Eine nützliche Attrappe
Geschichte Bommi Baumann - von links unten nach rechts außen
Von Klaus Viehmann
Es macht doch stutzig, wenn ein ehemaliger Stadtguerillero wie Bommi Baumann von hundertprozentig antirevolutionären Welt- und Spiegel-Journalisten wie Stefan Aust und Michael Sontheimer zu Grabe getragen und gelobt wird: »Er war außerordentlich ehrlich«; »Dem Versuch, das Paradies herbeizubomben, hat er eine klare Absage erteilt.« (RBB-Abendschau, 19.8.)
Tatsächlich wollte noch keine Stadtguerilla »das Paradies herbeibomben«, und tatsächlich war Baumann seit über 40 Jahren eine geschwätzige Stadtguerilla-Attrappe, die von der Roten Hilfe nie Prozesskostenhilfe erhalten hätte. Mit politisch ernstzunehmender Kritik des bewaffneten Kampfes, wie sie Mario Moretti und Rossana Rossanda für die Brigate Rosse oder einige Tupamaros für den uruguayischen MLN/T verfasst haben, haben Baumanns Erzählungen nichts zu tun.
Schon 1978 wurde er mir von einem Staatsanwalt, dem späteren Vize des Landesamts für Verfassungsschutz Przytarski, als Beispiel vorgehalten: »Wären Sie mal ausgestiegen wie der Baumann, für die Fahndung nach dem gebe ich kein Geld aus!«
Persönlich begegnet sind wir uns gut 20 Jahre später, als er aus einer Demo geworfen wurde. »Aber ich bin doch Bommi Baumann!« »Eben. Und du hast X Aussagen gemacht!« Weg war er. 2010 wurde er bei der Beerdigung Fritz Teufels rausgeschmissen - während Baumanns Beerdigungsgäste sogar die AfD-Politikerin Sibylle Schmidt mittrauern ließen.
Baumann war vor 45 Jahren ein Aktivist des sozialrevolutionären Teils der 68er-Bewegung, in der sich ein rebellisches »Lumpenproletariat« eine Zeit lang von der Bevormundung durch akademische Linke emanzipieren konnte. Politische Differenzen, unterschiedliche Herkunft und Perspektiven, Repression und Knast spalteten die Bewegung aber bald. Im Falle Baumanns kam zeittypisch hinzu, dass er wie so einige »umherschweifende Haschrebellen« an der Nadel hing. Junkie-Egoismus verträgt sich allerdings nicht mit illegaler Organisation, Bullenverhören und Knast.
165 Seiten Aussagen über die Bewegung 2. Juni
Baumann machte bereits 1970, nachdem er wegen einer Aktion der Tupamaros Westberlin gegen einen Staatsschutzjournalisten in U-Haft saß, Aussagen bei der Staatsanwaltschaft, die er am 1. September so unterschrieb: »Mir ist bewußt, daß ich durch meine Aussage (vier Namen, K.V.) der Beteiligung beschuldige.« In Unkenntnis dieses Verrats wurde die berühmte »Befreit Bommi«-Kampagne gestartet, und Baumann konnte nach seiner Haftentlassung im Juli 1971 Mitglied einer Gruppierung werden, die sich ab Januar 1972 Bewegung 2. Juni nannte. Nach dem Tod Georg von Rauchs im Dezember 1971 beteiligte er sich praktisch nicht mehr an Aktionen. Im Herbst 1972 stieg er ganz aus und verschwand - angeblich mit einem Teil der Gruppenkasse - in die Länder, wo die harten Drogen wachsen.
1973 kam er nach Europa zurück und wurde bei der Durchreise durch die DDR vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) festgehalten. Sofort machte er Aussagen: Am 11. November 1973 identifizierte er auf Fotos zwölf Genoss_innen, u.a. Fritz Teufel, Inge Viett, Margit Schiller und Ina Siepmann mitsamt Spitznamen, Herkunft, politischer Linie. Ab dem 14. November 1973 füllte er in 114 Stunden Vernehmungen 165 Aktenseiten über die Bewegung 2. Juni, ihre Entstehung und ihre Mitglieder. Handschriftlich verfasste er zudem 125 Blatt mit zum Teil bösartigen Psychogrammen von 94 Genoss_innen, plus 16 Berichte über KPD/AO-Mitglieder, die Erschießung eines Hamburger Polizisten 1971, Westberliner Kontaktadressen, Kontakte zur RAF, zur Roten-Ruhr-Armee, zur Schwarzen Hilfe, zu Schweizer Anarchisten und SEW-Mitgliedern sowie über einen Sprengstoffanschlag auf das Westberliner LKA. Auf Seite 499 der MfS-Akte findet sich eine Quittung über 20 Westmark, die er zum Abschied unterschrieb. (1) Weihnachten 1973 wurde Baumann ohne Grenzkontrolle nach Westberlin entlassen.
