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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 621 / 15.11.2016

Aufgeblättert

Linker Aktivismus

Ein Sit-In an der Uni, die Blockade eines Naziaufmarsches, die Entführung eines Lobbyisten, Farbbeutel gegen ein Militärgebäude: Das sind nur einige Beispiele politischer Aktionen. Sie sind ein Grundelement des politischen Aktivismus - und alle politischen Zusammenhänge, wollen sie kein geschlossener Lesekreis sein, bedienen sich ständig aus dem linken Methodenkoffer. Einen Beitrag zur Theoretisierung politischer Aktionen leistet die Politikwissenschaftlerin Christiane Leidinger. Sie stellt klar: Aktionen sind nicht mit Aktivismus gleichzusetzen: »Während eine politische Aktivität wie eine kritische Diskussionsveranstaltung einen Sachverhalt als solchen begreifen und benennen will, geht es bei einer politischen Aktion zentral darum, in diesen Sachverhalt - symbolisch oder real - verändernd einzugreifen«. Die Autorin systematisiert politische Aktionen und differenziert die unterschiedlichen Formen. Dabei blickt sie nicht aus wissenschaftlich-»neutraler« Position von außen auf den Gegenstand, sondern als Aktivistin. Feministische Aktionen haben einen besonderen Stellenwert. Das Buch ist kein wissenschaftlicher Selbstzweck, um besser kategorisieren zu können. Die Systematisierungen zielen darauf ab, politische Aktionen tiefergehender zu analysieren und zu verstehen. Ein weiterer Gebrauchswert: Die dargelegte Bandbreite politischer Aktionen kann durchaus anregend sein. Auch liefert das Buch nützliche Hinweise, um die politischen Handlungen zu reflektieren.

Sebastian Friedrich

Christiane Leidinger: Zur Theorie politischer Aktionen. Eine Einführung. Edition Assemblage, Münster 2015. 154 Seiten, 12,80 EUR.

1968 in Japan

Mit seiner Dissertation legt Till Knaudt wohl die erste deutschsprachige Studie zur Neuen Linken zu 1968 und linkem Terrorismus in Japan vor. Das Buch zeichnet die Entwicklung dieser Linken von den 1950ern bis Mitte der 1970er Jahre nach - mit einem Schwerpunkt auf der Herausbildung verschiedener bewaffneter Gruppen, die sich durch eine Flugzeugentführung nach Nordkorea, ein Attentat in Israel und Lynchmorde an eigenen Mitgliedern hervortaten. Kenntnisreich führt Knaudt auch die mit dem Land nicht vertraute Leserin in die Hintergründe des japanischen »1968« ein, stellt die verschiedenen Splittergruppen der Neuen Linken vor und arbeitet die transnationalen Bezugnahmen etwa der Sekigun (Rote Armee Fraktion) heraus, die sich im Sommer 1969 und damit bereits vor der deutschen RAF konstituierte. Dabei liegt der Fokus auf dem Wandel des Diskurses - von einem neomarxistischen Antiimperialismus über die Orientierung am »Lumpenproletariat« japanischer Tagelöhner_innen hin zum Bruch mit dem Marxismus und der Hinwendung zu ethnischen Minderheiten wie den indigenen Ainu. Die Antijapanische Front, die zwischen 1972 und 1975 mehrere Anschläge gegen Großkonzerne verübte und dabei auch den Tod von Arbeiter_innen in Kauf nahm, war dann stark von einer Kritik am japanischen Kolonialismus geprägt. Trotz einer mitunter verwirrenden Vielzahl von Namen und Bezügen ein spannendes Buch zur Geschichte der Neuen Linken!

David Templin

Till Knaudt: Von Revolution zu Befreiung. Studentenbewegung, Antiimperialismus und Terrorismus in Japan (1968-1975). Campus, Frankfurt/New York 2016. 365 Seiten, 45 EUR.

