Weniger Kulturkampf, mehr Klassenkampf
Diskussion Gegen die AfD braucht es eine Intervention in die progressive Mitte
Von Hannah Eberle und Emily Rose
Einigkeit in der Debatte zum linken Umgang mit der AfD besteht in der Einschätzung, dass sich in der BRD ein rechtes Projekt formiert. So analysiert die Gruppe antifa nt (ak 618) völlig zurecht, dass die AfD ein institutionalisierter Akteur ist, der einen »gesamtgesellschaftlichen Umgestaltungsanspruch« besitzt. Diese Institutionalisierung darf nicht unterschätzt werden. Auch kann die AfD rechten Straßenmobilisierungen den ausreichenden Rückhalt geben oder sie gar selbst organisieren. Antifa auf der Straße ist also weiterhin notwendig. Dabei müssen auch Feminismus und Antifa zusammengedacht werden, worauf unsere Genoss_innen der IL (ak 616) zurecht hinweisen.
Jedoch ist es falsch, sich allein darauf zu konzentrieren, Wahlveranstaltungen zu stören oder Sitzblockaden gegen Aufmärsche zu organisieren. Selbst möglichst breite, zivilgesellschaftliche Bündnisse können Nazistrukturen und rassistische Mobs nicht mehr ausreichend zurückdrängen - und aus der eigenen Schwäche verbünden wir uns häufig mit den Falschen.
Weiter ist es falsch, die Erfolge der AfD aus dem Programm und den Themen der ihr nahestehenden Organisationen abzuleiten, wie es die Genoss_innen der IL und antifa nt tun. Wahlanalysen deuten darauf hin, dass die Wähler_innen der AfD die Partei nicht wegen ihrer geäußerten Inhalte oder Programmatiken wählen, sondern weil die AfD als einzige Anti-Establishment-Partei erscheint.
Deshalb plädieren wir dafür, sich mit den Wähler_innen differenzierter auseinanderzusetzen - und in der Analyse den neoliberalen Nährboden stärker einzubeziehen.
Die Umdeutung sozialer Fragen
Die Wähler_innen der ursprünglichen AfD waren gesellschaftlich breit aufgestellt, einkommensstark und formal eher höher gebildet. Auf der Suche nach der einen Erklärungsformel wurde die Wahl der AfD im Ausschlussverfahren auf den Rassismus der Wähler_innen zurückgeführt.
Bei den Landtagswahlen in diesem Jahr zeichnete sich aber eine Veränderung der Wähler_innen ab: eine Wandlung, die sich auch in der programmatischen Ausrichtung der AfD und in den Reden mancher Funktionäre widerspiegelt. Die von Sebastian Friedrich befürchtete Klientelerweiterung (ak 615) lässt sich nun statistisch belegen. Vermehrt wählten Arbeiter_innen, Erwerbslose, Nicht-Wähler_innen und Menschen mit geringerem Einkommen und Bildungsgrad die Partei. Und das, obwohl die AfD noch immer eine sozialchauvinistische Partei ist.
Die AfD hat erkannt, dass eine rassistische Antwort auf die soziale Frage und eine antifeministische Sozialpolitik mehr als geeignet sind, um eine neue Partei zu etablieren. Ihr Erfolg speist sich aus Wähler_innen, die den Eindruck haben, mit ihrer Stimme für die AfD würde sich etwas ändern. Die AfD richtet ihre Strategie verstärkt darauf aus, die sozialen Belange ihrer Wähler_innen zu thematisieren. Dabei spricht sie reale Missstände an, um diese im nächsten Moment rassistisch oder antifeministisch zu wenden. Dieser Mechanismus wird besonders deutlich, wenn Höcke von der neuen deutschen sozialen Frage spricht, die sich nicht mehr zwischen Oben und Unten, sondern zwischen Innen und Außen stelle. Wahlanalysen zufolge sind zwei Gründe für AfD-Wähler_innen entscheidend: zuerst und mit Abstand Asyl und Migration, als zweites folgt soziale Sicherheit. Betrachtet man die Aussagen der Befragten genauer, wird deutlich, dass auch die Themen Asyl und Migration die soziale Frage berühren. Die Ängste vor Einwanderung sind häufig verknüpft mit der Sorge vor verschärfter Konkurrenz um vermeintlich knappe Ressourcen.
In der Frage der antifeministischen Ausrichtung der AfD lässt sich ähnlich argumentieren. Das reaktionäre Familienbild der AfD ist auch eine Antwort auf den Wegfall der klassischen Sozialpolitik. Die Familie soll die Lücke füllen, die durch organisierte Verunsicherung und das Wegbrechen des Wohlfahrtsstaats entstanden ist. Von einem reaktionären Familienbild fühlen sich neben einigen durchgeknallten Ewiggestrigen vor allem diejenigen angesprochen, die soziale Verunsicherung verspüren.
Was bedeutet das für unsere Strategie?
