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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 619 / 20.9.2016

»Klar haben wir uns gewehrt!«

Rechte Interview mit Samuel Nkumi, der die rassistische Gewalt in Hoyerswerda vor 25 Jahren überlebte

Interview: Sebastian Dörfler und Julia Fritzsche

Er war einer derjenigen, dem die Angriffe im September 1991 galten: Samuel Nkumi. Der heute 54-Jährige kam 1983 von Mosambik in die DDR und 1985 nach Hoyerswerda. Heute lebt er mit seiner Familie in Berlin. Sebastian Dörfler und Julia Fritzsche sprachen mit ihm über seine Erinnerungen an Hoyerswerda.

Woran denken Sie, wenn Sie den Namen Hoyerswerda hören?

Samuel Nkumi: An einen Friedhof.

Warum das?

Ich war vor zwei Jahren noch einmal da, um mir nach all den Jahren ein Bild von der Stadt zu machen. Ich stand am Einkaufszentrum und schaute in Richtung unseres Wohnheims. Doch das war nicht mehr da. Es war unheimlich, wie auf einem Friedhof. Nach einer halben Stunde wollte ich wieder zurück nach Berlin.

Weil Sie sich unsicher fühlten?

Naja, es war eher so, als hätte man meine Geschichte einfach ausradiert. Es wäre schön, wenn das Haus heute noch da wäre, um den Leuten zu zeigen, was damals passierte. Ich habe das ja erlebt - die Angst und die Träume, die damals zerstört wurden. Ich wollte hier eine Ausbildung machen und studieren - all das war nicht mehr möglich. Das war wie eine unterbrochene Zukunft damals.

Wie haben Sie sich das Leben in der DDR vorgestellt?

Die Regierung hatte Leute gesucht, die im Ausland studieren und arbeiten wollten. Wir haben Bilder gesehen von Mosambikanern, die schon seit 1979 in der DDR lebten, das sah alles sehr freundlich und gesellig aus. Das mache ich, dachte ich, flog für eine Ausbildung zum KfZ-Mechaniker in die DDR und kam dann nach Hoyerswerda.

Wie war es, als Sie ankamen?

Sehr widersprüchlich. Wir mussten uns immer in großen Gruppen mit Betreuer durch die Stadt bewegen, auch beim Einkaufen. Wir dachten, das war, weil wir die Sprache nicht kannten. Nach und nach haben wir dann gemerkt, wo die Probleme liegen: Bei uns im Betrieb haben zum Beispiel viele Leute gearbeitet, die eine Nazi-Vergangenheit hatten oder aus dem Gefängnis kamen und dann in den Tagebau geschickt wurden. Es gab auch gelegentlich Streit, Prügeleien, Gaststättenverbote.

Haben Sie das auch erlebt?

Zwei Mal. Einmal kam ich mit einem Kollegen gegen 22 Uhr von der Arbeit, und wir wollten noch etwas essen. Er war auf Toilette, ich saß alleine an einem Tisch und habe eine Cola bestellt. Nebenan saßen vier Leute. Als die Kellnerin die Cola gebracht hat, hat sie einer von denen umgekippt und gesagt, ich soll verschwinden, das sei ein Stammtisch. Ich habe noch eine Cola bestellt. Auch die hat er vom Tisch gefegt. Wir haben dann die Kellnerin gefragt, ob das wirklich ein Stammtisch war. Nein, sagte sie, aber ihr solltet besser gehen. Draußen haben uns zwei von ihnen verfolgt und angegriffen. Wir konnten uns wehren. Friedlich war Hoyerswerda schon zu DDR-Zeiten nicht. Aber man konnten dort leben. Bis zum September 1991. Diese Bilder, diese Tage gehen aus meinem Kopf nicht mehr raus.

Was haben Sie am 17. September gemacht?

