Rechte Show und linke Kopfschmerzen
Diskussion Warum die ak-Debatte zur AfD mich bislang eher ratlos macht
Von Peter Birke
Julia Meier und Jörg Nowak haben in den letzten Ausgaben von ak unter anderem historische Analogien vorgeschlagen, wenn es um die Bekämpfung der AfD geht: antifaschistische Bündnispolitik, die geeignet wäre, das rechte Lager zu spalten und ein alternatives Angebot für deren verirrte proletarische Wählerschaft zu schaffen. Die Perspektive überrascht auch angesichts dessen, dass ak eher als Forum sozialer Bewegungen gilt. Nicht nur von Meier und Nowak, sondern von fast allen Autor_innen der Debatte wird der Aufstieg der AfD in einem politischen Raum verortet, für den Programme und Konzepte entscheidend sind. Die zentrale Frage linker Kritik scheint zudem zu sein, welche soziale Formation sich in der AfD repräsentiert. In dieser Logik geht es dann vor allem um Gegenrepräsentation. Die soziale Frage als alltagspolitische Frage taucht eben so wenig auf wie eine Kritik von Politiken, die vor allem auf die Repräsentation abzielen. Gerade vor dem Hintergrund des aktuell sich etablierenden rechten Projekts ist es meines Erachtens aber wichtig, sich auch auf diese Momente politischen Handelns zu beziehen. Dies möchte ich hier kurz begründen.
Hohlräume der Debatte
Nach der gründlichen, mehrmaligen Lektüre der bisher in der ak-Debatte veröffentlichten Texte bleiben bei mir drei Eindrücke hängen: Erstens, es gibt viele wichtige Ansätze. So bereits im Aufschlag von Sebastian Friedrich (ak 615), der auf den erweiterten Klassencharakter der AfD hinweist und konstatiert, dass sich deren Wählerklientel zuletzt stark in Richtung einer in Tendenz weißen, männlichen Arbeiterklasse verschoben hat (wie Anna Berg und Tanya Zorn in ak 616 feststellen). Zweitens bleibt der Eindruck, dass es schwierig ist, sich über den Charakter des rechten Projekts zu verständigen. Uneinigkeit besteht zum Beispiel in der Frage nach den programmatischen Schwerpunkten dieser eklektizistisch auftretenden Formierung. Im Anschluss wird dann eine Debatte darüber geführt, ob die AfD nun neofaschistisch sei oder doch eher neoliberal oder eher beides. Gegenstrategien werden sodann drittens überwiegend in der Logik gedacht, dass es einen Zusammenhang zwischen dem rechten Projekt und der linken Kritik geben müsse (Feminismus statt Antifeminismus, »echte« statt »falscher« Klassenpolitik usw.).
Leider entsteht beim Lesen der Eindruck, dass sich die ganze Debatte in einer Art Hohlraum bewegt: Zumindest bei mir trägt sie eher zur Verstärkung der Ratlosigkeit bei als zu wirklich neuen Erkenntnissen. Das gilt auch für die Strategien: Mit dem Bezug auf die 1920er und 1930er Jahre wird zwar meines Erachtens zurecht zwischen Einheits- und Volksfront unterschieden. Es bleibt aber das Problem, dass das politische Subjekt, um das die gesamte Debatte kreist, irgendwo zwischen der Figur der linken, antifaschistischen Aktivistin und dem Bewegungsmanager verortet ist, der (wenngleich schlecht besuchte) Massendemonstrationen gegen die AfD initiiert.
Leider kann ich an dieser Stelle weder der einen noch der anderen Figur eine konzise Strategie vorschlagen. Kann schon sein, dass man als Bewegungsmanagerin und/oder Aktivist sowohl in Einheits- als auch in Volksfront machen muss. Dennoch klingt das sowohl nach einer ziemlich stressigen Lebensphase als auch nach merkwürdigen Fantasien über »unseren« Einfluss. Was ich mit den meisten Autor_innen allerdings teile, ist die Einschätzung, dass es sich bei der AfD tatsächlich um ein qualitativ besonderes Phänomen handelt, das sowohl sehr alt als auch sehr neu ist. Vielleicht ist es ja auch deshalb schwer zu greifen.
