitimer Entscheidungsfindung beitragen.«

Der von Guanyem formulierte Anspruch erinnert stark an die Vision einer »kommunalistischen« Transformation der Gesellschaft, wie sie Murray Bookchin entworfen hat. Dieser sieht in der Errichtung einer kommunalen Selbstverwaltung ein Gegenmittel zum hierarchischen und bürokratischen Nationalstaat. Die Übernahme einer kommunalen Regierung ist für Bookchin ein notwendiger Schritt, keineswegs alleiniges Ziel. Die Besetzung von Schlüsselpositionen diene einzig dem Zweck, diese Institutionen durch basisdemokratische zu ersetzen. Damit dies gelingen könne, seien drei Sachen besonders wichtig: 1. müsse die Bewegung dafür sorgen, dass die kommunale Regierung ihre Macht dezentralisiert und demokratischer Kontrolle unterwirft (Verteilung der Macht an Stadtteilversammlungen); 2. müsse die kommunale Regierung der Bewegungsbasis Ressourcen zur Verfügung stellen, die diese benutzen kann, um die eigenen Strukturen zu stärken (Geld, Räume, Humanpower etc.); und 3. sei es entscheidend, dass eine munizipalistische Regierung neue Formen der kollektiven politischen Auseinandersetzung etabliere. Politische Entscheidungen dürften nicht wie Verwaltungsakte behandelt werden, sondern müssten als kollektive Bildungsprozesse konzipiert sein. Damit eine kommunale Regierung überhaupt dazu in der Lage sei, so zu handeln, bedürfe es einer starken Bewegung, die kontinuierlich Druck ausübt.

Mit Ahora Madrid sitzen seit Mitte 2015 auch Bewegungsaktivist_innen im Rathaus, etwa von der PAH. Anders als bei Ganemos handelt es sich bei Ahora Madrid allerdings nicht um einen Zusammenschluss von Bewegungsaktivist_innen. So stehen wichtige Teile wie die spanische Linkspartei IU, Podemos und Bürgermeisterin Manuela Carmena eher für einen institutionellen Weg als für Protest auf der Straße und Selbstorganisierung. Dies dürfte ein nicht unwesentlicher Grund dafür sein, dass die Liste der Erfolge von Ahora Madrid auch über ein Jahr nach Regierungsantritt kurz ist. (1) Die wohl bedeutendste Maßnahme der Regierung ist eine Reform der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Die Kommunalisierung der Stadtreinigung ist gescheitert

Diese Reform ist eine direkte Folge des Drucks aus den sozialen Bewegungen. Diese hatten Ahora Madrid vor der Kommunalwahl 2015 darauf verpflichtet, die (Re-)Kommunalisierung der Stadtreinigung in ihr Programm aufzunehmen, nachdem sie vor rund 15 Jahren im Zuge neoliberaler Privatisierungsprogramme outgesourct worden war. Für die Stadtreinigung zahlte Madrid seitdem mehrere Milliarden Euro an ein Konsortium der größten spanischen Bau- und Dienstleistungsunternehmen. (2)

Mit der Reform hat Ahora Madrid eine der größten rechtlichen Hürden für eine Vergabe der Stadtreinigung an einen kommunalen Dienstleister aus dem Weg geräumt. Neben dem Preis sind nun Kriterien wie gute Arbeitsbedingungen und Umweltstandards entscheidend dafür, wer den Zuschlag erhält. Dass sich die Stadtregierung Anfang April dennoch im Alleingang gegen eine Kommunalisierung der Stadtreinigung entschied, war für viele Basisaktivist_innen ein Schock. Statt den Auftrag an eine kommunale oder sogar demokratisch kontrollierte Struktur zu vergeben, erhielt das gleiche Konsortium den Zuschlag im Wert von 1,1 Milliarden Euro für weitere vier Jahre. Zur Begründung für ihr Handeln berief sich die Bürgermeisterin auf ein nationales Gesetz, das es der Stadt Madrid verbiete, neue öffentliche Unternehmen zu gründen. Die von Ganemos und Gewerkschaften vorgeschlagenen alternativen Wege zur Kommunalisierung der Stadtreinigung wurden von ihr schnell verworfen.

An der Auseinandersetzung um die Stadtreinigung werden exemplarisch verschiedene Probleme von Ahora Madrid deutlich: Zum einen verfolgen Teile des Wahlbündnisses Ziele, die kaum mit dem munizipalistischen Anspruch vereinbar sind. Der bewegungsferne Flügel, allen voran Podemos, ist aus Rücksicht auf die nationalen Wahlen kaum bereit, Konflikte einzugehen. Allein die Möglichkeit, dass die Gründung eines kommunalen Reinigungsunternehmens zu einem Rechtsstreit mit nationalstaatlichen Institutionen hätte führen können, reichte als Grund, um das Vorhaben gegen den Widerstand in den eigenen Reihen einzustellen. Ein weiteres Problem ist die fehlende öffentliche Politisierung von kommunalen Entscheidungen. So wurde an der Basis zwar rege über die Kommunalisierung der Stadtreinigung diskutiert, ein Versuch, aus der Verwaltungslogik auszubrechen, wurde jedoch auch vonseiten der Basisaktivist_innen nicht unternommen.

