Kulturkampf und soziale Frage
Diskussion Ein Versuch, Donald Trumps Erfolg zu verstehen
Von Sebastian Friedrich
Nach dem Sieg von Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen läuft die Ursachensuche unter Linken auf Hochtouren. Die einen verweisen auf die sozialen Umwälzungen im Zuge des neoliberalen Klassenkampfs von oben. Andere führen den Erfolg des Vielfachchauvinisten auf einen rechten Kulturkampf zurück, bei dem es um den Erhalt der Privilegien der Weißen geht.
Wie bei vielen anderen Diskussionen der vergangenen Monate innerhalb der Linken ist auch bei der Analyse der US-Wahlen die Schlüsselfrage, ob wir es mittlerweile mit einer rechts wählenden Arbeiterklasse zu tun haben. Wie beim Brexit (ak 618) und den Stimmen für die AfD (ak 615) gilt auch in Bezug auf die Präsidentschaftswahlen: Es wäre verkürzt davon zu sprechen, »die« Arbeiterklasse würde sich rechten Projekten anschließen. Auch Trump wurde nicht von allen Teilen der Arbeiterklasse gleichermaßen gewählt, sondern vor allem von weißen Arbeiter_innen, die - zumindest, was das Einkommen angeht - eher zu den Bessergestellten zählen. Laut der New York Times lag Hillary Clinton bei Wähler_innen mit einem Jahreseinkommen von unter 50.000 Dollar vorne, Trump bei allen Einkommensgruppen darüber. Gleichzeitig gewann er vier Fünftel der Stimmen der Wähler_innen, die ihre eigene finanzielle Situation heute schlechter einschätzen als früher. Der Kandidat der Republikaner konnte auch bei jenen punkten, die erwarten, dass es den zukünftigen Generationen schlechter gehen wird als ihnen. Trump fischte also vor allem bei jenen, die sich keinen Aufstieg mehr vom Neoliberalismus erwarten, sondern das Hab-und-Gut, das sie sich erarbeitet haben, schützen wollen.
Was bei der Diskussion um das Wahlverhalten der einkommensärmsten Gruppen gerne vergessen wird: In den USA wie in Deutschland gehen die »Abgehängten«, die Ärmsten der Armen, meist gar nicht zur Wahl. So sinkt etwa in Deutschland die Wahlbeteiligung seit 40 Jahren kontinuierlich, allerdings nicht in allen Statusgruppen im gleichem Maße, sondern vor allem bei Menschen aus der Unterklasse. In den USA kommt erschwerend hinzu: Eine beträchtliche Zahl an Menschen sind vom Wahlrecht ausgeschlossen, weil sie Probleme mit der Strafjustiz hatten. So durften in Swing States wie Virginia und Florida 30 bis 40 Prozent der schwarzen Männer gar nicht erst wählen. Der absolute Anteil der Stimmen aus der Unterklasse für Trump dürfte angesichts einer in den USA ohnehin traditionell relativ niedrigen Wahlbeteiligung äußerst gering sein.
Doch wenn die Erklärung nach der Polarisierung zwischen Arm und Reich unzureichend ist, um Trumps Sieg zu verstehen, was polarisiert sich denn gerade? Diese Frage stellen sich Linke auch mit dem Aufstieg der AfD in Deutschland und angesichts der Flüchtlingsdebatte, die seit über einem Jahr läuft.
Einer Antwort kommt man bei der Analyse des zurückliegenden Präsidentschaftswahlkampfs näher. Clinton war nicht nur die Kandidatin des politischen Establishments, sondern auch - wenngleich als kleineres Übel - eines tendenziell jüngeren kosmopolitischen urbanen Bürgertums; derer, die in den großen Städten an den Küsten leben, weltweit vernetzt und gesellschaftspolitisch liberal gesinnt sind, jener Postmaterialist_innen, die sich nicht so sehr für materielle Fragen interessieren müssen. In Städten mit über 50.000 Einwohner_innen holte Clinton 59 Prozent, Trump hingegen lag in Kleinstädten und ländlichen Gebieten mit 62 Prozent der Stimmen vorne.
Doch Trump ist in erster Linie Präsident derjenigen, die zum einen Sorge haben, ökonomisch weiter Schritt halten zu können, und sich zum anderen kulturell abgehängt fühlen.
Es sind Wähler_innen mit niedriger bis mittlerer formaler Bildung, mit Hang zu Nationalismus, Rassismus, Antifeminismus, die sich gegen Minderheitenrechte, gegen Einwanderung, gegen den weiteren Kampf für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen. Clinton gegen Trump: Das war auch ein Kampf von Diversity gegen Monokultur - ein Kampf, der nicht nur in den USA stattfindet.