Ich weiß es noch genau, das war kurz bevor meine Ausbildung vorbei war. Ich hatte Spätschicht im Betrieb, und die Leute haben schon gesagt, ich solle nicht zurück ins Wohnheim gehen, da sei Krawall. Aber wo hätte ich mich sonst verstecken sollen? Ich wollte dorthin, wo meine Landsleute waren. Ich hatte mir nach der Wende einen Skoda 100 gekauft, mit dem bin ich langsam vor das Wohnheim gefahren, hatte meine Arbeitskleidung und Helm an. Es war total voll, die Leute haben »Ausländer raus!« gebrüllt. Als sie gemerkt haben, dass ich ein Schwarzer bin, haben sie sofort mein Auto angegriffen und Steine geworfen. Ich bin langsam durch die Menge gefahren bis zum Eingang vom Wohnheim - und mit aller Kraft rein in die Tür. Mein Auto haben die innerhalb von Sekunden total demoliert, da war nichts mehr übrig. Ich bin dann nach oben gerannt, in den unteren Etagen war schon niemand mehr, damit sie die Steine nicht mehr treffen. Einige waren verletzt. Wir haben versucht, die Zugänge zu versperren. Dann kamen sie von oben über das Dach - wir waren eingeschlossen. Dann kam endlich die Polizei.

Am nächsten Tag ging es wieder von vorne los. Haben Sie sich gewehrt?

Na klar haben wir uns gewehrt. Jeder hat sich etwas gesucht, um sich zu verteidigen. Wir wurden ja auch in den nächsten Tagen mit Bussen abgeholt und zur Arbeit gefahren. Da habe ich in der Werkstatt Kugeln von den Kugellagern mitgenommen. Wenn die Steine geworfen haben, haben wir zurückgeworfen - sonst wären wir ja leichte Beute gewesen.

Was waren das für Leute vor Ihrem Wohnheim?

Da waren auch Leute dabei, die unsere Freunde waren, die wir kannten und gebrüllt haben: »Ihr nehmt uns die Frauen weg, ihr nehmt uns die Arbeit weg!« Aber auch viele von außerhalb. Es war ein gut organisierter ausländerfeindlicher Krawall, den wir nicht erwartet haben. Und sie haben erreicht, was sie wollten: Von uns ist niemand in Hoyerswerda geblieben.

Trotzdem sind Sie wieder zurück nach Deutschland?

Zunächst nicht. Ich konnte zwar noch in Magdeburg meine Ausbildung beenden. Aber dann sind wir alle nach Mosambik abgeschoben worden. Ich hatte mir ein paar Schweißgeräte mitgenommen und wollte dort eine Werkstatt aufmachen. Aber da war Bürgerkrieg, und nach drei Wochen wurde das Haus mit all meinen Sachen abgebrannt. Ich hatte nichts mehr. Also bin ich über Umwege wieder nach Deutschland, fand Arbeit in dem Betrieb in Magdeburg und konnte hier bleiben.

Denken Sie heute viel an die Zeit?

Ja. Egal, wie wir Ausländer hier in Deutschland aufgenommen werden, wir sind immer noch in Gefahr.

Das Pogrom in Hoyerswerda 1991

Vom 17. bis 23. September 1991 griffen Neonazis gemeinsam mit Bürger_innen die Wohnheime von DDR-Vertragsarbeiter_innen und Geflüchteten in Hoyerswerda an. Bis zu 500 Menschen beteiligten sich an dem rassistischen Pogrom, warfen Steine, Flaschen und Molotowcocktails, applaudierten den Angreifer_innen und riefen rechte Parolen. Die Polizei sah sich nicht in der Lage, die Angegriffenen ausreichend zu schützen, so dass die Bewohner_innen der Unterkünfte schließlich aus der Stadt evakuiert wurden. Bis zu 1.000 Schaulustige verfolgten und bejubelten den Abtransport. Bundesweit berichteten zahlreiche Medien über die tagelangen Attacken. Nur vereinzelt gab es Versuche, die Angegriffenen zu unterstützen. Auf die Biografien vieler der von dem rassistischen Pogrom Betroffenen hatten die damaligen Geschehnisse dramatische Auswirkungen. Weitere Informationen unter hoyerswerda-1991.de.