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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 621 / 15.11.2016

Die Ebene der moralischen Empörung verlassen

Diskussion Die völkisch-nationalistischen Inhalte der AfD sind in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen, aber auf unterschiedliche Weise erfolgreich

Von David Begrich

Angesichts der zurückliegenden Wahlerfolge der AfD in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt und der Fortdauer von PEGIDA in Sachsen ist gelegentlich die Einschätzung zu lesen, eigentlich läge das Problem des Aufstiegs rechter Politikangebote in den ostdeutschen Bundesländern. Auf den ersten Blick trifft dies zu. PEGIDA ist ein sächsisches Phänomen, im Osten werden je Einwohner_in die meisten rassistischen Gewaltstraftaten verübt. Die AfD-Landesverbände in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt trompeten im Konzert rechter politischer Interventionen lauter als etwa jene in Hamburg oder Bremen. Doch der verbale Krawall, den André Poggenburg (Sachsen-Anhalt) oder Björn Höcke (Thüringen) veranstalten, täuscht darüber hinweg, dass die Mobilisierungsfähigkeit der AfD keineswegs auf den Osten beschränkt ist. Im Gegenteil: Mag die AfD in Mecklenburg-Vorpommern auch einen Stimmanteil von 20 Prozent erlangt haben, so bleibt dieser mit Blick auf die absoluten Zahlen doch weit hinter jenen etwa in Baden-Württemberg zurück. Denn während die AfD in Baden-Württemberg rund 800.000 Wähler_innen erreichte, waren es in Mecklenburg-Vorpommern nur rund 150.000. Der Streit um die antisemitischen Texte des baden-württembergischen Abgeordneten Wolfgang Gedeon zeigt zudem, dass der Unterschied zwischen Ost und West in der AfD weniger ein ideologischer ist, sondern vielmehr in der Tonlage liegt. Im Westen gibt sich das Ressentiment nobler.

Seit ihrer Gründung hat sich die AfD im Turbogang radikalisiert. Diese Radikalisierung lässt sich bündig in drei Phasen einteilen. Bei ihrer Gründung war die Partei ein monothematisches, extrem neoliberales, eurokritisches Projekt um die Professorenriege Bernd Lucke und Joachim Starbatty. In einer zweiten Phase wandte sich die Partei national-konservativen Identitätsthemen wie Familie und Tradition, um nach dem Ende der Ära Lucke, getrieben von Höcke, Poggenburg und der Connection des AfD-Netzwerkes der »Erfurter Erklärung«, den Marsch in den völkischen Nationalismus anzutreten. Die AfD agiert - programmatisch klar rechts des Nationalkonservatismus stehend - in der strategischen Form der Kommunikation rechtspopulistischer Parteien.

Der Erfolg der strategischen Kommunikation der AfD gründet in einem Dreieck, bestehend aus kalkulierten öffentlichen Tabubrüchen, deren medialer Verstärkung und ihrer parlamentarischen Nacharbeit durch die Fraktionen in den Landtagen in Form von polarisierenden Anträgen und Debatten.

Strategische Kommunikation rechter Inhalte

Der kalkulierten Tabubruch folgt einem Muster des diskursiven »Zwei Schritte vor, einen Schritt zurück«. Mit Wortmeldungen wie jener von Frauke Petry, den Begriff des Völkischen rehabilitieren zu wollen, versuchen die AfD-Protagonist_innen zu testen, wie weit sie gehen können. Zunächst wird ein Statement abgegeben, in dem ein tatsächliches, öfter jedoch ein vermeintliches Tabu gebrochen und damit in der öffentlichen Meinung polarisiert werden kann. Erfolgt eine mediale oder politische Sanktion, rudern die Akteure scheinbar zurück, sagen, es handle sich um ein Missverständnis oder das Statement sei aus dem Kontext gerissen. Am Ende bleibt eine Erweiterung des Sagbarkeitsraums nach rechts. Ein Schlüsselbegriff für die Plausibilisierung rechter Inhalte ist der vielzitierte »gesunde Menschenverstand«. Er wird von der AfD als scheinbar unideologischer Zugriff auf Debatten mit eminent politischem Inhalt angewandt. Was dann angeblich der »gesunde Menschenverstand« gebietet, bei der Unterbringung von Asylbewerbern oder deren Integration, liegt in diesem Lichte jenseits der Politik und wird so zur Frage rationaler Vernunft erklärt.

