Highway to Hillary
USA Sanders-Anhängerinnen haben von Anfang an erkannt, dass Clinton nicht die Interessen von Frauen vertritt
Von Hanna Lichtenberger
»Ich kann nicht glauben, dass wir gerade der gläsernen Decke ihren bisher größten Sprung zugefügt haben«, feierte Clinton selbst ihre gewonnene Nominierung am demokratischen Parteitag in Philadelphia im Juli 2016. Zahlreiche Prominente feierten mit ihr, etwa die Schauspielerin Jamie Lee Curtis, die uns auf YouTube wissen ließ, sie wolle eine Präsidentin, die Entscheidungen in ihrem Interesse treffe, »basierend auf ihrer Erfahrung, ihrer Führung, ihrer Intelligenz und mit ihrem großen warmen, umarmenden, weiblichen Herz«. Liberale Feministinnen rund um den Globus sind höchst erfreut. Lange war die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel die einzige Frau auf den Gruppenbildern von G7 und Co. Mit Theresa May und Hillary Clinton gibt es nun vielleicht bald doppelte Verstärkung. Und tatsächlich - sollte Hillary Clinton die Präsidentschaftswahlen im November gegen Donald Trump gewinnen, wäre sie die erste Frau im Oval Office. Sie ist die erste Frau, die von einer der beiden großen Parteien als Präsidentschaftskandidatin nominiert wurde. Selbst das Wall Street Journal frohlockte, ein »Meilenstein im Kampf für Gleichheit im Nachkriegs-Amerika« sei erreicht worden.
Dass Clintons möglicher Sieg ein »historischer« wäre, spielte vor allem im parteiinternen Kampf gegen Bernie Sanders eine große Rolle. Clinton kämpfte immer wieder damit, dass sie vor allem bei jungen Wähler_innen nicht punkten konnte. Verantwortlich machte sie dafür aber nicht ihre eigene Politik, sondern die »Uninformiertheit« der Sanders-Unterstützer_innen. Besonders gegen seine Unterstützerinnen wurde mobil gemacht.
»Erste Wahl« für Frauen?
Immer wieder versuchte Clinton, sich während der parteiinternen Vorwahlen als einzig legitime Wahl für Frauen darzustellen. Dabei eilten ihr wichtige Frauen aus der demokratischen Partei zur Hilfe, um dieses Argument zu untermauern. Die Vorsitzende des Democratic National Committee, Debbi Wasserman-Shulz, ließ den jungen Frauen ausrichten, sie seien »selbstgefällig«, wenn sie Clinton nicht unterstützen wollten. Die Medien nahmen ihren Kommentar dankbar auf und in den sozialen Medien verbreitete sich diese Position rasend schnell. Höhepunkt der Unterstellungen gegen Sanders-Unterstützerinnen bildeten aber die Angriffe von Gloria Steinem und der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright im Februar. Albright unterstellte den jungen Frauen in der Kampagne des Senators Sanders, sie verstünden nicht, dass der Kampf um die Gleichheit der Geschlechter noch lange nicht vorbei sei. Die jungen Frauen sollten wissen, dass für Frauen, die anderen Frauen nicht helfen, ein besonderer Platz in der Hölle reserviert sei. Gloria Steinem, eines der bekanntesten Gesichter der feministischen Bewegung in den USA, spekulierte in einer TV-Show über die Gründe, warum viele junge Frauen für »A Future to Believe in«, den Wahlkampfslogan von Sanders, kämpften: »Wenn du jung bist, denkst du: Wo sind die Jungs? Die Jungs sind bei Bernie«. Liberalen Clinton-Anhängerinnen rätseln, warum Clinton in den demokratischen Vorwahlen nicht die Kandidatin aller Frauen sein konnte.
