Global agierender Konzern
Thema Die Bundeswehr rüstet auf im Kampf um Fachkräfte und Anerkennung
Von Alison Dorsch
Mit der Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht hat die Bundeswehr 2011 eine wichtige Verbindung zur Gesellschaft verloren. Seitdem entwickelt sie neue Strategien, um für Nachwuchs und gesellschaftliche Anerkennung zu sorgen. Ziel dabei ist, so liest man auf ihrer Webseite, »die Wurzeln nach dem Ende der Wehrpflicht wieder tiefer in die Gesellschaft zu treiben.« Der Druck, Personal ans Militär zu binden, wird nicht zuletzt dadurch verstärkt, dass die Bundeswehr nicht nur den Erhalt, sondern auch den Ausbau ihrer Truppen plant. So wird im Weißbuch 2016 gefordert, bestehende Personalobergrenzen abzuschaffen. Dabei soll »Diversity Management« fester Bestandteil der Personalpolitik der Bundeswehr werden: Vielfalt in Religion, Ethnie, sexueller Orientierung und Gender soll gefördert werden. Denn, so heißt es weiter, zum einen arbeiteten heterogene Gruppen effektiver, zum anderen stärke solch eine Politik den Rückhalt der Bundeswehr in der Bevölkerung. Das gelte vor allem für Frauen, denn sie »spielen eine wichtige Rolle bei dem Bild, das die Bundeswehr von sich nach außen transportiert« - »strategische« Inklusion ist das Mittel zum Zweck.
Regelmäßig ist die Bundeswehr präsent auf Großevents wie der Kieler Woche, Ländertagen, dem Hamburger Hafengeburtstag oder Stadtteilfesten. Seit 2015 veranstaltet sie jährlich ihr eigenes Großspektakel, den »Tag der Bundeswehr«. Am 11. Juni dieses Jahres öffnete sie dazu 16 ihrer Standorte und war in vier Städten auf Marktplätzen anzutreffen. Bei festlicher Atmosphäre wurden Waffen, Kriegsmaschinerie und uniformierte Soldat_innen bestaunt und gefeiert. Beim Debüt 2015 lockte die Bundeswehr mit ihrem Programm 247.000 Besucher_innen, dieses Jahr waren es 260.000.
»Politische Bildung« durch Jugendoffiziere
Bei solchen Auftritten werden auch Jugendoffiziere der Bundeswehr eingesetzt. Dabei handelt es sich um Soldat_innen, die aktiven Militärdienst geleistet und nicht selten bereits einen Auslandseinsatz hinter sich haben. Ihre Arbeit richtet sich gezielt an Schüler_innen und Student_innen und wird als »wesentlicher Beitrag zur politischen Bildung« der Bevölkerung verstanden. Im Jahr 2016 sind 80 Jugendoffiziere aktiv, darunter sechs Frauen. Sie organisieren Vorträge, Podiumsdiskussionen, Seminare, Truppenbesuche, Ausflüge zu Museen und Schulfahrten zu Messen, auf denen die Bundeswehr für sich wirbt. Im Jahr 2015 erreichten die Jugendoffiziere bei insgesamt 5.569 Veranstaltungen 149.966 Menschen.
Eine besondere Attraktion ist dabei die Simulation POL&IS (Politik und Internationale Sicherheit), ein interaktives Planspiel, das als »Türöffner« zu Schulen und anderen Bildungseinrichtungen geschätzt wird. Denn so werden Schüler_innen und Lehrkräfte auf die Jugendoffiziere aufmerksam. Die positiven Erinnerungen an POL&IS führen dann häufig zu einer Einladung der Jugendoffiziere in den Unterricht. Dieselbe Funktion übernimmt der »Tag der Schule«, an dem die Bundeswehr ihre Tore für Schulklassen öffnet. Hilfreich sei auch, dass an manchen Schulen die Themen »Bundeswehr« und »Sicherheit« im Lehrplan vorkämen; in diesem Kontext werden die Jugendoffiziere laut Bundesministerium für Verteidigung vermehrt als »unterrichtsbegleitende Experten« angefragt. 2015 wurden laut demselben Bericht 115.708 Schüler_innen und Studierende erreicht.
Die zweite wesentliche Zielgruppe der Jugendoffiziere stellen sogenannte potenzielle »Multiplikatoren« dar. In der Regel handelt es sich dabei um Personen, die im Bildungsbereich tätig sind oder tätig werden; also Lehrkräfte, Referendar_innen und Lehramtsstudent_innen. Diese laden die Jugendoffiziere in ihren Unterreicht ein, bereiten die Veranstaltungen vor und nach und empfehlen die Jugendoffiziere an ihre Kolleg_innen oder Kommiliton_innen. 2015 wurden 34.258 Multiplikatoren erreicht.
