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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 619 / 20.9.2016

Ein langer Weg

Deutschland Vor 36 Jahren wurden Nguyen Ngoc Chau und Do Anh Lan durch einen rassistischen Brandanschlag in Hamburg ermordet

Von Maike Zimmermann

Vor einem eher unscheinbaren Hotel im Hamburger Stadtteil Billbrook steht an diesem Nachmittag eine Gedenktafel. Davor ist ein kleiner Altar aufgebaut mit Kerzen und Räucherstäbchen, mit Speisen und Getränken. Auf der Tafel sind der 22-jährige Nguyen Ngoc Chau und der 18-jährige Do Anh Lan zu sehen, darunter wird auf Deutsch und Vietnamesisch berichtet, was sich hier in der Halskestraße 72 vor 36 Jahren ereignet hat.

Damals im August 1980 lebten in dem heutigen Hotel Amedia 240 Menschen, die meisten von ihnen waren sogenannte Boat People aus Vietnam. Am 21. August schrieb das Hamburger Abendblatt, dass die Stadt »mit 9.000 Asylbewerbern überlastet« sei, von denen 1.500 »inzwischen auf Staatskosten in Hotels und Pensionen Quartier« bezogen hätten. In diesem Zusammenhang ausdrücklich erwähnt: die Unterkunft in der Halskestraße.

In der darauffolgenden Nacht warfen Neonazis von den Deutschen Aktionsgruppen Molotowcocktails in ein Fenster der Unterkunft. Drinnen schliefen Nguyen Ngoc Chau und Do Anh Lan. Chau starb nur wenigen Stunden nach dem Feuer, Lân erlag einige Tage später seinen schweren Verbrennungen.

Rund 80 Menschen sind am 27. August nach Billbrook gekommen, in diesen unwirtlichen Stadtteil im Osten Hamburgs, ein Industriegebiet zwischen dem Kraftwerk Tiefstack und IKEA Moorfleet. Einige haben Blumen dabei, viele suchen nach und nach Schutz vor der prallen Sonne im Schatten des Hotels.

Sie sind hier, weil sonst nichts und niemand in dieser Stadt öffentlich an den rassistischen Mord an Nguyen Ngoc Chau und Do Anh Lan erinnert. Es ist ein langer Weg, die erste Gedenkkundgebung gab es im Jahr 2014. (ak 597) Seitdem setzt sich die Initiative für ein Gedenken an Nguyen Ngoc Chau und Do Anh Lan ein, um die Erinnerung in das Gedächtnis der Stadt zurückzuholen. Denn damals war die öffentliche Anteilnahme kurz nach dem Tod der beiden Vietnamesen einen Moment lang groß. Doch gegenüber den Bewohnern der Unterkunft war die Anteilnahme schon damals eher gering.

Keinerlei psychologische Unterstützung

Tung Le, ein damaliger Mitbewohner von Nguyen Ngoc Chau und Do Anh Lan erinnert sich, dass es nach dem Brand keinerlei psychologische Unterstützung gab. Auch eine richtige Aufklärung habe es nicht gegeben. Die Täter_innen wurden damals zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, denn dem Brandanschlag in der Halskestraße war eine ganze Reihe von Anschlägen der Deutschen Aktionsgruppen um Manfred Roeder vorausgegangen. Über die Hintergründe der Tat wurden die Bewohner der Halskestraße jedoch nicht informiert. »Viel später, bestimmt fünf oder sechs Jahre später habe ich über den vietnamesischen Flüchtlingsverein erfahren, dass die Täter geschnappt wurden«, berichtet Tung Le den Teilnehmer_innen der Kundgebung. Er ist heute mit einem Freund hier, der auch damals in der Unterkunft lebte. Le deutet auf das Hotel, dort wo sich im ersten Stock nach vorne gelegen sein Zimmer befand. Und er zeigt auch in Richtung des Zimmers von Nguyen Ngoc Chau und Do Anh Lan, im Erdgeschoss auf der Rückseite des Gebäudes.

Le erinnert sich an den Feueralarm, wie er runtergelaufen ist, sich einen Feuerlöscher geschnappt hat, wie er wegen des Rauchs nicht nach hinten durchkam, wie er einen Mann gesehen hat, den er dann zusammen mit einem weiteren Bewohner nach vorne getragen hat. Ob es Châu oder Lân war, weiß er nicht, zu sehr war das Gesicht von dem Feuer entstellt. Doch an diese Bilder wird er sich sein Leben lang erinnern.