Ein weiterer Punkt, an dem sich die problematische Entwicklung von Ahora Madrid zeigt, ist die Auseinandersetzung um die eng mit der 15M-Bewegung verbundenen sozialen Zentren und selbstorganisierten Räume. Dass Teile von Ahora Madrid kein allzu großes Interesse an einer Stärkung von selbstverwalteten Strukturen haben, zeigt sich am Konflikt um den Nachbarschaftsgarten Solar Maravillas im Innenstadtviertel Malasana. Die 2010 von Aktivist_innen des sozialen Zentrums Patio Maravillas besetzte Brachfläche wurde als Garten und Bar einer öffentlichen Nutzung in kollektiver Verwaltung zugeführt. Nun soll auf dem Gelände ein neues Gesundheitszentrum errichtet werden. Die Entscheidung dazu wurde zwar von der konservativen Vorgängerregierung getroffen, doch wird die Umsetzung von Podemos, städtischen Beamten, die von Manuela Carmena eingesetzt wurden, sowie der PSOE vorangetrieben. Auf den Versuch, die Gesundheitsversorgung gegen einen sozialen Raum auszuspielen, antworteten die Aktivist_innen: »Wenn wir zwischen Solar Maravillas und dem Gesundheitszentrum wählen müssen, dann wählen wir beides!«

Diese Beispiel zeigen, dass die in Ganemos zusammengeschlossenen munizipalistischen Teile von Ahora Madrid mit dem Versuch, eine kommunalistische Transformation über die Beteiligung an der Stadtregierung durchzusetzen, derzeit scheitern. Abgesehen von wenigen progressiven Reformschritten, hält der dominante Flügel von Ahora Madrid an alten Formen und Inhalten städtischer Politik fest. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Kriterien anlegt, die Murray Bookchin für eine Übernahme der kommunalen Regierung durch eine munizipalistische Bewegung formuliert hat. Von der angekündigten Dezentralisierung der Macht des Rathauses in Stadtteilversammlungen ist ebenso wenig zu sehen, wie von ihrer demokratischen Kontrolle. Statt »gehorchend zu regieren« haben sich die Zirkel um Bürgermeisterin Manuela Carmena den bestehenden Institutionen angenähert.

Kein Raum für Selbstorganisation

Auch eine Umverteilung der Ressourcen zugunsten der Bewegungsbasis können wir nicht beobachten. Statt soziale Zentren mit Räumen oder finanziellen Mitteln zu versorgen, setzt die Stadtregierung die Entscheidungen der Vorgängerregierung gegen diese um. Zwei Folgen der Regierungszeit von Ahora Madrid sind hingegen deutlich sichtbar: die Absorption von Basisaktivist_innen durch die Strukturen von Ahora Madrid und der Rückzug der Bewegungen von den Straßen der Hauptstadt.

Nicht nur die bewegungsfernen Teile von Ahora Madrid, auch viele Basisaktivist_innen scheinen angesichts ihrer engen Verbindungen zu Ganemos vor jedem öffentlichen Konflikt zurückzuscheuen. Andererseits gibt es auch Beispiele wie Solar Maravillas, wo sich Basisaktivist_innen selbstbewusst gegen den grassierenden »managerismo« bei Ahora Madrid zur Wehr setzen. Neue Besetzungsversuche aus dem Umfeld des im April 2016 geräumten sozialen Zentrums »La Morada« (ak 613) zeigen außerdem, dass Teile der sozialen Bewegungen nicht mehr auf Veränderungen aus dem Rathaus warten: Wir wünschen ihnen viel Erfolg!

Das Malaboca Kollektiv besteht aus Aktivist_innen verschiedener sozialer Bewegungen. Im ersten Teil des Artikels skizzierten sie, welche Anknüpfungspunkte der kommunalistische Ansatz von Bookchin für lokale emanzipatorische Bewegungen bietet. (ak 616)

Anmerkungen:

1) So wurde etwa die kommunale Polizei angewiesen, die nationale Polizei nicht mehr bei Zwangsräumungen zu unterstützen. Außerdem wurde ein Audit der städtischen Schulden eingeleitet und die Transparenz von Regierungs- und Verwaltungsprozessen gefördert.

2) Beteiligt sind die Unternehmen Sacyr, ACS, FCC, Ferrovial und Urbaser.