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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 622 / 13.12.2016

Alle Jahre wieder

Gender Gewalt gegen Frauen ist keine Serie von Einzelfällen, sagt Katja Grieger

Interview: Hannah Schultes

Ihre Arbeit ist so alltäglich, dass es meist einen besonderen Anlass braucht, damit Medien über sie berichten: Frauenberatungsstellen unterstützen Frauen und Mädchen, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind. Einzelstimmen aus Beratungsstellen zufolge steigt gerade während der Weihnachtsfeiertage der Bedarf. Katja Grieger ist Geschäftsführerin des Bundesverbands der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland (bff), in dem sich über 170 solcher Einrichtungen zusammengeschlossen haben. ak hat mit ihr über die Probleme in der Arbeit und häufige Irrtümer über Gewalt gegen Frauen gesprochen.

Was sind die größten Probleme in der Arbeit der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe?

Katja Grieger: Große Probleme haben die Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe damit, dass ihre Tätigkeit nicht ausreichend finanziell abgesichert ist. Die Finanzierung erfolgt meist im Rahmen so genannter freiwilliger Leistungen von Ländern und Kommunen, sodass die Beratungsstellen nicht abgesichert arbeiten können. Die Inanspruchnahme der Stellen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, die Förderung hingegen nicht. Viele Beratungsstellen arbeiten mit wenigen Teilzeitkräften permanent an der Belastungsgrenze und müssen jährlich einen enormen Aufwand betreiben, um die Finanzierung für das kommende Jahr zu sichern. Gelder für einen barrierefreien Umbau der Beratungsstellen sind vielerorts nicht vorhanden, weshalb gewaltbetroffene Frauen mit Behinderungen die Beratung nicht in Anspruch nehmen können. Das ist besonders dramatisch, weil diese Gruppe im Vergleich zu nicht-behinderten Frauen überproportional von Gewalt betroffen ist.

Welche Formen von Gewalt unterscheidet der bff?

Unter geschlechtsspezifische Gewalt fallen zum Beispiel körperliche, sexualisierte oder psychische Gewalt innerhalb von (Ex-)Partnerschaften, Stalking sowie sexuelle Belästigung und sexualisierte Übergriffe einschließlich Vergewaltigung. Zunehmend haben die Beratungsstellen auch mit digitalen Angriffen zu tun: Frauen nehmen Beratung in Anspruch, weil sie in sozialen Medien sexistisch angegriffen wurden oder - mit dem Ziel, sie zu erpressen oder zu demütigen, - intime Fotos von ihnen veröffentlicht wurden.

Es heißt, dass insbesondere für geflüchtete Frauen zu wenige Schutzangebote existieren. Wie ist die Situation für sie?

Die Situation geflüchteter Frauen ist schwierig. Viele haben auf der Flucht Übergriffe und Gewalt erlebt und bräuchten hier eigentlich eine Umgebung, in der sie zur Ruhe kommen können. Gerade in Gemeinschaftsunterkünften ist die Situation aber weiterhin belastend. Zudem sind Betreiber von Gemeinschaftsunterkünften bislang immer noch nicht verpflichtet, Gewaltschutzkonzepte umzusetzen. Das bedeutet, dass es auch in diesen Unterkünften Übergriffe und Gewalt gibt. Oft befördern die baulichen Gegebenheiten solche Übergriffe, zum Beispiel, wenn es keine abschließbaren Sanitäranlagen oder keine Rückzugsräume gibt. Die Täter sind der eigene Mann oder Mitbewohner, aber auch Mitarbeiter von Sicherheitsdiensten oder Personal der Unterkunft. Viel zu langsam beginnt nun ein diesbezüglicher Prozess: Unterkünfte lassen sich von Expertinnen beraten und installieren Konzepte zum Gewaltschutz und zum Umgang mit traumatisierten Bewohner_innen. Leider fließt bisher zu wenig Geld in die Umsetzung solcher Konzepte.

Gewalt gegen Frauen ist kein Tabuthema mehr. Was sind die häufigsten Irrtümer in der öffentlichen Debatte, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht?

Das Thema Gewalt gegen Frauen ist nach wie vor mit Vorurteilen und Mythen belastet. Viele Menschen haben, wenn sie an Vergewaltigung denken, das Bild einer Frau im Kopf, die nachts im dunklen Park von einem Mann, den sie zuvor noch nie gesehen hat, überwältigt wird. In der öffentlichen Debatte wird ausgeblendet, dass die meisten Vergewaltigungen im sozialen Nahraum verübt werden, vom eigenen Partner, vom Exfreund, vom Arbeitskollegen oder vom guten Kumpel. Ein verbreiteter Irrtum in der öffentlichen Debatte über Partnerschaftsgewalt ist, dass automatisch alles gut wird, sobald sich die Frau vom Partner trennt. Viele Frauen sprechen auch deshalb nicht über die Gewalt in ihrer Beziehung, weil die erste und oft einzige Reaktion ist: »Warum trennst du dich nicht einfach?« Es wird ausgeblendet, dass Trennungssituationen für die Betroffenen sehr gefährlich werden können, der gewalttätige Mann will »seine« Frau unter Kontrolle behalten und weiterhin Macht ausüben. Gerade wenn es gemeinsame Kinder gibt, hat die Frau oft nicht die Chance, sich in Sicherheit zu bringen, weil Umgangskontakte organisiert werden müssen. Selbstverständlich ist in den meisten Fällen eine Trennung der erste Schritt, damit die Betroffene in Zukunft ein gewaltfreies Leben führen kann. Aber es sollte nicht übersehen werden, wie lange es dauern kann, bis der Ex-Partner von ihr ablässt und wie schwer diese Phase zu überstehen ist.

Welche Opfergruppen werden ausgeblendet?

Generell entzündet sich eine Berichterstattung und Debatte fast ausschließlich an Einzelfällen. Die strukturelle gesellschaftliche Dimension von Gewalt gegen Frauen wird damit ausgeblendet.

Diskussion über Gewalt

Wie sprechen wir über sexualisierte und andere Formen patriarchaler Gewalt? Häufig setzt sich die Linke erst dann mit dem Thema auseinander, wenn es zu Übergriffen kommt oder feministische Mobilisierungen die Gewalt auf die Tagesordnung setzen. Gleichzeitig empfinden viele Feminist_innen ihr Engagement gegen Gewalt als Sisyphos-Arbeit, die in der Linken kaum zur Kenntnis genommen wird. Eine Reihe von Interviews und Artikeln nimmt patriarchale Gewalt sowie mögliche Widerstandsstrategien in den Blick.