Sein Freund steht an diesem Nachmittag zunächst noch hinter ihm, doch während Tung Les Berichts, verlässt er die Kundgebung für einen Moment und geht hinter das Haus. Viele würden versuchen, fährt Le fort, die Ereignisse von damals zu verdrängen, weil die Erinnerung auch heute noch zu schmerzlich ist. »Vielleicht sollte ich meinen Leuten empfehlen, sich darüber auszusprechen und sich zu zeigen.« Heute sind nur wenige von denen gekommen, die damals hier gelebt haben. Und doch sind es deutlich mehr als in den Vorjahren. Auch das ist ein langer Weg.

Eine Frage des politischen Willens

Die Initiative für ein Gedenken an Nguyen Ngoc Chau und Do Anh Lan setzt sich unter anderem dafür ein, dass die Halskestraße nach diesen beiden Opfern rassistischer Gewalt umbenannt wird. Es ist ein Anliegen, das sie mit vielen anderen Opfern rassistischer Gewalt und deren Angehörigen teilt. Und in den allermeisten Fällen ist es ein langer, zäher Kampf mit den Behörden. Auf der Kundgebung zitiert ein Mitglied der Initiative ein Schreiben des Kulturamtes:

»Eine Umbenennung ist nur zur Beseitigung von Unklarheiten (zum Beispiel Verwechselungen, Änderungen des Wegeverlaufs) zulässig.« Solche Unklarheiten lägen bei der Halskestraße nicht vor. Sie sei bereits durch eine Umbenennung vom 16. November 1948 entstanden; vorher hieß sie Kruppstraße. Sie erinnert an den Ingenieur Johann Georg Halske, der 1847 mit Werner von Siemens die Firma Siemens und Halske gründete. Damit gehöre der Name zu den stadthistorischen Straßennamen. Ein Umbenennungsantrag würde daher abgelehnt werden.

Das, so berichtet der Redner, war jedoch noch nicht alles. »Die Schuhe ausgezogen hat uns der fast beiläufig hinterhergeschluderte Nachsatz: Im Übrigen sollen Namen von Verkehrsflächen nach Vorgaben des Senats möglichst kurz, einprägsam, wohlklingend und für den mündlichen und schriftlichen Gebrauch unmissverständlich sein. Benennungen in fremder Sprache sind unzulässig, wenn die Schreibweise zu falscher Aussprache führen kann.« Nur diejenigen sollen also im Gedächtnis der Stadt über eine Straßenbenennung eingeschrieben werden, die einen möglichst »einfachen« - oder: deutschen - Namen haben. »Eine Benennung in Gedenken an einen rassistischen Mord ist damit praktisch ausgeschlossen«, stellt der Redner fest. »Ebenso die Würdigung von Menschen, die sich um die Stadt Hamburg verdient gemacht haben, aber eben keinen lupenreinen biodeutschen Stammbaum haben und daher nicht Helmut Schmidt heißen.«

Die Frage, ob die Halskestraße nach Nguyen Ngoc Chau und Do Anh Lan benannt wird, sei eben keine Frage von kurzen oder gut aussprechbaren Namen - es ist eine Frage des politischen Willens.

Rassistische Morde sind in der Bundesrepublik keine Einzelfälle, rassistische Gewalt findet seit Jahrzehnten kontinuierlich statt. Es ist wichtig, immer wieder auf diese Kontinuitäten und Zusammenhänge hinzuweisen. Auf der Kundgebung sprechen auch Vertreter_innen des Arbeitskreises Hamburg Postkolonial, der Burak Bektas Initiative aus Berlin, des Bündnisses gegen Rassismus aus Berlin sowie Ibrahim Arslan, Überlebender des rassistischen Brandanschlags in Mölln 1992. »Unser größter Wunsch ist es«, sagt Ibrahim Arslan, »die Überlebenden aufzufordern zu sprechen und ihre Geschichten mit uns zu teilen«.

Am Ende der Kundgebung singen Angehörige von Nguyen Ngoc Chau und Do Anh Lan ein buddhistisches Gebet. Eine Vietnamesin verteilt Räucherstäbchen, die Initiative gibt Blumen an die Kundgebungsteilnehmer_innen. Die Gedenktafel wird ebenso wie die Blumen und die Räucherstäbchen nicht lange hier bleiben. Das Hotel möchte kein dauerhaftes Zeichen des Gedenkens vor der Haustür. Doch was hat der Redner von der Initiative vorhin gesagt? »Davon, dass wir hier die Schaffung eines Gedenkortes erreichen werden, dass hier über kurz oder lang eine Gedenktafel stehen wird, davon sind wir überzeugt.«