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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 620 / 18.10.2016

Dieser Prozess darf kein Abschluss sein

Deutschland Der Nebenklagevertreter Alexander Hoffmann über drei Jahre NSU-Prozess

Interview: Maike Zimmermann

Seit dem 6. Mai 2013 findet vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder und Helfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) statt. Angeklagt sind neben Beate Zschäpe auch André Eminger, Holger Gerlach, Carsten S. sowie der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben. ak sprach mit Rechtsanwalt Alexander Hoffmann. Er vertritt in der Nebenklage zwei Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße.

Du bist seit Anfang an als Vertreter der Nebenklage dabei. Was hattest du dir damals, vor über drei Jahren, von dem Prozess erhofft?

Alexander Hoffmann: Um ehrlich zu sein, hatte ich ein sehr gespaltenes Verhältnis dazu. Ich hatte Angst davor, dass die Nebenkläger und die Nebenklägervertreter missbraucht werden könnten, um jenen politischen Schlussstrich zu ziehen, den die Bundesanwaltschaft und die Bundesrepublik mit diesem Prozess machen wollten. Deswegen stand auch ursprünglich mal die Frage im Raum, ob man sich überhaupt an einem politischen Prozess mit dieser Anklage beteiligen kann. Die anderen Nebenklägervertreter und -vertreterinnen, mit denen ich das diskutiert habe, meine Mandanten und ich sind dann zu dem Schluss gekommen: Unsere Hauptaufgabe in diesem Prozess ist es zu verhindern, dass hier eine geschönte Version präsentiert wird, dass gesagt wird, jetzt ist alles erledigt und geklärt, und alle Ungereimtheiten in Sachen deutscher Strafverfolgung und Inlandsgeheimdiensten sind wieder beseitigt. Meinen Mandanten war es wichtig, dass jemand in dem Prozess sitzt, der durch Anträge und anderes Vorgehen verhindert, dass sich das Ganze schön geredet wird.

Was kann ein solcher Prozess denn auf politischer Ebene überhaupt leisten?

Man kann natürlich versuchen, in einem solchen Prozess durch Anträge aufzudecken und aufzuklären. Das haben wir ja auch mit zahlreichen Anträgen gemacht. Alles, was in der Beweisaufnahme beispielsweise zur Beteiligung und Unterstützung durch Organisationen und Netzwerke wie Blood & Honour geschehen ist, ist nur auf unser Drängen und auf unsere Anträge hin erfolgt. Diese Sachen konnten wir vor allem einführen, weil wir über Recherchematerial von antifaschistischen Gruppen und über eigenes Wissen verfügt haben und nicht auf das angewiesen waren, was die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt präsentiert haben. Ich glaube, dass wir in diese Richtung eine Menge bewegt haben. Andererseits darf man sich nichts vormachen: Wenn das Ergebnis zwei Monate nach der Selbstaufdeckung des NSU von der Bundesanwaltschaft eigentlich schon festgezurrt war - nämlich, dass da eine isolierte Gruppe von drei Personen mit wenigen Unterstützern gemordet hat - und auf dieser Basis die gesamte Ermittlungsarbeit gemacht worden ist und alle Akten zusammengestellt worden sind, dann konnte man natürlich nicht ernsthaft erwarten, dass der Prozess darüber hinausgehend sehr viel mehr hätte aufklären können. Denn immerhin ist das Gericht ja auch auf die Anklageschrift beschränkt, die es zugelassen hat.

Ist es euch gelungen, euer Anliegen umzusetzen?