Das MfS war wahrlich nicht der Alt-Nazi-Sicherheitsapparat der BRD, aber nach den Maßstäben aller illegalen Organisationen und anständiger Menschen sind solche Aussagen über Strukturen und Genoss_innen mieser Verrat. Als Baumann 1998 damit konfrontiert wurde, verteidigte er sich, er wäre doch sonst an die BRD ausgeliefert und dort zu 15 Jahren Knast verurteilt worden. Erstens ist fraglich, ob er überhaupt ausgeliefert worden wäre, und zweitens hätte er mit so einer Angst vorm Knast im Westen genauso ausgepackt.
Angebliches Insiderwissen gegen gute Bezahlung
Anfang 1974 begann mit dem Spiegel-Interview »Freunde, schmeißt die Knarre weg« (Der Spiegel 7/1974) Baumanns Kooperation mit einer merkwürdigen Interessengemeinschaft alter Ex-Linker, gewisser Journalisten und Teilen des Staatsschutzapparats. Ihr gemeinsames Interesse war die politische Bekämpfung von RAF, RZ und Bewegung 2. Juni, denen mit reiner Repression nicht beizukommen war, weshalb ausgestiegene »Fighter« als glaubhafte Kritiker revolutionärer Politik inszeniert werden sollten. Die Gemeinsamkeit speiste sich aus legitimer Kritik an Fehlern des bewaffneten Kampfes, aus besorgtem Entsetzen alter APO-Akteur_innen, die realisierten, dass militante Politik persönliche Nachteile mit sich bringen kann, und einer geschickteren Staatsschutzfraktion, die Staatsfeinde nicht unbedingt erschießen oder auf ewig wegsperren wollte. Die inszenierten »Fighter« hatten eigentlich nur zwei Interessen: wenig oder gar keinen Knast und dass ihre Interviews aus dem »Untergrund« gut bezahlt wurden. Baumanns Ausstieg aus der Bewegung 2. Juni wurde von ihm und dieser Interessengemeinschaft jahrzehntelang erfolgreich vermarktet.
Ein ähnlicher Fall wie Baumann, auch der an der langen Leine von Ex-Linken, war der Anti-RZ-Kronzeuge Hans-Joachim Klein. Auch er rief im Spiegel dazu auf, die Waffen niederzulegen; beide füllten Interviews mit angeblichem Insiderwissen und dreisten Lügen. Klein fabulierte über angeblich bevorstehende RZ-Aktionen, Baumann unterstellte Ende der 1970er Jahre der RAF im Magazin Stern, dass sie Atomkraftwerke angreifen wolle. Zum Glück gab es nie einen Störfall, den man so hätte »erklären« können.
Zu den Interviews kamen Bücher. Ende 1974 traf sich Baumann in Österreich mit ein paar Leuten, die seine Aussteigergeschichte haben wollten - er war auch am Autorenhonorar interessiert. Aus tagelangen Erzählungen machte der Filmemacher Harun Farocki ein Manuskript mit dem Titel »Wie alles anfing«. Dieser Text wurde Anfang 1975 von einem späteren taz- und Zeit-Journalisten in die Westberliner Szene gereicht und landete so bei der Bewegung 2. Juni. Knapp vor Drucklegung konnten wenigstens noch ein paar juristisch relevante Passagen gestrichen werden.
Bei Erscheinen Ende 1975 war die Staatsschutzlinie der nützlichen »ausgestiegenen Fighter« noch nicht durchgedrungen, das Buch wurde beschlagnahmt. Vielleicht auch, weil es trotz einiger Erfindungen und Lügen als sozialrebellischer Abenteuerroman und nicht nur als Aufruf zum Ende des bewaffneten Kampfes gelesen werden konnte - Farocki sagte mir 2009, er hätte das Buch als jemand geschrieben, der die APO-Revolte verteidigen und »nur« die Stadtguerilla beenden wollte.
Die gegen die Beschlagnahme veröffentlichte zweite Auflage enthält das Nachwort eines linken Bündnisses, dessen Interesse an einem Ende der bewaffneten Praxis deutlich ist. Diese Ausgabe wurde in hoher Auflage ungehindert vertrieben, ebenso das vier Jahre später erschienene Anti-RZ-Epos »Rückkehr in die Menschlichkeit« von H.J. Klein. Dieses Buch war in Wirklichkeit von Frankfurter Spontis um Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer gestrickt worden - zur Legitimation ihres Abschieds von der militanten Linken.