Schwule Identität

Çetin und Voß setzen sich in ihrem Band kritisch mit der Identitätskategorie »des Homosexuellen« und der mit ihr verbundenen Emanzipationsbewegung auseinander und diskutieren beides als Bestandteile westlicher Hegemonie. Im dicht argumentierten ersten Teil bereiten sie den Boden für zwei weitere Kapitel, die sich einmal auf »Homosexualität« in Naturwissenschaften und in Pädagogik konzentrieren (Voß) und zweitens Homo-/Queerpolitiken sowie Homonationalismus in Zusammenhang mit Gentrifizierung setzen (Çetin). Sichtbarkeit und Identität werden dabei in unterschiedlichen Kontexten betrachtet: Anhand historischer und aktueller Beispiele aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft machen sie die Verschränkungen der Kategorie »Homosexualität« mit Kolonialismus und Rassismus nachvollziehbar und hinterfragen die Relevanz starrer Identitätskategorien. Sie zeigen, dass Kategorisierungen, die der Sichtbarmachung und Anerkennung dienen, nicht unschuldig, sondern Teil von Herrschaftsverhältnissen sind, da sie nur bestimmte Personen einschließen und in diesem Fall ausschließen, wer nicht weiß, europäisch, bürgerlich oder männlich ist. Ihre intersektionalen Analyse bringt nicht nur Gegenwart und Vergangenheit zusammen, sondern auch das, was gewöhnlich in Theorie und Praxis unterteilt wird. So gelingt es an gesellschaftliche Phänomene und aktuelle Herausforderungen sowie an theoretische Auseinandersetzungen anzuknüpfen und diese um wichtige Perspektiven zu erweitern.

Lisa Krall

Zülfükar Çetin und Heinz-Jürgen Voß: Schwule Sichtbarkeit - schwule Identität. Kritische Perspektiven. Psychosozial-Verlag, Gießen 2016. 146 Seiten, 19,90 EUR.

Paveses letzter Roman

»Der Mond und die Feuer«, Cesare Paveses letzter Roman, erschien erstmals 1950, dem Jahr, in dem der Autor sich in Turin im Alter von 41 Jahren und auf der Höhe seines literarischen Ruhms das Leben nahm. Für seine ambitionierte neue Reihe Edition Blau hat der Rotpunktverlag Zürich den Klassiker in der sehr guten Übersetzung von Maja Pflug neu herausgebracht. Er spielt Ende der 1940er Jahre in einem Dorf im Piemont. Der Erzähler ist nach mehr als 20 Jahren in den USA in sein Dorf zurückgekehrt. Hier ist er als Waisenkind in einer Kleinbauernfamilie aufgewachsen, hier bekam er den Spitznamen Anguilla (der Aal). Nuto, sein einziger verbliebener Freund aus Kindertagen, hilft ihm zu verstehen, was während seiner langen Abwesenheit geschehen ist, vor allem in den letzten beiden Kriegsjahren, als Faschisten und Partisanen einen Kampf auf Leben und Tod führten. In ihrem aufschlussreichen Nachwort erklärt Paola Traverso Paveses Motiv, diesen Roman zu schreiben: einen politischen Roman mit historisch bedeutsamen Bezügen, in dem Pavese, seit 1945 Mitglied der Partito Comunista Italiano, zugleich über seine persönliche Beziehung zu dem Dorf nachdenkt, in dem er aufgewachsen ist. Diese Beziehung ist nicht rein rational zu erklären. Darauf weist der Titel hin: Auch Nuto glaubt an eine geheimnisvolle Kraft des Mondes und der Feuer auf den Stoppelfeldern. Anguilla widerspricht diesem »Schwachsinn«. Was Pavese darüber denkt, bleibt offen.

Jens Renner

Cesare Pavese: Der Mond und die Feuer. Roman. Aus dem Italienischen von Maja Pflug. Rotpunkt Verlag, Zürich 2016. 211 Seiten, 24 EUR.