Die Jugendoffiziere präsentieren sich als neutrale Experten im Auftrag der politischen Bildung. Sie erklären die Kriege in der Ukraine oder in Syrien und erläutern Themen wie Islamischer Staat, Terror und »Flüchtlingskrise« - »so kontrovers wie nötig«. Die von Schüler_innen mehrfach geäußerte Kritik an der aggressiven Rolle der NATO im Ukrainekonflikt tun sie gern als emotionale »Anti-USA-Haltung« ab. Engagement in der Flüchtlingsfrage sehen sie als effektive Methode, »überwiegend bundeswehrkritisches Publikum« für sich zu gewinnen. So wird der Eindruck erzeugt, Widerstand gegen die Bundeswehr und ihre Kriege sei eine Bildungsfrage; wer frühzeitig richtig über die »komplexen Inhalte und Entwicklungen von Sicherheitspolitik« aufgeklärt wird, kommt dann auch zu den richtigen Schlüssen über die Notwendigkeit der Bundeswehr.
Mit der Rekrutierung von Nachwuchs haben die Jugendoffiziere formal nichts zu tun: Interessierte verweisen sie ordnungsgemäß an die dafür zuständigen Karriereberater_innen. Mehr als die Hälfte der erreichten Schüler_innen besuchten Klasse 10 bis 13 einer Realschule oder eines Gymnasiums. Dass gerade Schüler_innen vor dem Übergang ins Berufsleben in Kontakt mit Jugendoffizieren kommen, ist kein Zufall. So gehen Öffentlichkeitsarbeit und Rekrutierung für den »Arbeitgeber Bundeswehr« bei den Jugendoffizieren Hand in Hand.
Attraktivitätsoffensive
Im November 2015 startete die mehrere Millionen Euro schwere Werbekampagne »Mach, was wirklich zählt«. Auf neuen Plakaten, Postkarten, in Onlineanzeigen, Broschüren und einer dazugehörigen Webseite inszeniert sich die Bundeswehr als moderner Arbeitgeber. Slogans sind beispielsweise: »Nach der Schule liegt dir die Welt zu Füßen. Mach sie sicher«; »Grünzeug ist auch gesund für deine Karriere«; oder »Deutschlands Freiheit wird auch im Cyberraum verteidigt«. Ein großer Teil dieser Kampagne richtet sich ausdrücklich an IT-Fachkräfte. Im sogenannten »Projekt Digitale Kräfte« werden gezielt Menschen mit Interesse für Computer- und Informationstechnik angesprochen. Denn das Internet, so warnt die Bundeskanzlerin im Weißbuch 2016, ist nicht nur »Kraft für das Gute«. Im Cyberraum sieht das Bundesministerium für Verteidigung einen »strategischen Handlungsspielraum« und begreift das Internet als »kritische Infrastruktur«.
Um auch hier für »Sicherheit« sorgen zu können, werden die digitalen Streitkräfte der Bundeswehr in den letzten Jahren aktiv aufgebaut. Wie bei allen potenziellen Rekrut_innen sollen auch bei den IT-Kräften die attraktiven Arbeitsbedingungen das Interesse am »hoch modernen, global agierenden Konzern« Bundeswehr wecken. Krieg wird als sinnstiftende und moralisch überlegene Arbeit für Menschen mit Charakterstärke beworben. Im Kampf um neues Personal ist die Bundeswehr jedoch keineswegs ausschließlich auf Rhetorik angewiesen. Mit der Agenda »Aktiv. Attraktiv. Anders« arbeitet sie in den letzten Jahren daran, die materiellen Anreize am Kriegsdienst massiv auszubauen: Arbeitsbedingungen werden verbessert, Sold und Zulagen erhöht, Aus- und Weiterbildung gefördert sowie Vorteile in der sozialen Absicherung ausgebaut.
Dazu erarbeitete die Bundeswehr in gemeinsamer Federführung mit dem Bundesinnenministerium das »Gesetz zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr«, das seit Mai 2015 rechtskräftig ist. Darin sind allein bis 2020 100 Millionen Euro eingeplant, um die Bundeswehr von ihren Personalsorgen zu befreien. Teil dieser Agenda ist das Konzept »Drehscheibe Bundeswehr-Wirtschaft«. Der natlose Karriereübergang zwischen Armee und Wirtschaft soll aktiv gefördert werden. Zu diesem Zweck sind Personalbindungsprämien in unterbesetzten Bereichen, Förderprogramme und zeitlich befristete Kooperationen mit privaten Arbeitgebern vorgesehen. Auch sollen ehemalige Soldat_innen unter ihren neuen Kolleg_innen in der Wirtschaft für den militärischen Dienst werben. Und das gegebenenfalls bei voll ausgezahlter Rente trotz zweiter Karriere in der Privatwirtschaft.
Die Bundeswehr lockt vor allem Berufseinsteiger_innen mit dem Traum vom sozialen Aufstieg und materieller Sicherheit. Dass sie mit ihren Waffen gerade die Wirtschaftsform verteidigt, die soziale Ungerechtigkeit und Unsicherheit erzeugt, wird dabei gezielt verschwiegen. Wir sollten dieses Schweigen brechen.
Alison Dorsch ist Mitglied der Redaktion von kritisch-lesen.de.