Reduziert man jedoch frauenpolitische Themen nicht auf »gleiche Karrierechancen«, wird schnell klar, warum so viele Frauen Sanders unterstützen. Sie sind in den USA überproportional von Kürzungen und Privatisierungen im Sozialbereich betroffen, sie arbeiten häufiger im Niedriglohnsektor und verlieren bei Kündigungen in Betrieben schneller ihren Job. Sanders umfassendes Statement zu frauenpolitischen Themen beinhaltet ein felsenfestes Bekenntnis zum Recht auf Abtreibung. Darüber hinaus fordert es aber auch den Ausbau von bezahlbaren Kinderbetreuungsplätzen, bezahlte Elternzeit und die Einführung des »single-payer system« in der Krankenversicherung, ein Minimum von zwei bezahlten Urlaubswochen für alle Arbeitnehmer_innen in den USA. Sanders Wahlprogramm versprach die Umsetzung des 15-Dollar-Mindestlohns bis 2020. Zwei Drittel aller Mindestlohnbezieher_innen in den USA sind Frauen, unter einem Präsidenten Bernie Sanders hätten 15 Millionen Frauen eine spürbare und dringend notwendige Lohnerhöhung bekommen.
Klar - Clinton vertritt keine frauenverachtenden Positionen, wie dies etwa die Republikaner tun. Selbst beim Thema Schwangerschaftsabbruch fordert Clinton feministische Unterstützer_innen heraus. Monatelang gab es Spekulationen darüber, wen sie als Vizepräsidentschaftskandidat_in auswählen würde. Viele sahen die Senatorin Elizabeth Warren als Running Mate, andere Parteimitglieder wünschten sich Tom Perez, einen Bürgerrechtsanwalt. Dass die Wahl ausgerechnet auf Tim Kaine fiel, enttäuschte viele progressive Anhänger_innen. Der Senator aus Virginia lehnt Schwangerschaftsabbrüche aufgrund seines Glaubens ab. Bernie Sanders zwang Clinton immer wieder, sich für linke Themen zu öffnen. Kaine dürfte ein Zugeständnis an weniger fortschrittliche Kräfte innerhalb der Demokraten sein. Auch wenn er sich in den letzten Jahren gegen den Versuch der Republikaner einsetzte, Budgetkürzungen bei den Familienplanungszentren zu verabschieden, so entstanden in Virginia während seiner Amtsperiode als Gouverneur dennoch zahlreiche Hürden für Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch wünschen.
Wenn Clinton ihre Wahl als den nächsten notwendigen Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung der Geschlechter inszeniert, muss klar gesagt werden: Clinton ist die Kandidatin großer Banken, Konzerne und der liberalen politischen Elite der USA.
»Die Wall Street tendiert zu Hillary Clinton« titelte der Börsenteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schon im Mai. Für ihre Präsidentschaftskandidatur bedeutete dies vor allem, auch ohne breitere Mobilisierung von Kleinspender_innen ihre parteiinterne Kampagne finanzieren zu können: Nur 20 Prozent ihrer Wahlkampfspenden kommen von Personen, die weniger als 200 Dollar gespendet haben. Zu Clintons Hauptgeldgebern für ihre Wahlkampagne zählen die City Group Inc., Goldman-Sachs, DLA Piper, JP Morgan, Time Warner, Lehmann Brother's, Cablevision Systems und Morgan Stanley. Wenn Clinton verspricht, die Macht der Wall Street brechen zu wollen, klingt dies daher unglaubwürdig. Aber auch ihre Karriere vor dem Einstieg in die Politik wirkt wenig vertrauensfördernd.
Von 1986 bis 1992 war sie im Vorstand von Walmart und verhielt sich ruhig, als das Unternehmen eine breite Kampagne gegen Gewerkschaften fuhr, die Walmart-Mitarbeiter_innen organisieren wollten. Zwei Drittel der Beschäftigten bei Walmart sind Frauen. Auch wenn Clinton ihre Rolle in diesem Unternehmen gerne verschwieg, blieb Walmart ihr doch verbunden. Bei den demokratischen Vorwahlen 2013 spendete Walmart-Erbin Alice Walton, die als zweitreichste Frau der Welt gilt, 25.000 Dollar und damit die höchstmögliche Summe.