Dieses Spiel mit Begriffen und ihrer scheinbaren Relativierung beherrschen sowohl Petry als auch Höcke perfekt. Ihre politischen Ansprachen und Tabubrüche haben zwei Adressaten. Einerseits wird der eigenen Anhängerschaft signalisiert, dass ihre Ressentiments nicht nur still geteilt, sondern offensiv ausgesprochen, bestätigt oder radikalisiert werden. Andererseits jedoch wird zum angeblichen Mainstream der von der AfD viel gescholtenen Altparteien und der Medien (»Lügenpresse«) ein scharfer Kontrast geschaffen, in dessen Schatten die Partei wie beiläufig politische Geländegewinne einfährt. Medienformate wie Talkshows sind für diese politische Strategie wie geschaffen, weil sie von der sich wiederholenden Zuspitzung politischer Debatten leben.

Evident wird dies bei den politischen Kernthemen der Partei wie Asyl, Demographie und Einwanderung. Seit Monaten scheint es so, als triebe die AfD bei diesen Themen die etablierten Parteien mit immer neuen, radikaleren Forderungen vor sich her, weshalb diesen gar nichts anderes übrig bliebe, als im Reaktionsmodus gefangen ihre Positionen entweder zäh zu verteidigen oder Stück für Stück zu räumen. Stimmt dieses Bild? Bedingt. Denn zwischen den Vorstößen der AfD und der Verschärfung der Tonlage des Diskurses um Asyl und Flüchtlinge gibt es längst eine Interaktion, innerhalb derer die AfD nicht der alleinige Akteur ist. Dies sind mit ihr konkurrierende Player aus Medien und Parteipolitik um die rechtspopulistische Aufladung von Begriffen und Diskursen. Die AfD betreibt die Ethnisierung realer sozialer Widersprüche, indem sie soziale Rechte für zuvor als valide apostrophierte Interessengruppen propagiert, um danach Mechanismen sozialen Ausschlusses zu beschreiben. Der Appell der AfD an die etablierten sozialen Vorrechte deutscher Rentner_innen, deutscher Erwerbsloser usw. hat das rassistische Ressentiment im Rucksack. Diese Ethnisierung trifft bei Menschen mit Erfahrungen zunehmenden sozialen Ausschlusses einen Nerv ihres Bewusstseins. Wenn Flüchtlinge und sozial prekär lebende Menschen um den Zugang zu geringer werdenden sozialen Ressourcen wie Wohnraum, Lebensmitteln von der Tafel oder Beratungsleistungen ringen, ist die ethnisierende Projektion sozialer Ausgrenzung eine mögliche Folge, die von rassistischen Diskursen nahegelegt und verstärkt wird.

Die Wähler_innen der AfD im Osten

Über die Wähler_innen der AfD ist im Verlauf dieser Debatte und in jener über das Buch von Didier Eribon (ak 619) schon einiges gesagt worden. Deshalb nur so viel: Bei den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt ist die AfD durch das heterogene Milieu der Nicht-Wähler_innen wie mit einem Staubsauger durchgegangen. Die größten Stimmenzuwächse stammen von dort. Dies ist nicht nur ein Hinweis darauf, dass andere Parteien diese Wähler_innen nicht mehr erreichen. Evident ist, dass die über Web-2.0-Formate geführte Kommunikation der AfD ungefiltert bei denen ankommt, die in keiner Form mehr an der politischen Öffentlichkeit teilnehmen. Nicht ohne Grund setzte die AfD in den ostdeutschen Landtagswahlkämpfen auf Facebookkampagnen im thematischen Umfeld von Debatten um die Unterbringung von Flüchtlingen und befeuerte die Erzählung, jede Kritik werde, wie damals in der DDR, rigide unterbunden.

Die Paradoxie, dass die AfD sowohl von Mittelständlern als auch von Arbeitslosen gewählt wird, zeigt, dass rechtspopulistische Politikformen mit völkisch-nationalistischem Inhalt eine Wählerbasis ansprechen können, die quer zu sozialen Interessen liegen. Anders ausgedrückt: Das Verschwinden sozialdemokratischer Milieus und ihrer Erzählung vom sozialen Aufstieg ist gerade im Osten eine Quelle der Stärke der AfD. Hinzu kommt hier die ohnehin geringe Bindung an Parteien. Polemisch ausgedrückt: Die Leute probierten bei jeder Wahl seit 1990 eine neue Partei aus, die hernach ihre Erwartungen enttäuschte. Nach CDU, SPD, PDS, DVU und NPD ist nun die AfD dran. Mit Appellen an die ostdeutsche Identität, die sich anders als die westdeutsche aus der Erfahrung der Endlichkeit politischer Systeme speist, will die AfD jene Lücke schließen, die DIE LINKE hinterließ, als sie ab Ende der 1990er Jahre nicht mehr die personellen Ressourcen hatte, als Partei der Kümmerer in allen Lebenslagen der Ostdeutschen im vorpolitischen Raum präsent zu sein. Jene Ressentiments gegen das im Osten hegemoniale westdeutsche Establishment und seine für viele Ostdeutsche befremdlichen politischen Rituale, welche in den 1990er Jahren von der PDS bedient wurden, will nun die AfD abgreifen. Dass diese in der Generationenkohorte jener, die nach der Wende berufliche und biografische Entwertungen erfuhren, besonders stark sind, kann nicht überraschen. Aus diesen Untiefen sozialer und biografischer Verwerfungen tauchen sie auf, die »Angry Old White Men«, wütend, rassistisch, antifeministisch. All das ist wahr. Wahr ist aber auch, dass der verächtliche Metropolenblick auf Ronny und Mandy aus Jena-Lobeda oder Potsdam-Schlaatz den Blick für eine Differenzierung dafür verstellt, wer Akteur_in, wer Mitläufer_in rassistischer Mobilisierungen ist, oder wem es ob der Rasanz sozialer Spaltungsprozesse in jeder Hinsicht nur schlicht die Sprache verschlagen hat.