In kleinen Teilen. Es ist uns gelungen zu beweisen, dass diese drei Täter - Bönhardt, Mundlos und Zschäpe - nicht isoliert waren, sondern dass sie eingebunden waren in ein Netzwerk von Unterstützerinnen und Unterstützern, in dem auch andere Gruppierungen der militanten neonazistischen Bewegung involviert waren. Es war unser Anliegen zu vereiteln, dass das einfach nur ganz glatt an der Anklage abgearbeitet und bejaht wird, und es dann zu einem Urteil kommt, das einfach nur sagt: Gut, das waren drei Leute, die waren isoliert, zwei sind tot, die eine wird bestraft, vier andere werden wegen Unterstützung bestraft und damit ist es erledigt und alle können jetzt wieder ruhig schlafen.Wir haben es aber beispielsweise nicht geschafft herauszuarbeiten und zu belegen, dass es vor Ort in den verschiedenen Städten, in denen es Morde gab, konkrete Unterstützer gab. Das ist sehr harsch abgeblockt worden mit Beschlüssen des Oberlandesgerichts und da hat das Oberlandesgericht auch sehr klar gemacht, dass sie das nicht in diesem Prozess drin haben wollen und dass sie das nicht zulassen werden.

Aber wenn sie das in diesem Prozess nicht untersucht haben wollen, wird es ja wahrscheinlich woanders auch nicht untersucht, oder?

Das stimmt, wenn das nicht von unabhängigen Leuten aus der antifaschistischen Bewegung oder von Journalisten irgendwann einmal aufgedeckt wird, werden wir da drüber nichts mehr erfahren. In diesem Prozess wird es nicht geklärt werden, und ich bin im Moment auch nicht optimistisch, dass das noch in irgendeinem der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse ernsthaft und erfolgreich untersucht werden wird.

Es gab immer wieder linke politische Aktionen rund um den Prozess. Ist es diesen denn gelungen, den Prozess als Ansatzpunkt zu nehmen, um eigene Inhalte zu transportieren?

Das ist ja eine Wechselbeziehung. Unsere Position im Prozess als Vertreter der Nebenklage war und ist darauf angewiesen, dass außerhalb des Gerichtsaales ein öffentliches Interesse da ist, dass außerhalb des Gerichtsaales alle diese Fragen thematisiert werden. Wir hätten einen viel schlechteren Stand gehabt ohne diese verschiedenen Aktivitäten - sei es direkt vor dem Gericht, sei es in Zeitschriften, sei es bei Veranstaltungen, die es überall in der Bundesrepublik gegeben hat. Alle diese Sachen, die gelaufen sind, waren wirklich sehr wichtig für uns - sei es die unglaubliche Leistung der Gruppen, die sich zu NSU-Watch zusammengeschlossen haben, seien es aber auch Einzelaktivitäten in verschiedenen Städten wie zum Beispiel von der Keupstraßen Initiative. Ich vertrete ja auch zwei Mandanten aus der Keupstraße. Da war es auch wichtig, sich selbst wiederzufinden, nachdem man so viele Jahre gedacht hat, der Nachbar war´s. Man musste lernen damit umzugehen, dass diese Politik des Staates, Zwietracht unter die Anwohner zu sähen und jeden den anderen verdächtigen zu lassen, jetzt aufgeflogen war. Man musste lernen damit umzugehen, dass man jahrelang diese Spaltung zugelassen hatte und dann auch sein Verhältnis zu einem Staat wiederfinden, der einem so etwas antut. Die Menschen aus der Keupstraße sprechen in diesem Zusammenhang von der Bombe nach der Bombe. Das ist eine politische Auseinandersetzung, die eine Menge bewirken kann.

Ich finde auch, dass da viele Leute richtig tolle Arbeit machen und gemacht haben, aber nichtsdestotrotz hat die Aufmerksamkeit meiner Wahrnehmung nach schon deutlich abgenommen.

Wenn ich mitkriege, was andere Leute, seit der Prozess begonnen hat, machen, was es an Veranstaltungen, an Hearings, an Demonstrationen mit NSU-Bezug gibt, dann ist das schon sehr viel. Gleichwohl ist es natürlich so - und das ist meine große Kritik an der eigenen Bewegung, an der antifaschistischen Bewegung - dass eine wirklich politische Einschätzung dessen, was das bedeutet, was da passiert ist, quasi noch nicht erfolgt ist. Daran mühen sich sehr wenige ab. Ich zweifle im Moment auch daran, dass die antifaschistische Bewegung das tatsächlich sachlich und politisch bilanzieren wird. Das liegt aber an der politischen Schwäche der antifaschistischen Bewegung und nicht daran, dass es wenig Interesse gibt.