Der Soziologe Andreas Reckwitz spricht in diesem Zusammenhang von einem weltweiten Widerstreit zweier kultureller Orientierungen. Es gebe auf der einen Seite »eine historisch außergewöhnliche kulturelle Öffnung der Lebensformen«: Geschlechternormen werden in Frage gestellt, und Lebensstile differenzieren sich aus. Dieses kosmopolitische Milieu ist hochindividualisiert und feiert die Selbstentfaltung und die Kreativität. Wir treffen es in den Metropolen dieser Welt, keineswegs nur an den Küsten der USA und in europäischen Hauptstädten, sondern auch in Beirut, Istanbul und Jakarta. Demgegenüber beobachtet Reckwitz - ebenfalls weltweit - Tendenzen der »kulturellen Schließung von Lebensformen, in denen eine neue rigide Moralisierung wirksam ist«. Diese Schließung sei kollektivistisch in einem identitären Sinne; Reckwitz zählt Nationalismus und Rechtspopulismus ebenso wie religiösen Fundamentalismus zu der Strömung der Kulturessenzialisten.
Dieser Kulturkrieg dürfte tatsächlich die entscheidende Polarisierung dieser Tage sein, eine Polarisierung, die auch von Teilen der Linken mitgetragen wird: Wirtschaftliberale, Sozialdemokraten, linksliberale Akademiker_innen bilden eine Front gegen die Bedrohung durch die Rechten und Fundis. In diesem kulturellen Bürgerkrieg bewegen sich Liberale wie Rechte im Rahmen der Kulturalisierung. Es ist ein Rahmen, in dem Emotionen eine größere Rolle spielen als Fakten. Doch die Wahl von Trump zeigt auch: Neben dem Kulturkrieg gibt es durchaus »rationale« Erwägungen für Teile der Arbeiterklasse, es mal mit Trump zu versuchen.
Trumps Erfolg in den Swing States am Rostgürtel, der ältesten Industrieregion der USA an den großen Seen, ist dafür bezeichnend. Dort leben die Reste des fordistischen Industrieproletariats, die entweder bereits in den vergangenen Jahrzehnten sozial abgestiegen sind oder sich zumindest um ihren erkämpften Besitzstand sorgen. Speziell für Industriearbeiter_innen im produktionsnahen Bereich können nationalistische Antworten auf ihre Problemlagen durchaus plausibel sein. In der Fabrik kommt ein festangestellter Arbeiter aufgrund der Vervielfältigung der prekären Arbeitsverhältnisse häufig in Kontakt mit Menschen, die zwar die gleiche Arbeit leisten, aber viel schneller je nach konjunktureller Lage entlassen werden können oder deutlich weniger Lohn erhalten. Der drohende Abstieg betritt personifiziert in Gestalt der Zeitarbeiterkollegen in jeder Pause die Kantine. Dass diese Abstiegsangst vor allem bei den Resten des Industrieproletariats rassistisch gewendet werden kann, hat zwei Gründe: Erstens finden vor allem im Industriebereich Standortverlagerungen statt. Das protektionistische Angebot eines Donald Trump kann bei denen wirken, deren früherer Arbeitsplatz sich jetzt in Mexiko oder Südostasien befindet - oder die sich um eine Verlagerung der Produktion ihres sogenannten Arbeitgebers sorgen.
Zweitens hat sich zwar die Ungleichheit zwischen oben und unten in den vergangenen Jahrzehnten zugespitzt, gleichzeitig hat die vertikale ökonomische Ungleichheit anhand von Geschlecht und »Ethnie« zumindest gefühlt abgenommen. So haben etwa Frauen, »ethnische Minderheiten« und Migrant_innen zu Zeiten des weiß-männlichen Ernährermodells der 1950er- und 1960er-Jahre in den einstigen Industriestaaten aufgeholt - eben auch durch Kämpfe von Linken und Liberalen insbesondere nach 1968. Das hat den Druck auf die etablierten höheren Fraktionen der Arbeiterklasse verstärkt. Kulturkonservatismus und tief verankerter Rassismus treffen hier auf verschärfte Konkurrenzprinzipien im Kapitalismus.
So kommt die explosive Mischung zusammen: Der rechte Kulturkampf und die berechtigten materiellen Sorgen von Teilen der Arbeiterklasse bilden eine ausgezeichnete Grundlage für eine reaktionäre Verarbeitung von Abstiegsängsten. Reaktionär sind diese, da sich nach einer Zeit zurückgesehnt wird, in der die eigene Stellung unter den Ausgebeuteten im Vergleich zu den anderen Ausgebeuteten besser war; reaktionär sind sie auch, weil sie letztlich nur eine Krisenverarbeitung innerhalb des neoliberalen Paradigmas sind. Nicht Kämpfe um höhere Löhne, gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse, für Umverteilung stehen auf der Tagesordnung, sondern der Kampf gegen andere Gruppen, die sich auf dem nationalen - und weltweiten - Arbeitsmarkt wiederfinden. Trump hat es bestens verstanden, diese Nachfrage zu bedienen.