Handlungsspielräume suchen

Wie gezeigt, profitiert die AfD von der vielfältigen Multiplikation ihrer Inhalte und Diskurse in der Gesellschaft. Es müsste zunächst darum gehen, die Reichweite rechter Politikangebote zu begrenzen. Dazu gehört zu entscheiden, auf welche Provokation der AfD öffentlich zu reagieren ist, und wo es darum geht, schlicht andere, eigene inhaltliche Akzente zu setzen. Nicht jede rassistische Aussage der AfD ist ein Skandal, nicht jede Forderung der AfD ein Tabubruch. Das Dauerabonnement, welches die AfD auf Wahlerfolge hat, kann nur gekündigt werden, wenn die Auseinandersetzung mit der Politik der AfD die Ebene der moralischen Empörung verlässt, und zu der Frage zurückkehrt, wie essenziellen Erfahrungen der Solidarität und ihrer Wirkung wieder Geltung verschafft werden kann. Die AfD profitiert von ressentimentgeleiteten Angst- und Abstiegserzählungen, die sie selbst entwirft. Die Worte für eine neue Erzählung, wie eine solidarische Gesellschaft aussehen kann, sind offenbar noch nicht gefunden.

All die Kraft, die außerparlamentarische Gruppen derzeit in diverse Kampagnenformate wie Demonstrationen, Aufrufe und Aktionskonferenzen stecken, ist vermutlich in einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit örtlich spürbaren Erscheinungsformen sozialer Spaltung und rassistischer Mobilisierung besser aufgehoben. Denn die in Redes tehenden Kampagnen erreichen nur die ohnehin bereits Bekehrten. Vor Ort muss buchstabiert werden, wie und mit wem rassistische Mobilisierungen zurückzuweisen sind. Manchmal ergeben sich hier vielleicht Bündnisse mit Akteur_innen, die zunächst kulturell und lebensweltlich fernstehend scheinen, bei Lichte besehen jedoch »die richtigen sind« (Johannes Agnoli). Dazu braucht es auch den Mut für einen situationsbezogenen Pragmatismus, der das Visier der eigenen Identitätsdebatten aufsprengt. Es wird viele Umwege brauchen, das rechte Projekt AfD in die Schranken zu weisen. Rasche Erfolge sind nicht zu erwarten.

David Begrich schrieb in ak 613 darüber, wie die Hysterie um Kriminalität die Gründung von Bürgerwehren begünstigt.

Was tun gegen die AfD?

Im April eröffnete Sebastian Friedrich die ak-Debatte zu linken Strategien gegen die AfD. In ak 615 zeigte er sich skeptisch gegenüber den Erfolgsaussichten breiter Bündnisse. Anna Berg und Tanya Zorn von der Interventionistischen Linken (IL) plädierten für eine feministische Ausrichtung antifaschistischer Kämpfe. (ak 616) Julia Meier vom Netzwerk Marx21 betonte die Notwendigkeit einer breiten Front gegen die AfD. (ak 617) Wir brauchen radikale Inhalte und gesellschaftliche Alternativen, schrieb die Gruppe antifa nt in ak 618. In derselben Ausgabe erklärte Jörg Nowak, man müsse eine defensive mit einer offensiven Strategie gegen die AfD verbinden. In ak 619 plädierte Maike Zimmermann dazu, sich nicht an den Rassist_innen abzuarbeiten, sondern die Kraft für eigene linke Politik zu nutzen. In der letzten Ausgabe (ak 620) wies Peter Birke darauf hin, dass das Ziel, die AfD zu spalten, vorläufig nicht erreicht werden wird. Stattdessen müsse es darum gehen, eine andere Öffentlichkeit im Alltag zu verankern - in den Konflikten um Wohnraum und Arbeitsverhältnisse.