Ich habe aber trotzdem den Eindruck, dass das Interesse für das Thema NSU auch in der Linken größer sein könnte ...

Sicher gäbe es da durchaus noch verschiedene Ansatzpunkte. Unter politischen Gesichtspunkten wäre zum Beispiel Hamburg ideal für eine politische Auseinandersetzung. Wir haben in der Beweisaufnahme des Prozesses beispielsweise herausgefunden, dass das, was die autonome antifaschistische Bewegung immer gesagt hat, zutrifft: Dass nach den Verboten in den frühen 1990ern eine von Hamburg aus geführte GdNF (1) als bundesweite Organisation den Aufbau unter anderem auch des Thüringer Heimatschutzes koordiniert und geleitet hat. Das ist ja immer bestritten worden. Im Grunde genommen wurde alles, was die Recherche Antifa in den 1990ern immer wieder veröffentlicht hat - auch die Frage der Bewaffnung oder die Frage der Besetzung mit V-Leuten - in diesem Prozess bestätigt. Was es bedeutet, dass sich das in dieser Form bestätigt hat und dass sich andere Einschätzungen, die wir hatten, eben nicht bestätigt haben, das wäre schon spannend. Aber dazu müsste eine antifaschistische Bewegung da sein, die auch tatsächlich ein inhaltliches Interesse an so einer Auseinandersetzung hat. Und die sehe ich im Moment nicht.

Und es gibt viele Leute, die diese Ergebnisse in den 1990er Jahren geliefert haben, aber heute einfach nicht mehr involviert sind.

Gut, aber einige sind durchaus noch involviert und machen nach wie vor wichtige Arbeit. Aber klar, viele Leute sind weg, und das politische Niveau, das damals von jenen antifaschistischen Gruppen gehalten worden ist, die gleichzeitig Recherche und antifaschistische Gesellschaftspolitik gemacht haben, gibt es in der Form nicht mehr.

Um noch einmal auf den Prozess zu sprechen kommen: Das Ende ist ja nun absehbar. Meinst du, dieses Bestreben, über das wir zu Anfang gesprochen haben, wird funktionieren: Der Prozess ist beendet, und nun ist die Klappe zu?

Das wird an uns liegen, an uns als Nebenklägervertretern und -vertreterinnen, an den politischen Initiativen, die es gibt, um genau das zu verhindern. Ohne sich jetzt für die nächsten Jahre nur noch dem Thema NSU verschreiben zu müssen, sehe ich eigentlich ganz gute Chancen dafür, dass es gelingen wird, diese Fragen am Leben zu erhalten. Das kann man schaffen, und das ist auch unser Ziel. Ich glaube nicht, das es noch Nachfolgeprozesse geben wird, die in besonders beeindruckender Weise geführt werden. Ich befürchte, dass diese ganzen Unterstützerverfahren auch sehr schnell eingestellt werden, wenn dieses Urteil rechtskräftig ist. Die zentrale Aufgabe wird es werden, nach dem Urteil dafür zu sorgen, dass es eben nicht als Abschluss genutzt wird. Aber auch wenn im Urteil was anderes steht: Die Behauptung, das war eine isolierte Gruppe, ist schon heute nicht mehr haltbar.

Anmerkung:

1) Die GdNF (Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front) wurde 1984 von Michael Kühnen, Thomas Brehl und Christian Worch gegründet und war in den frühen 1990er Jahren eine der Schlüsselorganisationen der neonazistischen Szene. Ihre Schwerpunkte waren u.a. der Aufbau legaler Vorfeldorganisationen einer neuzugründenden NSDAP und der Aufbau einer neuen »SA«.