Um dennoch damit anzufangen, fände ich Texte von Marx interessanter als Texte von Thalheimer oder Thälmann. Zum Beispiel Marx Analyse der catch-all-Bewegung des französischen Bonapartismus im 18. Brumaire. Hier beschreibt er, wie sich die postrevolutionäre Diktatur gerade durch soziale Angebote an die proletarische Landbevölkerung konstituiert und dabei systematisch mit den durch die kapitalistische Entwicklung hervorgebrachten Gegensätzen arbeitet. Sebastian Friedrich nennt dasselbe Phänomen »klassenübergreifend«. Das trifft die Sache, aber damit ist die Funktion des programmatischen Eklektizismus der Rechten dennoch gerade einmal angedeutet.
AfD radikalisiert das neoliberale Programm
Die AfD (der Front National, die Dänische Volkspartei usw.) schwimmt in Wirklichkeit wohl leider auf zwei Wellen: Erstens auf jener sich verallgemeinernden, mehr oder weniger konturlosen sozialen Unruhe, auf deren Grundlage in der Mainstreampresse eine Art Diskurs-Clash erzeugt wurde, die uns »Terror« und »Migration« als wildes Feld täglich neuer Bedrohungen zeichnet. Und zweitens bedient sich die neue Rechte zweifellos des Umstands, dass die Einheitlichkeit von Klassensubjekten selbst eine (obwohl marxistisch gefärbte) Fiktion ist. Denn die sozialen Konflikte, an die die AfD metaphorisch anschließt, sind nicht nur Konflikte innerhalb und zwischen den Klassen, ihre Ambivalenzen scheinen vielmehr die Klassensubjekte selbst zu durchziehen, sie glauben mal das eine und mal das andere, wählen mal rechts und mal links: Kurz, es ist sehr schwierig, sie wirklich zu repräsentieren. Und deshalb ist eine Debatte, die sich alleine um die Repräsentation von»denen«durch»uns«dreht, ehrlich gesagt ziemlich defizitär.
Es ist gerade das Aufgreifen der Figur des gespaltenen Subjekts in der politischen Propaganda der Rechten, das sie notwendigerweise auch als»neu«erscheinen lässt: Sie gebiert sich im Grunde als eine Art neuer, konservativer Revolution. Ihre Show erhält ihren Spannungsbogen durch die Behauptung, authentisch zu sein, die Wahrheit zu sagen, mit der Stimme des berüchtigten»kleinen Manns«zu sprechen. Auch aus diesem Grunde ist die AfD, auch wenn es einige Gespenster in ihren Reihen gibt, nicht einfach ein Geist aus der Vorkriegszeit. Das Kuriose ist, dass sie zwar behauptet, etwas ganz Neues zu repräsentieren, zugleich aber an die Traditionen anknüpft, die in den neoliberalen Umwälzungen seit den 1980ern und später innerhalb der New-Labor-Tendenz der 1990er Jahre geprägt wurden. Die Orientierung an der»Stimme des kleinen Manns«ist dabei der Treibstoff, der zur Radikalisierung der Programme von Thatcher und Blair, Schröder und Hartz gebraucht wird: die Blair'sche Parole aufgreifend, dass Law and order ein labour issue sei.
Eine rechte Avantgarde
Die neue Rechte verschärft die Forderung, würdige Arme zu schützen und unwürdige Arme zu bestrafen, wie sie in der Aktivierungspolitik der rot-grünen Bundesregierung systematisch angelegt war. Der Bezug auf den nationalen Wohlfahrtsstaat ist auch in dieser Hinsicht durchaus konsequent. Zwar markiert er einen qualitativen Sprung gegenüber der ersten Phase des Neoliberalismus, ist aber zugleich dessen Fortsetzung und notwendige Zuspitzung: Wenn der trickle-down-Effekt (die neuen Reichen finanzieren die Subsistenz der erweiterten proletarischen Bevölkerung) nicht eintritt, dann müssen Letztere selbst dafür verantwortlich gemacht werden. Selbst der widerwärtige Rassismus der neuen rechten Formierung kann noch als Zuspitzung dieser Politik gelten. Genau an dieser Stelle setzt der Zugriff auf die ambivalent geprägten Subjekte ein, einschließlich der Arbeiter_innen-Subjekte. Ihr Rassismus und Antifeminismus ist eine Art Kitt der AfD, obgleich auch hier wichtig ist zu bemerken, dass auch die AfD (wie vor ihr viele rechtspopulistische Parteien in Europa) diese Klebmasse quasi experimentell einsetzen. Denn sie verschieben auch den Diskurs über Rassismus und Sexismus selbst. Ihr Angriff gilt zwar einer imaginierten post-1968-Kultur, aber sie sind dabei durchaus in der Lage, dieser Kultur ihre Errungenschaften im Hals umzudrehen: siehe die Debatte nach Köln oder die Erscheinung von Islamophobie bei früheren »Feminst_innen«.