Aber auch in ihrer Zeit als Außenministerin zwischen 2009 und 2013 setzte sie sich nicht nur für Auslandsinterventionen ohne UNO-Mandat, sondern auch für große US-Konzerne im Ausland ein. Die Zeitschrift Bloomberg Businessweek resümierte, dass Clinton »das Außenministerium in eine Förderungsmaschine für US-Unternehmen verwandelt hat«. Clinton hat keine klare Position, wenn es um Freihandelsabkommen wie das Trans-Pacific Partnership (TPP) geht. In ihrer Zeit als Außenministerin unterstützte Clinton das Abkommen, erst kürzlich meinte sie jedoch, neue Informationen über das TTP hätten sie dazu gebracht, das Abkommen nun doch nicht zu unterstützen - nachdem sie ihm 45 Mal zugestimmt hatte. Feministinnen kritisieren, dass die Clinton Foundation große Spenden von Staaten wie Oman, Algerien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien erhielt - Staaten, in denen von einer rechtlichen Gleichstellung von Frauen keine Rede sein kann.
Als Senatorin trat sie als laute Fürsprecherin des Irakkriegs auf. Über ihr diesbezügliches Abstimmungsverhalten sprach Clinton im parteiinternen Wahlkampf ungern, ebenso wenig interessierten sie die Gewalt und Not, die der Irakkrieg für Frauen in der Region bedeutete. Natürlich kamen auch die Konsequenzen des Putsches in Honduras, den Clinton unterstützt hat, in ihrer Kampagne nicht vor.
Liberaler Feminismus hilft auch nicht weiter
Der Kampf um Gleichberechtigung endet nicht bei dem Thema gläserne Decken. Zu diesem gehören auch der Kampf um ein gutes Leben ohne finanzielle Sorgen und ein Leben ohne Rassismus. Kleinen Mädchen zu zeigen, dass sie auch mal Präsidentin der USA werden können, ist schon etwas - auch wenn das nur für diejenigen aus weißen bürgerlichen Familien gilt. Aber nur weil eine Frau US-Präsidentin werden kann, ändern sich die Verhältnisse für die Millionen Frauen in den USA, die unter dem Existenzminium leben, noch lange nicht. Spätestens seit der Präsidentschaft Barack Obamas hegen Linke diesbezüglich keine Illusionen mehr. An Clinton sollten keine höheren Maßstäbe angelegt werden als an andere Politiker_innen der Demokraten, aber ihre Politik muss danach beurteilt werden, ob sie Lebensrealitäten von Frauen aus der Arbeiterklasse, von People of Color und von LGBTIQs (1) verbessern - oder eben nicht. Liberale Politik kann und will die grundlegenden Verhältnisse nicht ändern. Junge Frauen sind sich der Bedeutung der Errungenschaften der feministischen Bewegung der vergangenen Jahrzehnte mit Sicherheit bewusst. Sie verknüpfen aber mittlerweile feministische, klassenkämpferische und antirassistische Positionen zu einem eigenen linken Projekt.
Clintons Erfolg basiert nicht auf einer breiten feministischen Bewegung, die alle Generationen, Klassen und von Rassismus betroffene Frauen einschließt. Ihre Nominierung und ihr - hoffentlich eintretender - Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im November wäre dahingehend einmalig, dass eine liberale Frau mit den großen Finanzmarkt-Akteuren und Medienkonzernen im Rücken an die Spitze eines patriarchalen, kapitalistischen Staates gewählt würde. Äußerst treffend formulierte Marie Crosswell es im Blog Feminist Current: »Clinton hat ihre politische Karriere mit Millionen Dollar an Spenden von Unternehmen, großen Banken und ausländischen Regierungen, die durch Männer kontrolliert sind, gekauft. Wer glaubt, dass sie nun aus den Reihen eines von männlicher Vorherrschaft dominierten Staates auf eine Bühne emporsteigt, um dort eine ernsthafte Gefahr für männliche Vorherrschaft und Misogynie darzustellen, der glaubt auch an den Weihnachtsmann.«
Hanna Lichtenberger forscht an der Uni Wien zum Freihandelsabkommen TTIP aus staats- und klassentheoretischer Perspektive, engagiert sich im österreichischen Aufbruch und ist Redakteurin des Blog-Projektes mosaik-blog.at.
Anmerkung:
1) LGBTIQs steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Intersexual, Queer (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans, Intersexuelle und Queere Menschen).