Der Nährboden für den Erfolg der AfD ist also nicht die antimoderne und nationale Ausrichtung der Partei, sondern der Neoliberalismus, der eine ständige Verunsicherung erzeugt. Das Gefühl, die eigene Existenz dem Markt zu unterwerfen, ohne selbst eingreifen zu können, oder bereits aus der Verwertung am Markt entfernt worden zu sein, treibt die Menschen in die Arme der vermeintlichen Anti-Establishment Partei. Damit wollen wir weder die Eigenlogik von Ideologien wie Rassismus und Antifeminismus negieren noch um Verständnis für diese werben. Wir schlagen auch nicht vor, um jeden Preis die Wähler_innen der AfD für ein emanzipatorisches Projekt zurückzugewinnen. Kein Konservativer wird umgestimmt werden, kein Nazi unser Freund.
Wir müssen aber diejenigen ernst nehmen, ansprechen und in unseren strategischen Fokus rücken, die die AfD schon heute oder in Zukunft aus einem Gefühl der Exklusion heraus wählen.
Wir hätten die bestehenden Klassenkonflikte auf progressive Weise zuspitzen sollen - ohne uns auf eine Wagenknecht'sche Strategie der exklusiven Solidarität für deutsche Arbeiter_innen einzulassen.
Wir müssen erstens Angebote machen, den sozialen Unfrieden nach links zu politisieren und dabei unsere emanzipatorischen Vorstellungen in die Praxis umsetzen. In Teilen sind wir auf dem richtigen Weg: Wir versuchen, unsere Kämpfe um Gesundheit und Energie, gegen Krise, Niedriglohnsektor, Hartz IV, gegen Konkurrenz um Wohnungen und Arbeitsplätze mit der Klassenfrage zu verknüpfen. Dabei geht es uns nicht um die Glorifizierung einer nächsten cis-weiß-männlichen Fabrikarbeiterrevolution, sondern darum, an neuen Orten mit Personen, Gruppen und Initiativen etwas aufzubauen, wo sonst nur mit viel Mühe die Ortsvereine der Linkspartei gehört werden.
Wir brauchen Projekte, die tatsächlich reale Verbesserungen für Menschen hervorbringen und ihnen das Gefühl geben, dass der gemeinsame Kampf Früchte tragen kann. Das gilt für jede alltägliche Interaktion aber auch für die Massenmobilisierungen der radikalen Linken. Nur dann kann die Linke als emanzipatorisches, offensives Projekt gegen die herrschenden Verhältnisse - jenseits von Gauland, Petry, Höcke, Storch und den vielen Sarrazins - wahrgenommen werden.
Dabei reicht es zweitens nicht, sich nur am rechten Block abzuarbeiten. Zwar müssen wir weiterhin die Verknüpfungen zwischen rechter CDU, rechten Intellektuellen, christlichen Fundamentalist_innen und Antifeminist_innen aufdecken und skandalisieren. Gleichzeitig müssen wir Seehofer und Höcke gleichermaßen angreifen und auch die Sozialpolitik von Andrea Nahles als rassistische und neoliberale Politik enttarnen, indem wir sie mit den Forderungen der AfD in Beziehung setzen.
Drittens plädieren wir für eine Intervention in die »progressive Mitte« der Kulturschaffenden, der Helfenden und der kritischen Liberalen. Sie äußern ihre Kritik und Angst vor der AfD in Theatersalons oder in Ringvorlesungen. Auch wenn wir sie nicht so schnell auf die Straße bringen können, sind sie in der Isolierungsstrategie wesentliche Verbündete. Doch zu häufig bleiben sie im Wortlaut bei Angela Merkel und Teilen der politischen Elite, indem sie die AfD für ihre Menschenfeindlichkeit anprangern und auf den Wert der Diversität verweisen. Sie verklären die parlamentarische Demokratie als Zustand wirklicher Freiheit und verweisen auf Humanismus und Moral. So gibt es einen Schulterschluss von Teilen der »progressiven Mitte« mit den Herrschenden. Jörg Nowak (ak 618) nennt diesen eine »Allianz der progressiven Bourgeoisie«. Wir befördern diese Tendenz mit der alleinigen Ausrichtung von Kampagnen auf Kulturkämpfe. Diese führt vor allem zu einer Befriedung der außerparlamentarischen Linken durch hegemoniale Teile der Gesellschaft. In dieser Symbiose manifestiert sich für AfD-Wähler_innen das Establishment, gegen welches sie sich richten.
Unsere Aufgabe besteht daher darin, gemeinsam mit Teilen der »progressiven Mitte« den Kampf gegen die AfD um ein klassenkämpferisches Moment zu erweitern; und nicht darin, entgegengesetzte Wertvorstellungen gegeneinander antreten zu lassen.
Es geht nicht um eine Abkehr von der »progressiven Mitte«, sondern darum, gemeinsam ein emanzipatorisches, antineoliberales Projekt zu formulieren. Sonst schauen wir am Ende Merkel und Petry bei ihrem Machtkampf zu.
Hannah Eberle und Emily Rose sind aktiv in der Krisen-AG der Interventionistischen Linken Berlin.