Mit Stuart Hall könnte man die AfD als Teil (und wohlgemerkt leider nicht das Ganze) einer Great Moving Right Show sehen, als Teil einer gesellschaftlichen Bewegung, die die Hegemonie neoliberaler Politik durch ihre Verschiebung auf vielen Feldern zu sichern sucht. Auch insofern ist die AfD etwas anderes als die NPD nach 1966, als diese neofaschistische Partei kurz nach ihrer Gründung in zahlreiche Landtage einzog und bei den Bundestagswahlen im Herbst 1969 denkbar knapp an der 5-Prozent-Hürde scheiterte. Oder als DVU und Republikaner, deren Aufkommen und Verschwinden in den 1980er und 1990er Jahren in rascher Folge zu beobachten war. Die AfD ist heute - darin eher ähnlich der Schill-Partei als lokales Phänomen der frühen 2000er - in den Machtblock integriert, und zwar zunächst gerade weil sie im Augenblick keine Regierungsposition innehat. Sie ist, wenn man so will, die rechte Avantgarde, die in ihrer Suche nach systemstabilisierenden Alternativen die bürgerliche Gesellschaft vor sich her treibt.
Meines Erachtens gibt es zwei Voraussetzungen für Gegenstrategien (wobei ich zugeben muss, dass es mir sehr schwer fällt, hier etwas anderes aufzuschreiben als ungelöste Probleme und schwierige Fragen!). Erstens wird die Spaltung der AfD vorläufig kaum erfolgversprechend sein. Viele europäische Beispiele zeigen, wie sich die erste und die letzte Phase neoliberaler Politik bei den sogenannten Rechtspopulisten die Hand geben. In der Partei bekämpfen sie sich bis auf's Messer, sie bleiben aber doch als zurzeit überall relativ erfolgreiche Formierungen bestehen. Man muss sie schon als Ganzes bekämpfen, und selbstverständlich enthält dies auch die Herausforderung, dass wir an der Herstellung einer anderen Öffentlichkeit arbeiten müssen.
Diese andere Öffentlichkeit kann aber zugleich kaum existieren, wenn sie nicht im sozialen Raum des Alltags verankert ist, in den Konflikten um Wohnraum und Arbeitsverhältnisse, im Alltagskampf gegen die Zumutungen des Arbeitsalltags und des Arbeitsamts. Sie muss auch aus dem Mitgefühl für Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, eine konkrete, praktische Solidarität entwickeln. Aus dieser Sicht sind zwar die Demos gegen die AfD wichtig, aber die große Aufgabe ist, Ansätze zu verstärken, die in der Recht-auf-Stadt-Bewegung, in den fragmentierten Arbeitskämpfen des Jahres 2015 und, last but not least, in der Willkommensbewegung und in selbstorganisierten migrantischen Kämpfen an die Oberfläche gekommen sind. Es sind diese Kämpfe, in denen wir es nicht mit der Frage zu tun haben, was programmatisch-repräsentativ zu entwerfen ist. Auseinandersetzungen, die vielleicht nicht die Lösung bieten, aber doch immerhin die Basis einer Opposition gegen den Präfaschismus sein können.
Anders als auf der Bündnisdemo erleben wir uns in unseren alltäglichen Kämpfen, in der Bezugnahme auf Arbeitskolleg_innen, angesichts von Entwürdigungen auf den Ämtern selbst und andere als die gespaltenen, fragmentierten, oft rat- und rastlos nach Autonomie und Emanzipation suchenden Menschen, die wir sind. Wenn wir diese Kämpfe (wie es zum Beispiel in Anregungen der Genoss_innen von »Wilhelmsburg solidarisch« versucht wurde) nicht systematisieren und vernetzen - dann ist es meines Erachtens leider ziemlich gleichgültig, was auf dem Fronttranspi der nächsten Bündnisdemo steht und wer dahinter mitläuft.
Peter Birke ist beim Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen angestellt.
AfD-Debatte
Seit ak 615 wird in bislang sechs verschiedenen Beiträgen über linke Strategien gegen die AfD diskutiert. Alle Texte der Debatte sind online nachzulesen unter www.akweb.de.