Diskussion mit Jürgen Elsässer bei Compact
Zu der Selbstdarstellung von Klein oder Baumann gehörte das hübsche Label »Ich verpfeife niemanden«. Als aber Knast drohte, pfiffen beide. Klein wurde 1998 gegen die Absicht des Verfassungsschutzes, mit dem er Kontakt hatte, von BKA-Zielfahndern in Frankreich festgenommen und belastete angebliche RZ-Genoss_innen. (2) 2001 wurde er wegen des Angriffs eines palästinensisch-deutschen Kommandos auf die OPEC-Konferenz Ende 1975 und Mord zu nur neun Jahren verurteilt, von dem ihm sechs auf dem Gnadenweg erlassen wurden. Baumann wurde 1981 in London bei einer Drogenrazzia festgenommen und ließ sich freiwillig in die BRD überstellen. In einem zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigern abgesprochenen Schnellprozess belastete er am 2. November alte Genoss_innen wie Ralf Reinders und Ina Siepmann, an Banküberfällen beteiligt gewesen zu sein: »Ex-Terrorist Bommi Baumann plauderte freimütig über den Bankraub: Der Plan stammte von Ralf Reinders«, titelte die Berliner Morgenpost tags drauf. Sein Buch legten seine Verteidiger als Beweis für seine »Distanzierung vom Terrorismus« vor, was das Gericht ausdrücklich würdigte, und einer der Verteidiger erhielt später das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Wofür auch immer. Baumann bekam für zwei Banküberfälle und einen Sprengstoffanschlag nur fünf Jahre - die Hälfte des gängigen Tarifs. Aus der Tegeler JVA rief Baumann laut damaliger Mitgefangener die Staatsanwaltschaft an, wenn ihm die Knastbürokratie Hafterleichterungen verweigerte.
Auch später rissen seine Staatsschutzkontakte nicht ab, Mitte der 1990er traf er sich, so die Berliner Zeitung am 30. März 1999, mit dem BKA: »Wie haben diese Leute (Zielfahnder, K.V.) gelebt, wie sind sie mit ihrer Angst umgegangen? Baumann hat Kontakte geknüpft. Am Stammtisch unterhalten sie sich über die Terroranschläge von einst.« 2011 machte er beim Berliner Drogendezernat (!) absurde Aussagen über das ehemalige RAF-Mitglied Verena Becker und traf sich in einer 3sat-Kulturzeit-Sendung mit dem Sohn des ehemaligen Generalbundesanwalts Buback, der hartnäckig glaubt, die Hintergründe der Erschießung seines Vaters durch die RAF würden von Geheimdiensten verschleiert.
Baumann wurde zwecks Street Credibility oft als »Arbeiter« und »Betonbauer« apostrophiert, was nur für seine Jugendzeit zutraf. Das Ende der DDR machte ihn sogar richtig reich: Er bekam fast eine Million als Entschädigung für die enteignete Ostberliner Villa seiner Oma. Und 1998 brüstete sich der zum »Bauleiter« aufgestiegene Baumann in einem Interview mit der Eso-Zeitschrift Sein sogar noch damit, sich gegen 150 Bauarbeiter durchgesetzt zu haben. So was hieß früher Klassenverrat.
Mit dem Ende des bewaffneten Kampfes in der BRD hatte sich Baumanns Inszenierung als »Fighter« erledigt, der Rest war Legendenpflege eines ewig Drogenabhängigen. Im August 2012 fand der politische Opportunist Baumann schließlich zum Querfront-Propagandisten Jürgen Elsässer. In dessen CompactLive-Magazin diskutierten sie über das unsägliche Thema »NSU und RAF - Geheimdienstzwillinge?«. Das traurige Ende einer Karriere von links unten nach rechts außen.
Klaus Viehmann schrieb zuletzt in ak Nr. 552 über Fritz Teufel. Er war 15 Jahre wegen Mitgliedschaft in der Bewegung 2. Juni im Knast.
Anmerkungen:
1) Behörde des Bundesbeauftragten der Stasiunterlagen: Ermittlungsverfahren Groß-Berlin XV/3500/73; Archiv-Nr. 2984/74, zitiert nach einer Recherche von Christiane Ensslin 1999.
2) Vgl. dazu www.verdammtlangquer.org.
Die Bewegung 2. Juni
entstand 1971 als Zusammenschluss militanter Westberliner Gruppen. Ein Aktivist war Georg von Rauch, der im Dezember 1971 bei einer Schiesserei mit Verfassungsschutz und Staatsschutz starb und dessen Namen seither das Rauch-Haus in Berlin trägt. Die Bewegung 2. Juni verstand sich als bewaffneter Arm der sozialrevolutionären Linken, der Name sollte an die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg bei der Anti-Schah-Demo am 2. Juni 1967 erinnern. 1975 steckte die Bewegung 2. Juni den Westberliner CDU-Spitzenkandidaten Peter Lorenz in ein Kreuzberger »Volksgefängnis« und ließ ihn erst frei, nachdem mehrere Demonstranten aus der U-Haft entlassen wurden und fünf politische Gefangene in den Südjemen ausreisen konnten. Im selben Jahr wurden bei zwei fast gleichzeitigen Banküberfällen Flugblätter und Schokoküsse verteilt. 1976 und 1977 konnten noch mal fünf Genoss_innen aus Westberliner Gefängnissen befreit werden, aber Verhaftungen und politische Differenzen schwächten die Gruppe. 1980 erklärten einige Mitglieder die Auflösung der Bewegung 2. Juni und deren Anschluss an die RAF, andere verteidigten die alte sozialrevolutionäre Linie und näherten sich den Revolutionären Zellen (RZ) an.